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NRW-ErmittlungenGeld über Umsatzsteuer hinterzogen und Terror finanziert

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Auch islamistische Terroristen sollen finanziert worden sein.

Auch islamistische Terroristen sollen finanziert worden sein.

Düsseldorf – Die Spur des Geldes verlief über mehrere Landesgrenzen hinweg. Die Fährte führte über die Niederlande, Polen, Tschechien bis nach Großbritannien. Monatelang verfolgten Beamte des Landeskriminalamts (LKA) NRW und Steuerfahnder in der Sondereinheit EOKS mit ihren ausländischen Kollegen ein Kartell, das Umsatzsteuerbetrügereien im großen Stil abwickelte.

Die Drahtzieher vom Finanzplatz Dubai ließen über etliche Briefkastenfirmen im In- und europäischen Ausland Waren kreiseln. Über ein geschickt inszeniertes Umsatzsteuerkarussell betrogen sie den Fiskus hierzulande um zig Millionen Euro. Ehe die Finanzämter aber auf den Schwindel aufmerksam wurden, floss das Geld über dunkle Kanäle an die Hintermänner auf der Arabischen Halbinsel.

In einer konzertierten Aktion schlugen die Ermittler zu. Wie das NRW-Finanzministerium dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigte, entdeckten Geldspürhunde der Polizei bei einer Razzia gegen Bandenmitglieder in Deutschland rund zwei Millionen Euro Bargeld. Die Betrüger hatten das Geld hinter Wandverkleidungen versteckt. Der Fall sorgte für zusätzliche Brisanz, als die Fahnder herausfanden, dass die Bande mit den Gewinnen islamistische Terror-Gruppen finanzierten.

Erfolge der Spezialeinheit

Seit mehr als einem Jahrzehnt bereiten Umsatzsteuerkarusselle dem deutschen Fiskus immense Probleme: Laut einem internen Vermerk laufen „unter Beteiligung von EOKS bundesweit Ermittlungsverfahren, in denen gewerbs- und bandenmäßige Umsatzsteuerhinterziehungen mit Schäden von mehr als 10 Milliarden Euro verfolgt werden.“ Oft stecken hinter diesen Betrugsmodellen professionell organisierte Banden, die aus dem Ausland heraus agieren – zum Teil auch, „um den islamistischen Terrorismus zu finanzieren“, heißt es weiter.

Seit ihrem Start im Februar 2015 erzielte die NRW-Spezialeinheit bis Ende Juli 2017 zusätzlich Mehreinnahmen für die Staatskasse in Höhe von 144 Millionen Euro. In den abgeschlossenen Verfahren seien Haftstrafen von zusammengerechnet mehr als 54 Jahren verhängt worden, so das Finanzministerium.

Die NRW-Fahnder warnen in einem Strategiepapier vor einer neuen Einnahmequelle des globalen Dschihad: „Da der internationale Terrorismus erkannt hat, dass seine Finanzierung auch durch organisierten Umsatzsteuerbetrug gewährleistet werden kann“, raten die Experten zur Offensive.

Die Landesregierung in Düsseldorf will nun mit Hilfe einer neugegründeten Task Force aus Steuerfahndern, Kripo-Beamten und Staatsanwälten „einen starken Beitrag im Kampf gegen Terror, Geldwäsche und Organisierte Kriminalität leisten“, betont Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) im Gespräch mit dieser Zeitung. Mit der neuen Einheit, die die Sondereinheit EOKS verstärken und ergänzen soll, „werden wir die Erfahrungen und Instrumente von Landeskriminalamt, Staatsanwaltschaften und Steuerfahndern bündeln und insbesondere die Geldströme internationaler Terroristen trockenlegen.“

Abu Walaa soll zwei Millionen nach Syrien und in den Irak geleitet haben

Inzwischen haben radikalislamische Salafisten-Netzwerke ihre Methoden verfeinert, um etwa die Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) mit Geld für Waffen und militärische Ausrüstung zu unterstützen. Die Gruppe um den mutmaßlichen IS-Statthalter in Deutschland, dem Hassprediger Ahmad Abdulaziz A. alias Abu Walaa, soll mittels Spenden zwei Millionen über versteckte Kanäle an die islamistischen Schergen in Syrien und in Irak geleitet haben.

Zudem finanzierte die Truppe durch Betrügereien mit Handy- und iPad-Verträgen die Schleusung neuer IS-Rekruten ins Kriegsgebiet. Die Dschihadisten sprechen von Ghanima (Kriegsbeute). Demnach ist es erlaubt, die „Ungläubigen“ dort zu schädigen, wo man sie treffen kann. Geldwäsche, Einbrüche in Kirchen, Raubüberfälle, Schwindel bei Ebay, Produktpiraterie, Zigarettenschmuggel oder „Autobumsereien“, bei denen organisierte Banden im Ruhrgebiet bewusst Unfälle herbeiführen, um Kfz-Versicherungen auszunehmen, gehören inzwischen zur Agenda islamistisch motivierter Wirtschaftskrimineller.

Besonders hoch fallen die Erträge beim Umsatzsteuerbetrug aus. Die Masche ist denkbar simpel: Über Briefkastenfirmen starten die Betrüger einen fingierten Warenkreislauf. Mal geht es angeblich um Handys, mal um PC-Teile oder um den Handel mit Gas oder Strom auf dem Energiemarkt, Die Geschäfte finden allerdings nur auf dem Papier statt, tatsächlich fließen weder Geld noch Handelsgüter. Der Schwindel dient einzig dazu, dass betrügerische Unternehmen beim deutschen Fiskus Umsatzsteuer abkassieren, die sie nie gezahlt haben.

Dubai ist Mittelpunkt der Geldwäscher

Weil die angeblichen Waren zuvor über europäische Grenzen hinweg verschoben wurden, ist der Betrug schwer nachzuweisen. Wie bei einem Karussell beginnt dasselbe Geschäft mit derselben vorgeblichen Ware aufs Neue, und der Steuerzahler hat das Nachsehen.

Meist sitzen die Strippenzieher der Steuersyndikate in Dubai. Die größte Metropole der Vereinigten Arabischen Emirate besticht nicht nur durch ihre imposanten Wolkenkratzer und luxuriösen Einkaufsmeilen, sondern gilt auch als internationale Drehscheibe für Geldwäsche und Terrorfinanzierung. Hier saßen auch die Bosse, die mit Hilfe der Deutschen Bank einen riesigen Umsatzsteuerschwindel mit Emissionspapieren eingefädelt hatten. Diese Verschmutzungszertifikate wurden aufgekauft und mit Strohleuten europaweit gehandelt. Der Schaden lag bei gut 850 Millionen Euro.

Bei Samir A., einem der Beteiligten bei der CO2 -Abzocke, fanden sich zudem Bezüge zu Terror-Gruppierungen. Der 27-Jährige hatte bereits als Jugendlicher mit fingierten Warenkreisläufen die hiesigen Finanzbehörden hereingelegt. Er wurde in den USA festgenommen, saß längere Zeit in Auslieferungshaft. Die Kölner Behörden ersuchten 2014 darum, ihn zu überstellen, um ihm den Prozess machen zu können. Der Deutsch-Afghane soll in 89 Fällen mit Karussellbetrügereien 61 Millionen Euro vom hiesigen Fiskus ergaunert haben.

Festnahmen in München

In seinem Auslieferungsbescheid wies der zuständige US-Richter R. Lloyd darauf hin, dass es in dem Fall „Hinweise gibt, dass die Täter die durch diesen Betrug beschaffte Mehrwertsteuer nicht nur zur persönlichen Bereicherung, sondern auch zur Finanzierung von Terror nutzten“.

Jedoch fand sich dieser Punkt nicht mehr in der Anklage der Kölner Staatsanwaltschaft wieder. Nach seiner Auslieferung wurde Samir A. im April 2016 zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Man hatte ihm einzig den Karussellschwindel mit Handys nachgewiesen. Richard Ainsworth, Rechtsprofessor an der Boston University, der den Fall untersuchte, kommt zu dem Schluss, dass Samir A. „nicht als Kopf der Terror-Finanzierer agierte, sondern nur ein Mittelsmann war“. Mehr aber fand der Forscher auch nicht heraus. Auch weil die hiesigen Behörden in diesem Fall mauern. Begründung: Steuergeheimnis.

Die Verschwiegenheit der Behörden ist einer der Gründe dafür, warum nur selten Fälle von Steuerkriminalität in Verbindung mit Terror bekanntwerden. Manchmal jedoch dringen Einzelheiten an die Öffentlichkeit: Vergangenes Jahr etwa enttarnten bayerische Steuerfahnder eine Gruppe, die in belauschten Internet-Telefonaten vom „Economic Dschihad“ schwärmte.

Gemeint war der „Gotteskrieg“ gegen die Wirtschaft der „Ungläubigen“. Die Islamisten sollen sich mit Umsatzsteuerbetrügereien zweistellige Millionenbeträge erschlichen haben. Mit nur einer Rechnung einer Scheinfirma aus Unterföhring bei München, die angeblich mit Strom handelte, forderten die Radikalen 190 000 Euro vom Finanzamt zurück. Euphorisch feierten sie die Gaunereien als berechtigtes Kriegsmittel. Kurze Zeit später wurden sie festgenommen.

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