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Vor 40 JahrenKölner Brüder segeln von Australien zurück zum Dom

Lesezeit 6 Minuten
Nach Monaten auf hoher See legte die „Golden Plover“ im August 1977 für vier Wochen in Köln an.

Nach Monaten auf hoher See legte die „Golden Plover“ im August 1977 für vier Wochen in Köln an.

Köln – Die „Golden Plover“ gibt es nicht mehr, aber die Erinnerungen sind geblieben. Wer damals auf dem 30 Meter langen Windjammer war, kann Seemannsgarn spinnen bis ans Lebensende. 40 Jahre ist es her, dass die Kölner Brüder Gert, Günter und Helmut Jacoby zusammen mit anderen Freiheitsliebenden in Köln anlegten und sensationelle Fotomotive boten: Ein Segelschiff auf dem Rhein – eine stattliche Zweimast-Bark mit bärigen Seemännern an Bord –, das hatte es lange nicht gegeben.

Als die Crew mit Hilfe ihres 150-PS-Motors rheinaufwärts nach Köln schipperte, hatte sie schon die halbe Welt umkreist. Monate zuvor waren die Jacobys in Australien in See gestochen. Nun hatten sie ihr wichtigstes Etappenziel erreicht und nutzten eine vierwöchige Pause, um die Fantasie der Kölner anzuregen. „Braun gegerbt von der Sonne, muskelbepackt – so stehen sie da, wie ein Bild aus anderen Zeiten, wie jene heimgekehrten Argonauten der griechischen Sage, Odysseus und seine Gefährten“, schrieb der „Kölner Stadt-Anzeiger“ im August 1977.

Tour begann mit Schwerstarbeit

Die Bärte sind geblieben, mittlerweile aber grau geworden. Gert und Günter Jacoby sitzen unter Bäumen an der Alten Feuerwache im Agnesviertel und erzählen von einer Segeltour, die mit Schwerstarbeit begann und triumphal endete. Längst leben sie nicht mehr im Kunibertsviertel, wo sie nach dem Krieg aufwuchsen und in den Trümmern der Stadt „machten, was wir wollten“, um danach Hippies der ersten Stunde zu werden. Gert wohnt seit Jahrzehnten in einem selbst gebauten burgartigen Anwesen in Australien, Helmut ist ebenfalls Australier und Günter ging in Südfrankreich vor Anker, wo er einen Hof aus dem 17. Jahrhundert restaurierte. Das Leben der Jacobys war alles, nur nicht langweilig.

Zum 40. Jahrestag ihrer Kölner Ankunft in der „Golden Plover“ sind Gert und Günter kürzlich noch einmal in ihre Heimat gekommen und haben sich mit anderen Crewmitgliedern von damals getroffen. Die Abenteuer von früher schweißen sie noch immer zusammen, die Geschichten gehen ihnen nicht aus. Die Vergangenheit hat aber auch körperlich ihre Spuren hinterlassen. Beide Brüder sind beim Gehen auf Stöcke angewiesen. „Wir haben unsere Gesundheit auf dem Schiff gelassen“, sagt Günter Jacoby, heute 74 Jahre alt. Die zupackenden Bären von einst sind zahm geworden.

Verrottetes Schiff wieder flott gemacht

Besonders kräftezehrend war der Umbau des früheren Küstendampfschiffs aus dem Jahr 1909 in einen Zweimaster. Gert Jacoby, der einst sein Geld als Sänger von Volks- und Seemannsliedern verdiente, war in den 1960er Jahren mit einem VW-Bulli nach Australien gereist. Dort tat er sich mit einem Freund zusammen, um das verrottete, ausgebrannte und tief im Schlick des australischen Flusses Maribyrnong River bei Melbourne steckende Schiff namens „Plover“ (übersetzt: Regenpfeifer, eine Vogelart) wieder flottzumachen. Als der Freund das Projekt fallen ließ, übernahm es Gert Jacoby. Er holte seinen Bruder Günter dazu, der bereits in Australien lebte, dessen Zwillingsbruder Helmut und einen Freund, der Schweißer war.

Ein Engländer erklärte ihnen, wie man segelt und wie so ein Wrack aufgebaut wird. „Ahnung vom Schiffsbau hatten wir nämlich keine“, sagt Günter Jacoby. Und auch keinen Schimmer, wie viel Mühe das Projekt machen würde. Aus den zunächst veranschlagten viereinhalb Monaten wurden sechs Jahre Aufbauzeit. „Das war eine unwahrscheinliche Arbeit“, sagt Gert Jacoby, der zusätzlich abends in Melbourne sang, um Geld zu verdienen. Bruder Günter arbeitete nachts auf dem Gemüsemarkt, tagsüber ging er in die Wälder und schlug 30 Meter hohe Bäume für das Schiffsgerippe. Die „Plover“, aus der später die „Golden Plover“ (Wanderregenpfeifer) wurde, war ein Fass ohne Boden. Je mehr das Team daran arbeitete, desto mehr Baustellen taten sich auf. Die Aussteiger blieben hartnäckig, um ihren Traum zu verwirklichen: mit der „Golden Plover“ nach Köln segeln, um dort ihre „Mama“ zu besuchen. Und dann wieder zurück nach Australien zu fahren.

Mit Kindern unterwegs

Um nicht an den Rheinbrücken hängenzubleiben, konstruierten sie ihr Boot so, dass die beiden Masten eingeklappt werden konnten. Am 13. Juni 1976 begann der große Traum Fahrt aufzunehmen. Die „Golden Plover“ stach in Australien in See, an Bord die Jacoby-Brüder, Gert Jacobys Frau, ihre beiden Kinder sowie elf Passagiere – untergebracht in Kabinen mit maximal neun Quadratmetern. Es begann ein Abenteuer, das die Besatzung über die Philippinen, Bali, Indonesien, Singapur, die Seychellen, durch den Suez-Kanal, das Mittelmeer, Rotterdam bis nach Köln führte, unterwegs galt es Minenfelder zu überstehen, Orkane, tagelange Flauten und gebrochene Masten. „Die Fahrt war keine Kleinigkeit, ein Erlebnis“, sagt Günter Jacoby.

Als Entschädigung für die Strapazen gab es fliegende Fische bei Sonnenaufgang zu bewundern, malerische Buchten und einen Hauch von Piratenromantik. Den Chefposten an Bord hatte sich Gert Jacoby rustikal erarbeitet. „Meine Brüder fanden es nicht so einfach, dass ich der Kapitän war“, sagt der 72-Jährige: „Schließlich war ich der Kleinste und Jüngste.“ Die Sache wurde mit Armdrücken geregelt. Gert gewann und hatte fortan das Sagen: „Ich habe gesagt, jetzt haltet die Schnauze, ihr macht jetzt, was ich sage.“ Ein Segelschiff sei eben keine demokratische Veranstaltung.

Immer wieder nahm die Stammcrew zahlende Gäste auf, um ihr Projekt zu finanzieren. Yörk Löffler gehörte dazu. Für den heute 63-jährigen Kölner änderte sich das Leben von Grund auf, als er im September 1977 die „Golden Plover“ bestieg, die vier Wochen am rechtsrheinischen Ufer in Höhe des Doms gelegen hatte und nun für den Rückweg nach Australien die andere Hälfte der Welt durchqueren sollte. Für Schiffe hatte sich der damals 23-Jährige schon immer interessiert, nicht aber für seinen Job im väterlichen Unternehmen für Unterhaltungsautomaten. Die Gelegenheit für einen Ausbruch aus seinem alten Leben war günstig.

„Ich hatte ein mulmiges Gefühl“ 

„Ich habe mir das Schiff angeguckt und mich als zahlender Gast eingetragen“, sagt Löffler. Freilich, ohne sich Chancen auszurechnen, denn vor ihm hatten sich schon 100 andere angemeldet. Doch viele sprangen im letzten Augenblick ab, und Yörk Löffler durfte mit. „Ich hatte ein mulmiges Gefühl, aber ich habe es gemacht irgendwie. Meine Eltern haben die Hände überm Kopf zusammen geschlagen.“ In Rotterdam stieg er zu und blieb drei Monate an Bord, segelte durch die Karibik, schrubbte das Deck mit halbierten Kokosnuss-Schalen und lernte die Jacoby-Brüder schätzen, die ein breites Kölsch sprachen und Lieder von Degenhardt sangen. „Gert hat eine Weltoffenheit, die mich einfach erstaunt hat“, sagt Löffler: „Die Art, wie er auf Menschen zugehen konnte, war toll.“ Nach seiner Zeit auf der „Golden Plover“ arbeitete Löffler noch drei Jahre im Betrieb seines Vaters und stieg dann auf ein anderes Schiff um. Zurück in Köln wendete er sich endlich den Dingen zu, die ihm Spaß machten: „Ich habe nachher den Absprung geschafft und letztendlich Tischler gelernt.“

Kein gutes Ende nahm die „Golden Plover“. Die Jacobys nutzten sie als Ausflugsschiff in Australien und stellten sie für Filmproduktionen wie „Die blaue Lagune“ und „Dead Calm“ zur Verfügung. Vor einigen Jahren kaufte ein Holländer das Schiff und verschliss es. Die brauchbaren Teile wurden verkauft, die „Golden Plover“ ist Geschichte. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein großes Abenteuer.

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