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Kiffen auf Rezept?Nur wenige Ärzte verschreiben Cannabis – Eva Milz tut das

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Symbolbild.

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Berlin – Legales Kiffen auf Rezept – so sehen Kritiker den Sinn des Gesetzes, das der Bundestag im März beschlossen hat. Erstmals dürfen Ärzte Cannabis verschreiben. Eine von ihnen ist Eva Milz, Psychiaterin mit Praxis in Johannisthal.

Die Blüten der Hanfpflanze können schwere Krankheitssymptome lindern – chronische Schmerzen, spastische Lähmungen, Übelkeit, Angst. Doch die Pflanze kann mehr. Das meinen Mediziner, die sich der Erschließung des therapeutischen Potenzials von Cannabis verschrieben haben. Es sind nur wenige in Deutschland, die meinen, dass es sich lohne, Cannabis als Therapieversuch einzusetzen.

Eva Milz weiß um die Zurückhaltung vieler Kollegen beim Umgang mit dem Arzneimittel. Denn Ärzte dürften Medizinal-Cannabis nur verschreiben, wenn Standardtherapien nicht helfen oder eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf“ besteht. „Die meisten Ärzte reden sich heraus und denken, man müsse den Kopf unterm Arm tragen, ehe man Cannabis bekommt“, sagt Eva Milz. Doch die Angst vor dem Mittel sei unbegründet.

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Als Arzneimittel wurde Cannabis bereits im Altertum eingesetzt, darunter in China und Ägypten. Diese Erfahrung sei verloren gegangen, sagt Eva Milz. Kein Medizinstudent erfahre zum Beispiel, dass der Körper viele Andockstellen für die Stoffe aus der Hanfpflanze besitze. Über diese würden Botenstoffe gesteuert, die für das Funktionieren der Nervenzellen sorgen. „Das gehört in jedes Lehrbuch“, sagt Eva Milz.

Bundesweit waren es etwa tausend Patienten

Sie arbeitete an vielen Kliniken, zuletzt als Psychiaterin im Unfallkrankenhaus Berlin. Sie kennt das Spektrum der Mittel der modernen Medizin. Auf Cannabis als Therapieoption wurde sie erstmals 2002 angesprochen. Sie arbeitete damals in der Patientenberatung für das Medizin-Portal eines Fachverlages. Multiple-Sklerose-Patienten, mir denen sie redete, hatten durch Zufall – etwa beim Rauchen eines Joints – festgestellt, dass Cannabis ihnen hilft wie kein anderes Mittel.

Viele fragten, ob es nicht legal zu bekommen sei. Bei der Arbeit für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wiederum traf Eva Milz auf Menschen, die an einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) litten und berichteten, dass es ihnen nach dem Cannabisentzug dauerhaft schlechter gehe.

Als sie 2015 ihre Praxis gründete, arbeitete sie mit dem Arzt Franjo Grotenhermen zusammen, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM). Eva Milz begutachtete Krankengeschichten von Patienten aus dem ganzen Bundesgebiet und schickte sie an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Dieses erteilte zu jener Zeit noch Ausnahmegenehmigungen für Patienten, die Cannabis nutzen durften.

Bundesweit waren es etwa tausend – 20 Prozent davon ADHS-Patienten. Die Betroffenen können sich nicht konzentrieren, weder lernen noch arbeiten. Sozial geraten sie oft ins Abseits, weil sie Ausraster haben. Doch nach dem Konsum von Cannabis konnten sie sich konzentrieren, wurden lern- und arbeitsfähig. Viele bekamen ihre Impulsivität in den Griff.

Bei ADHS scheine das THC die Konzentration und die Fokussierung der Patienten zu fördern

Das liegt laut Eva Milz an der Vielfalt der Inhaltsstoffe der Hanfpflanze, vor allem der Cannabinoide. „Der Hauptplayer, den die meisten kennen, ist das THC“, sagt sie, ausgeschrieben Tetrahydrocannabinol. Es hat eine rauschhafte, psychoaktive Wirkung. „Ziemlich unbekannt ist dagegen das Cannabidiol, CBD“, sagt Eva Milz. Es wirke wie ein Gegenspieler zum THC: angst- und krampflösend, entspannend und antientzündlich. Hinzu kämen noch weitere Cannabinoide, ätherische Öle und Aromastoffe.

Die Bestandteile wirkten zusammen. Bei ADHS zum Beispiel scheine das THC hauptsächlich die Konzentration und die Fokussierung des Patienten zu fördern, sagt Eva Milz. Das CBD löse wahrscheinlich die Angst. Denn Impulsivität und Ausraster hätten viel mit Angst zu tun.

Verblüfft las die Psychiaterin in den Arztbriefen, dass es immer wieder die Eltern junger ADHS-Patienten waren, die fragten, ob man Cannabis nicht legalisieren könne. Jene, die am engsten an den Betroffenen dran waren, hatten gemerkt, dass herkömmliche Medikamente wie Ritalin die Leidenden zwar ruhigstellten, zugleich Kreativität und Lebendigkeit bremsten. Cannabis hatte sich als Alternative herumgesprochen.

Bei Multiple-Sklerose-Patienten wiederum wirke das Mittel gegen Schmerz und Muskelkrämpfe, weil ebenso beide Anteile – THC und CBD – enthalten seien, sagt Eva Milz. Wie vielfältig das Mittel ist, zeigt eine Liste mit 14 Sorten von Medizinal-Cannabisblüten mit unterschiedlichen Dosierungen.

„Ich warte seit zwei Jahren auf die kritischen Fragen von Cannabis-Gegnern“

Viele Menschen denken bei Cannabis zuerst an Rauschgift, an mögliche Sucht und deren Folgen. Aber auch diese seien von einem erfahrenen Arzt gut zu steuern, sagt Eva Milz. Sie erinnert an herkömmliche Medikamente, die schwerste Abhängigkeiten auslösen. Cannabis mit seinen vergleichsweise milden Entzugssymptomen könne möglicherweise als Ersatz dienen.

Eines vermisst Eva Milz: „Ich warte seit zwei Jahren auf die kritischen Fragen von Cannabis-Gegnern, doch ich bekomme sie nicht.“ Stattdessen kämen verzweifelte Patienten zu ihr, die von anderen Ärzten rausgeworfen worden seien – als vermeintlich Süchtige, die auf Umwegen an Stoff kommen wollten.

Die Ärztin ist unter anderem mit Forschern einer Hochschule im Gespräch. Geplant sind Studien zum Einsatz von Cannabisblüten beim Tourette-Syndrom, bei ADHS und anderen Krankheiten, wo das Mittel bereits eingesetzt wird. „Ich würde gerne 30 bis 50 Präparate haben, die ich so einsetzen kann, wie es notwendig ist“, sagt sie. Einsatzgebiete sieht sie etwa bei entzündlichen Darmerkrankungen, Ängsten, Schlafstörungen, Neurodermitis, Migräne und anderen Beschwerden.

Ein Problem sind die Kosten. Die Krankenkassen genehmigen nur etwa die Hälfte der Anträge. Doch eine Behandlung kann durchaus bis zu 3000 Euro im Monat kosten. Für ein Gramm Cannabis verlangen die Apotheken 22 Euro. Viele könnten es sich nicht leisten.  

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