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AfD-SpitzenkandidatinAlice Weidel beherrscht die rechtspopulistische Rhetorik

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Alice Weidel während einer AfD-Wahlkampfveranstaltung in Pforzheim

Alice Weidel während einer AfD-Wahlkampfveranstaltung in Pforzheim

Berlin – Ha, da ist das Wort wieder. „Ha“, die Rednerin stößt es geradezu hervor, es peitscht durch die Lautsprecher. Alice Weidel verwendet es gern in ihren Reden, auch an diesem Abend in Jena. Es soll Aufmerksamkeit wecken. Es drückt Verachtung aus. „Ha“, kurze Pause, „das Erste, was wir im Bundestag tun werden, ist einen Untersuchungsausschuss Angela Merkel zu initiieren, der sich ganz dezidiert mit den ganzen Rechtsbrüchen dieser Bundeskanzlerin auseinandersetzt.“ Weidel moduliert jetzt im Stakkato. „Sie. Hat. Europa. Gespalten.“ Mit schneidend scharfer Stimme geht sie mit der etablierten Politik ins Gericht, wirbt um Zustimmung für ihre Partei, die eine so beispiellose Erfolgsgeschichte hinter sich hat und bald wohl auch im Bundestag sitzen wird.

Auf dem Jenaer Holzmarkt haben sich kaum mehr als 250 Anhänger eingefunden. Es ist kein Heimspiel für die AfD-Spitzenkandidatin, Jena hat eine starke linke Szene, mehr als 1000 Gegendemonstranten protestieren lautstark, die Polizei hat die Innenstadt abgeriegelt. Die AfD steht hier in Thüringen sehr weit rechts, gegen ihren Vorsitzenden Björn Höcke läuft ein Ausschlussverfahren. Der Brandredner ist nicht erschienen, er macht heute lieber in Magdeburg Wahlkampf, mit Alexander Gauland, dem zweiten Spitzenkandidaten. Alice Weidel, das ist bekannt, hat Höckes Rausschmiss befürwortet. Aber sie hat auch gemeinsame Auftritte nicht ausgeschlossen. Am Ende kommt es nicht dazu.

Weidel wirkt abgehoben

Es ist eine andere AfD-Anhängerschaft, mit der Weidel es hier, im Osten Deutschlands, zu tun hat als im Südwesten, in Baden-Württemberg, wo ihre politische Heimat liegt. Erst vor ein paar Tagen hat sie in einem Saal in der AfD-Hochburg Pforzheim einem eher bürgerlichen Publikum die Seele massiert.

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In Jena spricht Weidel als Letzte, nach der lokalen Parteiprominenz. Sie wirkt abgehoben, ihr Habitus will nicht recht zu denen passen, die auf dem Platz stehen. Es sind meist ältere Männer, ein paar Thügida-Anhänger grölen rechtsextreme Parolen. Weidel, eine große schlanke Frau mit dunkler Intellektuellenbrille, ist stets klassisch gekleidet, heute trägt sie eine dunkle Daunenjacke, einen grauen Schal und Jeans, dazu modische Turnschuhe, die Haare sind wie immer streng zurückgebunden. Ihre Auslassungen zur Eurorettungspolitik interessieren hier nicht jeden. „Die gehört doch auch zu den Bankern“, murmelt ein älterer Mann. „Sei still“, zischt eine Frau neben ihm. Wenn es aber darum geht, dass bald niemand mehr Geld hat auf dem Konto wegen der Nullzinspolitik, dann ist Weidel der Applaus sicher. Das Stichwort Merkel und ihre „Rechtsbrüche“ ist ohnehin ein Selbstläufer.

Wahlkampf macht Weidel Spaß

Es ist die Sorge um diese „Rechtsbrüche“, die sie angetrieben hat, in die Politik zu gehen, sagt Alice Weidel auch im Gespräch. Es findet im gutbürgerlichen Gasthaus „Zum Roten Hirsch“ statt. Weidel hat keine Lust auf ein weiteres Interview, sie ist entnervt und unwirsch. Wahlkampf macht aber auch Spaß, versichert sie dann, und wenn man ihr in diesen Tagen durch die Republik folgt, dann glaubt man das sogar. Im Gespräch wird sie sachlicher, konzentriert, redet wieder über ihr Lieblingsthema, den Euro. Weidel ist die Finanzexpertin der AfD, damit hat sie sich profiliert, darauf ist sie stolz.

Was will sie in einer Partei mit einem dumpfen völkischen Flügel wie hier in Thüringen? Sie zögert, spricht dann über die „Werdungsprozesse“ in allen jungen Parteien, Ende der Diskussion. „Die Basis unseres politischen Arbeitens ist unser Programm und unser Wahlprogramm, an dem ich maßgeblich mitgearbeitet habe“, sagt sie noch. Und dass es keinen Politiker gebe, der zu hundert Prozent hinter seinem Parteiprogramm stehe. „Es gibt immer Punkte, bei denen nachgebessert werden muss.“ Zum Beispiel? Sie nennt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, da habe die Partei relevante Fragen bisher nicht beantwortet, das Wählerpotenzial bei Frauen sei nicht ausgeschöpft. Weidel hat Frauke Petry abgelöst als das „weibliche Gesicht“ der Partei. Sie steht ihr auch an Ehrgeiz nicht nach.

Privatleben sorgt immer wieder für Schlagzeilen

Alice Weidel ist in einer Kleinstadt im Münsterland aufgewachsen, sie ist promovierte Ökonomin, hat in China gelebt, für internationale Unternehmen wie die Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet. Und sie lebt mit einer Frau zusammen, ihre Partnerin ist eine Schweizer Filmproduzentin, die in Sri Lanka geboren wurde. Mit ihr zieht die 38-Jährige im Schweizer Kanton Bern zwei Söhne groß, ihren Hauptwohnsitz hat sie aber in Überlingen am Bodensee. Ihr Privatleben sorgt immer wieder für Schlagzeilen, sie muss sich unangenehme Fragen stellen lassen, wo sie Steuern zahlt und ob sie illegal eine junge Syrerin im Haushalt beschäftigt hat, wie die „Zeit“ berichtet. Und überhaupt, wie passt eine wie sie zu einer homophoben, globalisierungsfeindlichen Partei wie der AfD? Weidel mag solche Fragen nicht, sie zeigt dann Nerven, reagiert oft überheblich.

Es gibt aber längst auch das andere Gesicht der Alice Weidel. In ihren Auftritten bespielt sie virtuos die rechtspopulistische Klaviatur der Angst, beherrscht alle Tonlagen der Empörung. Es ist ein düsteres Bild von Deutschland, das sie zeichnet, es ist ein Land, das von Verbrechern regiert wird, das unter dem Ansturm illegaler Migranten vor dem Zusammenbruch steht, in dem Männer mit Messern tagtäglich Angriffe verüben. „Das muss man sich einmal vorstellen“, ruft sie dann gern, falls doch jemand Zweifel haben sollte. „So etwas“ habe es vor Merkel nicht gegeben.

Weidel ist 2013 in die AfD eingetreten, kurz nach deren Gründung. 2015 wird sie in den Bundesvorstand gewählt, bekannt wird sie aber erst im April 2017 auf dem AfD-Bundesparteitag in Köln. Frauke Petry, die die AfD stärker realpolitisch ausrichten will, wird dort gnadenlos demontiert. Es schlägt die Stunde von Alice Weidel. Zusammen mit Alexander Gauland lässt sie sich zum Spitzenduo für den Wahlkampf küren. Erst nach der Wahl ergreift Weidel zum ersten Mal das Wort. Sie hat an diesem Auftritt lange gefeilt, das ist zu spüren, sie wirkt dennoch hölzern und angespannt. Es doziert eine Wirtschaftsexpertin, leicht herablassend. Aber da ist auch ein anderer Ton, ein rasierklingenscharfer, der einen frösteln lässt, wenn sie Sätze sagt wie „Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.“

Weidel hat sich schon früher beinhart geäußert über Flüchtlinge, über den Islam, das ist nur aus Baden-Württemberg nicht herausgedrungen. Nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei fordert sie, den Befürwortern Erdogans die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Sogar den Begriff des „Schuldkults“, den sonst Rechtsextreme verwenden, hat Weidel schon benutzt. Die „Welt am Sonntag“ hat kürzlich aus einer angeblichen Mail von ihr aus dem Jahr 2013 zitiert, in der sie den Regierenden vorwirft, dass sie durch eine Überschwemmung mit „kulturfremden Völkern wie Arabern, Sinti und Roma“ systematisch die bürgerliche Gesellschaft zerstörten. Eine Fälschung, sagt die AfD.

Weidel beherrscht die Kunst der inszenierten Provokation

Weidel ist professioneller geworden im Wahlkampf, sie redet freier, beherrscht die Kunst der inszenierten Provokation. Ostentativ verlässt sie eine politische Talkrunde im ZDF. Hinterher wird ihr vorgeworfen, den Abgang geplant zu haben. Im Gespräch in Jena bestreitet sie das noch einmal. Das Niveau der Sendung sei unverschämt und niveaulos gewesen, sagt sie, sie habe keinerlei Erkenntnisgewinn gesehen. „Planen kann man so etwas nicht, denn das kann auch nach hinten losgehen.“

Wird das auch der Stil der neuen Fraktion im Bundestag? Weidel verneint das dezidiert. Man werde ernsthafte Oppositionspolitik betreiben. „Alle Abgeordneten müssen sich in dieser ersten Legislaturperiode sehr schnell professionalisieren und in die Verwaltungsstrukturen einfinden, damit wir im Jahr 2021 regierungsfähig werden.“ Das ist ein erstaunlicher Satz, den eine Mehrheit in der Partei derzeit nicht unterschreiben würde, auch Alexander Gauland wohl kaum. Weidel bleibt dabei. „Wir wollen unser Programm durchsetzen“, sagt sie, auch im Parlament. „Die AfD hat allein durch ihre Präsenz schon Einfluss auf den Diskurs genommen, und die anderen Parteien haben im Wahlkampf schon jetzt Positionen der AfD übernommen.“ Es liegt jetzt sehr viel Zufriedenheit in ihrer Stimme.

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