Spaziergang im AgnesviertelDas liebt Opern-Intendantin Birgit Meyer an ihrem Veedel

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„Ich lebe gerne in der Stadt. Hier kann man die Seele baumeln lassen“, sagt Opernintendantin Birgit Meyer, hier in der Weißenburgstraße.

„Ich lebe gerne in der Stadt. Hier kann man die Seele baumeln lassen“, sagt Opernintendantin Birgit Meyer, hier in der Weißenburgstraße.

Köln – Wer mit der Kölner Opernintendantin einen Spaziergang durch ihr Veedel unternimmt, könnte danach problemlos ein Buch schreiben. Das hat einen einfachen Grund.

„Mein Balkon“ – Birgit Meyer im Café Elefant.

„Mein Balkon“ – Birgit Meyer im Café Elefant.

Birgit Meyer lebt gern in ihrer Geburtsstadt und weiß davon zu erzählen. Sie taucht tief und intensiv in das urbane Leben ein. Sie hat sich für alle Bedürfnisse und Anforderungen des Alltags die passende Anlaufstelle in ihrer Nähe gesucht.

Und sie hat einen Blick für Menschen. Seit 2009 wohnt Birgit Meyer im Agnesviertel, erst in der Melchiorstraße, dann in der Lupus- und nun in der Weißenburgstraße.

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An jedem Standort hat sie rasch erkannt, was sie für ihr persönliches Biotop und ihren Biorhythmus benötigt, der keinem starren Stundentakt folgt, sondern kreativen Spannungskurven. So lebendig, wie sie das schildert, so fesselnd ist das für den, der zuhört.

Treffpunkt der Nachbarschaft

Der gemeinsame Spaziergang beginnt am Café Elefant in der Weißenburgstraße. Als führte jemand heimlich Regie, stromert just im Moment des Treffens der Kabarettist Richard Rogler vorbei – nicht der einzige bekannte Kölner, der hier in der nördlichen Altstadt sein Domizil hat.

Die Weißenburgstraße mit ihren alten Platanen und dem von ihnen gebildeten dichten dunkelgrünen Dach hat etwas von der gediegenen Behaglichkeit eines großen bürgerlichen Wohnzimmers. Roglers aufgeräumte Stimmung, der entweder sehr früh aufgestanden oder noch gar nicht zu Bett gegangen ist, passt dazu.

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Impression aus dem Agnesviertel

„Das Café Elefant ist mein Balkon“, sagt Birgit Meyer und unterstützt damit den Eindruck eines von drinnen nach draußen auf die Straße verlagerten Lebensgefühls. Sie wohnt gegenüber dem „Café Elefant“ in einem beeindruckenden Altbau.

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Leila und Mohammed Khayati in ihrer besonderen Schnellreinigung im Agnesviertel

Aber vor dem Café sitzt es sich schöner. Es gibt russischen Zupfkuchen, Blinis (kleine russische Pfannkuchen), Frühstücksgedecke, Kaffee, Tee. Man sitzt auf bunt gestrichenen Balkonstühlen und kann, wie die Intendantin festgestellt hat, „die Seele baumeln lassen“. Wer das mit einer Zigarette verstärken möchte, bestellt sie sich beim Personal. Auf der Karte steht tatsächlich „Eine Zigarette“.

Während Birgit Meyer über kölsches Brauchtum im Viertel mit archetypischen Inszenierungen wie der Nubbelverbrennung zum Karnevalsende räsoniert, kommt Rogler ein zweites Mal des Weges, diesmal mit einem Leinenbeutel in der Hand.

Treffpunkt im Agnesviertel

Gegenüber vom „Café Elefant“ befindet sich „Beates Haartraum“. Als „Friseursalon“ ist die Lokalität nur unvollkommen beschrieben. Die Eigentümerin habe sie zu einer Art Treffpunkt im Veedel gemacht, schildert die Intendantin. Für einen Schwatz mit den Nachbarn stehen Stühle vor der Tür, Tische im Innenhof.

Beate macht deutlich mehr als nur Haare, sie sorgt für Vernetzung und schlägt Informationen um. Als Rogler irgendwann einen Kabarettabend in der Nähe hatte, hing natürlich ein Plakat im Friseursalon, das den Auftritt ankündigte.

Birgit Meyer muss ein pralles Leben bändigen. Ihr Mann, die Haustiere und der Hausstand sind in Wien. Die Kölner Oper ist, wie jeder Zeitungsleser weiß, ein Problemfall.Auf der Baustelle am Offenbachplatz ist massiv gepfuscht worden.

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Der Jazz-Kiosk im Agnesviertel

Einerseits hat sie in ihrer künstlerischen Arbeit mit Limits aller Art zu kämpfen. Andererseits nehmen die Ansprüche an die Intendantin als Desaster-Managerin kein Ende – angesichts ständig neuer Hiobsbotschaften. Da brauche sie das Gefühl, daheim zu sein, sagt Meyer.

Das Agnesviertel sei dafür immer der richtige Ort gewesen. Nach dem Krieg verpflanzte Meyers Großmutter die Familie samt ihrer Kinder vom norddeutschen Kiel nach Köln, weil hier mehr Wohnraum zur Verfügung stand. Die kleine Birgit kam 1960 dann schon am Rhein zur Welt.

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Beates Haartraum im Agnesviertel

Zwar wuchs sie etwas weiter südlich in Porz auf, lernte aber auch die Innenstadt kennen. Ihre Oma wohnte nahe Eigelstein in der Ursulagartenstraße, eine Tante im Agnesviertel. Wir schauen kurz in die Lupusstraße.

Ihre Wohnung dort hatte Meyer auf die gleiche Weise gefunden wie ihre aktuelle. Sie lief mit aufmerksamem Blick durch die Straßen, achtete auf Aushänge und laufende Renovierungen und fragte sich durch. Weiter geht es zum Neusser Platz.

Fan der Fischgerichte im Cucina di Rosa

Hier ist einiges von dem konzentriert, was Birgit Meyer wichtig ist. Im „Cucina di Rosa“ geht sie gerne essen. Sie schätzt die Fischgerichte, den Wein und das Geknubbel in dem kleinen Restaurant, „wenn alle essen und alle miteinander reden“.

„Ich lebe gerne in der Stadt. Hier kann man die Seele baumeln lassen“, sagt Opernintendantin Birgit Meyer, hier in der Weißenburgstraße.

„Ich lebe gerne in der Stadt. Hier kann man die Seele baumeln lassen“, sagt Opernintendantin Birgit Meyer, hier in der Weißenburgstraße.

„Schnell + sanft + sauber“ nennt sich die benachbarte Textilreinigung von Mohammed und Leila Khayati, die auch als Lebensbegleitungszentrale fungiert. Man kann dort Hausschlüssel hinterlegen, damit Dritte sie abholen. Man bekommt seine Wäsche auch ohne Abholbeleg.

Man kann sich Putzhilfen vermitteln lassen. Im Kiosk gegenüber gibt es Zeitungen („Ich bin leidenschaftliche Leserin“), Crèpes und auch Getränke, was aber – Meyer betont das ausdrücklich – nicht zu solchen Auswüchsen wie auf dem Brüsseler Platz führe.

Auf dem Neusser Platz selbst findet alle paar Wochen ein Markt für Gebrauchträder statt. Die Intendantin hat dort bereits ihr viertes gekauft, nachdem alle drei Vorgänger über die Jahre gestohlen worden waren. Einige Schritte stadtauswärts auf der Weißenburgstraße stoßen wir auf die „Florale Galerie“ von Floristikmeisterin Ilona Schmidt und gehen über Rosenblätter in das Ladenlokal mit all seinen Blumen.

Jazz-Kiosk war überlebenswichtig

Die Agnessträußchen haben es Birgit Meyer besonders angetan: bunte Bouquets mit allem, was gerade Saison hat, für Gäste der Oper oder einfach zur Freude der Intendantin selbst. In der Balthasarstraße 18 stoßen wir auf den „Jazz-Kiosk“. Heute verfolgt er andere Ziele als 2009, als Birgit Meyer, damals noch Chefdramaturgin und Operndirektorin, hier spätabends ihre Lebensmitteleinkäufe erledigen und alles Überlebenswichtige finden konnte.

Mittlerweile haben viele Supermärkte bis Mitternacht geöffnet. Der Kioskbetreiber hat sich deshalb auf Jazz spezialisiert, veranstaltet selbst kleine Konzerte. In den sozialen Medien wirbt er für den Kiosk mit dem „coolen Eistee“. Unweit davon entfernt wohnte Birgit Meyer gegenüber vom „Café Courage“, das auch eine Art Trödelladen ist und mit „Hansi Hase und seiner Schultüte“ die Kundschaft anspricht.

Der Trost der Taxi-Fahrer

In der Melchiorstraße 12 bewundern wir „Die Klavierwerkstatt“ von Johannes Jee. Der Klavierbauer hat einen Teil der Tastatur ausgestellt. Meyer erklärt den ausgeklügelten Mechanismus, der in Gang kommt, wenn der Pianist eine Taste anschlägt. In Reih und Glied angeordnet, machen die filigranen mechanischen Meisterwerke aus vor allem Holz und Filz das komplexe Innenleben des Instruments aus.

Endlos-Drama rund um die Oper

Sie kennen die Chefin des Hauses und geizen nicht mit lobenden Worten. Sie teilen die Zeitung mit ihr („Ich habe den Express schon gelesen. Möchten Sie?“) und fragen auch schon mal teilnahmsvoll, ob ihr die Arbeit denn überhaupt noch Spaß mache angesichts des Endlos-Dramas rund um die Oper. Ihr Zuspruch hat für Meyer noch immer etwas Aufmunterndes gehabt.

Mittlerweile sind wir fast am Ebertplatz angelangt und biegen in die Neusser Straße ein. Auch hier reihen sich die Birgit-Meyer-Wohlfühl-Stationen aneinander: der „Rewe City“, in dem sie beim Späteinkauf immer die gleichen Kunden trifft; die Filiale von „Kieser Training“, die Meyer nach eigener Aussage nur „viel zu selten“ besucht, obwohl es ihrem Rücken gut täte; das „Brauhaus Stüsser“ natürlich, wo jeder mit jedem spricht und keiner daran Anstoß nimmt, sich zu anderen Gästen an den Tisch zu setzen.

Nicht nur die Reichen und die Schicken

Buntes, vielfältiges Gewimmel auf dem Gehsteig zeugt davon, dass im Agnesviertel keineswegs bloß die Reichen und Schicken leben. Die Neusser Straße ist „Köln normal“ und nimmt mit vielen kleinen Läden für sich ein, die von der überall gleichen, konfektionierten Filialisten-Tristesse abweichen.

„Das strahlt was aus“, sagt Birgit Meyer – ein Urteil, das es in sich hat nach Stationen in Regensburg, München, Innsbruck und Wien. „Hier fühle ich mich immer zu Hause.“

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