Multiple Sklerose„Ich bin unheilbar krank – und habe trotzdem drei Kinder gekriegt“

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

„Man sieht dir die Krankheit gar nicht an“, sagen viele zu Autorin Julia Hubinger, 38. 

Sie war gerade 30 Jahre alt, als sie erfuhr, dass sie unheilbar krank ist. Julia Hubinger brauchte einige Zeit, um das zu verinnerlichen und wusste bald: Sie wollte sich der Krankheit nicht kampflos hingeben. Statt harter Medikamente wählte sie einen ganz anderen, überraschenden Weg, um ihrer Krankheit ein Schnippchen zu schlagen.

Julia hatte ein merkwürdiges Kribbeln in den Fingern verspürt, das sie sich nicht erklären konnte. Nun lag sie in einer „beklemmend engen metallenen Röhre“ beim MRT, um mögliche Ursachen zu erkennen – und bekam Panik. Was, wenn ein Hirntumor entdeckt würde? Oder etwas anderes lebensverkürzendes?

Multiple Sklerose: Und plötzlich ist alles anders

Sie war doch gerade auf einem so guten Weg! Nach fünf Jahren Fernbeziehung war sie endlich mit ihrer großen Liebe Paul zusammengezogen und auch beruflich lief es super. Sie hatte so lang auf diesen Moment gewartet – nun machte ihr der eigene Körper jawohl bitte keinen Strich durch die Rechnung...

Das könnte Sie auch interessieren:

MS, Multiple Sklerose. So lautete die Diagnose. Sie hatte einen Schub gehabt, darum das Kribbeln in den Fingern. Sie könnte weitere Schübe kriegen. Oder nicht. Der Verlauf einer MS lässt sich nicht vorhersagen. Einige Patienten leben gut damit, andere eher nicht. Eins aber ist gewiss: Die Krankheit ist nicht heilbar.

„Man sieht dir die Krankheit gar nicht an.“

Die ersten Tage nach der Diagnose waren heftig. Immer wieder schaute Julia in den Spiegel, um nach Zeichen für ihre Erkrankung zu suchen. Aber da war nichts. Sie sah aus wie immer, dabei war doch jetzt alles anders. „Alles wie immer, nichts wie sonst“, so hat sie nun auch das Buch genannt, das sie über ihren Weg mit und nach der Diagnose MS geschrieben hat.

Multiple Sklerose gilt als zweithäufigste neurologische Krankheit im jungen Erwachsenenalter. Weltweit sind über 2,5 Millionen Menschen daran erkrankt. Das Immunsystem greift sich selbst an, die Signale von Nerv zu Nerv werden nicht mehr richtig übertragen. Das kann zu Taubheit, Blindheit, Nervenschmerzen oder Lähmungen führen. Das muss es aber nicht.

Die MS wird nie wieder verschwinden

Trotzdem drohte Julia nach der Diagnose in ein Loch zu fallen. „Die MS machte mir große Angst. Ich hatte den Rollstuhl, Inkontinenz und alles, was da kommen kann, vor Augen.“ Doch von dieser Angst versucht sie sich heute frei zu machen. Natürlich ist da auch heute noch diese Ungewissheit, wie die Krankheit verlaufen wird. Aber sie räumt ihr nicht mehr so viel Platz ein.

Selbsthilfegruppen, die sie runterziehen, besucht sie nicht mehr. Mit der Sorge um die Zukunft verliere sie nur wertvolle Stunden an die MS, schreibt sie. Bis hier hin brauchte sie aber ein bisschen. Besonders ihr Mann Paul half ihr mit seiner Zuversicht, die Lebensfreude nicht zu verlieren. Du schaffst das. Wir schaffen das.

Was die MS für die Angehörigen bedeutet

Hubingers Buch liest sich immer wieder wie eine Liebeserklärung an ihren Mann. Er, der sie zu den Untersuchungen begleitete, sie aufbaute, mit ihr die Ernährungsumstellungen mitmachte und immer wieder dafür sorgte, dass sie so wenig Stress wie möglich hatte, denn „Stress ist Gift für Multiple-Sklerose-Patienten“.

Und dann war da ja noch der Arzt, der sie und ihn direkt nach der endgültigen Diagnose fragte, ob sie denn darüber nachdenken, Kinder zu bekommen. „Paul und ich schauen uns an“, heißt es im Buch. „Ein Blick. Eine Sekunde. Und dann ist sie gefallen, die Entscheidung: ein Kind. Wir wollen jetzt ein Kind!“

Ein Baby auf Rezept

Ein Baby statt harter Medikamenten-Therapie. Drei Wochen später ist Julia schwanger. Da der Arzt erzählt, dass es den meisten MS-Patienten in der Schwangerschaft besser gehe und die Schub-Wahrscheinlichkeit kleiner wird, muss Julia nun also nicht mit starken Medikamenten anfangen, sondern darf sich auf ihre Tochter freuen. Emma.

Ein Kind auf Rezept. Ein Wunschkind. Und bald nach Emma macht sich auch schon Anna auf den Weg. Die Hubingers sind nun zu viert. Erst nach dieser Geburt beginnt Julia, Tabletten gegen die MS zu nehmen. Die Kinder haben ihr sogar ein kleines Döschen dafür gebastelt.

Die MS hat alles verändert

Diese Diagnose, diese Krankheit, sie hat alles verändert. Aber eben nicht nur zum Schlechteren. Am Ende kündigt sich bei Julia und Paul sogar noch ein drittes Kind an, ein kleiner Sohn. Heute bloggt sie als Mama Schulze über ihr Leben als Dreifachmutter mit MS – vor allem, um anderen Mut zu machen.

Die Ungewissheit, wie alles weiter geht, sitzt natürlich weiter mit am Familientisch. Aber viel Zeit zum Drübernachdenken bleibt der Familie nicht.

Buchtipp: „Alles wie immer, nichts wie sonst: Mein fast normales Leben mit multipler Sklerose“, Eden Books, 2017

KStA abonnieren