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Debatte um NettospielzeitBergisch Gladbacher Sportlehrer ist der Fifa 40 Jahre voraus

Lesezeit 3 Minuten
Sportlehrer Wiepking analysierte die Spiele der WM 1974 in Deutschland.

Sportlehrer Wiepking analysierte die Spiele der WM 1974 in Deutschland.

Köln/Bergisch Gladbach – „Es ist ein radikales Dokument. Es ist eine Revolution“, sagte David Elleray (62), Technischer Direktor des FIFA-Regelgremiums IFAB, vor kurzem über das Strategiepapier „Play Fair“. Der angeblich revolutionärste Vorschlag, über den im März 2018 abgestimmt werden könnte, lautet: Einführung einer Nettospielzeit von zwei mal 30 Minuten. „Alles kalter Kaffee“, meint dazu Wolfgang Wiepking (68) aus Bergisch Gladbach. Denn genau diese Forderung stellte der Sportlehrer bereits 1976 als Erkenntnis aus seiner Diplom-Arbeit auf. Wiepking hatte 24 Spiele der WM 1974 bis auf jede Sekunde seziert.

Der damalige Student bekam vom Bayrischen Rundfunk 24 Spiele auf Videokassetten, ein Techniker legte ihm eine mitlaufende Zeit ins Bild. Wiepking wertete jede Sekunde aus: „Ich habe erfasst, wer wann wie wo was gemacht hat.“

Er unterteilte das Spielfeld in verschiedene Sektoren, nummerierte die einzelnen Spieler durch. Die Daten stanzte er in Lochkarten: „Auf eine Karte gingen drei Aktionen mit je 120 Werten, für ein Spiel habe ich 1000 Lochkarten gebraucht, insgesamt über 20 000 Karten. Ich habe zwei Jahre lang gebraucht.“

Wiepking biss sich durch

Drei Kommilitonen, die ursprünglich an der Studie beteiligt waren, stiegen aus, als sie merkten, wie groß der Aufwand war. Wiepking biss sich durch, und fand heraus: Nur rund zwei Drittel der 90 Minuten ist der Ball wirklich im Spiel, die Zeiten variierten zwischen 50 und 65 Minuten. Pro Spiel gab es zwischen 99 und 147 Unterbrechungen – der Höchstwert stammt aus der „Wasserschlacht von Frankfurt“ zwischen Deutschland und Polen. Eine Unterbrechung dauerte im Schnitt rund 15 Sekunden.

Wiepking ging mit seinen Ergebnissen an die Öffentlichkeit und forderte die Einführung einer Netto-Spielzeit von zwei mal 30 Minuten: „Harry Valérien hat das auch im Sportstudio diskutiert, mir gegenüber aber auch angedeutet, dass es aus TV-Sicht problematisch sei, wenn der Zeitpunkt des Spielendes offen sei.“ Dieses Argument greife heute nicht mehr, meint er: „Die Übertragungen dauern ohnehin so lange, dann muss halt Mehmet Scholl zur Not mal einen Witz weniger machen, wenn ein Spiel länger dauert.“

Umsetzung kein Problem

Auch an der Umsetzung im Amateurbereich dürfe es nicht scheitern: „Das ist doch kein Problem: Ob Basketball, Handball oder Eishockey – da geht alles nach effektiver Spielzeit, auch in den kleinen Ligen. Ein Zeitnehmer wird sich ja wohl in jedem Verein finden, und dann kann noch jemand von der Gastmannschaft als Beisitzer dazukommen, damit es fair zugeht. Die Kosten sind gering: Es muss nur eine Uhr da sein.“

Und dann, ist Wiepking überzeugt, „würde es endlich mehr Gerechtigkeit geben“. Dies forderte er schon vor über 40 Jahren, doch damals sei die öffentliche Welle, die er ausgelöst habe, „auch genauso schnell wieder verflacht“. Die meisten Bundesligatrainer, vor allem Udo Lattek, standen der Sache sehr offen gegenüber. Aber Bundestrainer Helmut Schön sagte nur: „Lasst doch unser Spiel so schön einfach, wie es ist.“

Und heute? „Ich gehe davon aus, dass es jetzt diskutiert und auch gemacht wird“, glaubt Wiepking. „Marco van Basten kommt nicht ohne Vorgespräche mit solchen Vorschlägen raus, da hat vorher die FIFA grünes Licht gegeben.“

Und das lässt ihn schmunzeln: „Schön, dass die FIFA mit vierzig Jahren Verspätung zur selben Erkenntnis kommt wie ich.“

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