Lieblingsbüdchen Mühlen-Pavillon, LindenthalAuch das Richtige gegen Seelenschmerz ...

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Karina Derbolowsky, hier mit ihrem Enkel, ist der kreative Kopf und die gute Seele des Mühlen-Pavillons.

Karina Derbolowsky, hier mit ihrem Enkel, ist der kreative Kopf und die gute Seele des Mühlen-Pavillons.

Gegenüber der Bus-Endhaltestelle wachsen Weinlaub, Obstbäumchen und Blumen, neben roten Sonnenschirmen und einer Hollywoodschaukel. Der "Mühlen-Pavillon" an der Gleueler Straße in Lindenthal ist mehr als ein Kiosk, ein lauschiger Ort der Ruhe und der Freundlichkeit. Die meisten Kunden bleiben länger, genießen ihr Getränk oder ihre Speise auf der dschungelartig begrünten Terrasse - und gönnen sich einen ausgiebigen Plausch mit den Inhabern.

Welches Konzept verfolgen die Betreiber?

Neben dem Verkauf von Speisen und Getränken ist Kommunikation ein wichtiger Punkt im Büdchenprogramm. Karina Derbolowsky betreibt den "Mühlen-Pavillon" mit dreien ihrer fünf Kinder. Offiziell sind Tochter Nora Jakob und Sohn Felix Sittler die Inhaber. Doch Mutter Karina sei definitiv die gute Seele des kleinen Betriebs, sagen die Kinder. Sie ist fast immer da, backt Kuchen und Waffeln, grillt Panini und Toast, serviert Bio-Kaffee, kreiert stetig neue Speisen - und nagelt ihre Überzeugungen an die Büdchenwand oder verteilt sie auf den Tischen.

Die Menschenrechtscharta, Zitate von Martin Luther King, das Konzept der Gemeinwohlökonomie von Christian Felber, den Text "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat" von David Thoreau. "Ich könnte nicht einfach nur Cola und Zigaretten verkaufen", sagt sie. Hauptberuflich ist sie Künstlerin, schreibt und gibt Unterricht in Malerei, Klavier und Gesang. "Wir sind eigentlich alle Musiker", sagt Sohn Felix und lacht. "Ich habe Pop, Komposition und Tontechnik studiert. Seine Schwester Nora ist Pianistin. Anna, die ebenfalls im Büdchen hilft, ist Sängerin.

Warum gibt es im Mühlen-Pavillon den intellektuellen Lesestoff? Die Texte dienen als Quelle der Inspiration und Diskussion. Gerne mischt Karina sich auch einmal ein. Vor und nach der Wahl in den USA haben ihre Gäste viel über Trump diskutiert. "Seltsamerweise waren es eher die mittellosen Kunden, die ihn gut fanden" sagt Karina. Im Büdchen steht eine Spardose. Die Besitzer sammeln für die Hilfsorganisation Plan, immer für ganz konkrete Dinge, wie für eine Ziege für eine bestimmte afrikanische Familie oder ein Lama für eine andere. "Kunden, die spenden, fragen mich immer: »Na, was macht die Ziege oder das Lama?« Fast habe sie den Eindruck, als ob die Tiere anwesend wären. Wie wurde die Musikerfamilie zum Büdchenbetreiber? Vor zwei Jahren gründete die Familie einen Verlag und ein Musiklabel, um Noten, Bücher und eigene CDs zu verlegen. Felix fand die Idee lustig, den Kiosk zum Büro zu machen und nebenbei aus dem Fenster Kaffee und Brötchen zu verkaufen. "Ich habe es Küro genannt", so Felix. Doch schnell wurde mehr daraus. Neben der italienischen Kaffeemaschine, die den leckeren Bio-Kaffee brüht, stehen große Glasdosen voller Süßigkeiten, Wein, Zeitungen, kleine Bilder, Figuren, Lyrikbände, eigenkomponierte Musik auf CD und Blumen. Das Büro ist mittlerweile woanders. Karina entwickelt das Büdchen ständig weiter. Im Grunde sei es ihre Installation, sagen ihre Kinder. Zugleich ist es eine Anlaufstelle für Menschen mit Redebedarf. Die Kunden schütten Karina ihr Herz aus. Sie therapiert Seelenschmerz mit Zuhören, guten Worten und heißem Kaffee. Haben sie auch kuriose Geschichten erlebt? Karina Derbolowsky erinnert sich an einen Geschäftsmann, der es eilig hatte und nicht schnell genug seinen Kaffee trinken konnte. Dann überlegte er aber, bestellte noch einen und blieb und blieb. Schließlich kaufte er eine kleine Vase mit einer kleinen Blume. "Als er dann da stand in seinem Anzug mit dem Miniväschen in der Hand, sah er richtig drollig aus", sagt sie. Der Aufenthalt in ihrem Büdchen entschleunige, davon ist sie überzeugt. Oft sind es aber auch die Kinder, die sie schmunzeln lassen. Ein kleiner Junge setzte sich kürzlich an den eigens aufgebauten Kindertisch, als sein Vater sich mit seinem Kaffee zu ihm gesellen wollte, lehnte er das ab: "Nein, du sitzt da drüben. Ich muss ja auch mal meine Ruhe haben", sagte der Knirps.

Gibt es auch Dinge, die nerven? Vor nicht allzu langer Zeit hat ein Kind hier Handschellen liegenlassen. "Das ist wirklich ein bescheuertes Spielzeug", findet Felix. Manche Kinder hätten auch einen unglaublichen Kommandoton drauf. "Sie kommen mit viel Geld, bestimmen, wie viel und was ihre Freunde sich aussuchen dürfen. Draußen wartet das Au-Pair-Mädchen. Das fragen sie am Ende schnippisch, ob es auch etwas will. Vor kurzem habe er einen Jungen gebeten, nicht mit dem Ball gegen das Garagentor des Nachbarn zu schießen. Der Kleine drohte: "Ich verklage dich." Welche Stammkunden gibt's? Regelmäßig kommt die Polizei. Kürzlich sagte eine Polizistin ganz spontan: "Gut, dass in der Nähe ein Unfall war. Ich brauche ja auch einmal einen Kaffee." Nachdem sie pikierte Blicke von anderen Gästen geerntet habe, versicherte sie, dass es sich nur um einen Blechschaden gehandelt habe. Auch die Müllabfuhr versorgt sich am "Mühlen-Pavillon". "Karina hat erst den Müllmännern, wenn sie die Tonnen abholten, regelmäßig einen Kaffee hinterhergetragen", schildert Felix. "Mittlerweile frühstücken sie hier. Den Kaffee gibt es aber immer noch gratis." Ein Hundesitter bindet regelmäßig acht Vierbeiner an einem Straßenschild an, während er sich einen Kaffee holt. Und dann ist da noch die alte Dame, die am Kiosk parkt, mit dem Bus zur Uniklinik fährt und auf dem Rückweg immer ein Stück Kuchen am "Mühlen-Pavillon" isst.

Mühlen-Pavillon

Mühlen-Pavillon, Gleueler Straße, 373A, Montag bis Freitag, 8 bis 18.30 Uhr; Samstag und Sonntag, 10 bis 18.30 Uhr, Telefon: 0221 79 00 78 34 www.mühlen-pavillon.de

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