Abo

Evangelischer Kirchenkreis„Deutschland schiebt genau die Falschen ab“

Lesezeit 3 Minuten
Kurze Podiumsdiskussion: Moderator Jörgen Klußmann (2.v.l.) mit Alpha Barry aus Guinea (l.), Adem Vural aus Marienheide (r.) und Bergneustadts Bürgermeister Wilfried Holberg.

Kurze Podiumsdiskussion: Moderator Jörgen Klußmann (2.v.l.) mit Alpha Barry aus Guinea (l.), Adem Vural aus Marienheide (r.) und Bergneustadts Bürgermeister Wilfried Holberg.

Steinenbrück – Mehr als dreieinhalb Stunden Vorträge, Statistiken, Wertungen – über mangelnden Inhalt beschwerte sich niemand beim Informations- und Diskussionsabend „Herausforderung Integration – Ängste, Chancen, Probleme und Perspektiven“.

Der Evangelische Kirchenkreis An der Agger und die Evangelische Akademie im Rheinland hatten nach Gummersbach-Steinenbrück eingeladen. Vorab: Die Beiträge, die die zwei Dutzend Gäste zu hören bekamen, entsprachen sich inhaltlich und ergänzten sich zu einem Meinungsbild, das außerhalb des akademisch-protestantischen Milieus zweifellos Gegenrede erzeugt hätte.

„Wir brauchen eine gemeinsame Kultur der Vielfalt.“

Jörgen Klußmann etwa, Studienleiter an der Evangelischen Akademie im Rheinland und „Coach für interkulturelle und interreligiöse Interaktion“, sprach zum Thema „Die gefühlte Faktenlage – Wovor haben wir eigentlich Angst? Plädoyer für eine gemeinsame Kultur der Vielfalt“. Es erschwere die Integration, sagte er, dass „wir von unserer kulturellen Überlegenheit überzeugt sind“ und dass „wir“ missionieren wollten. Dem Westen warf er vor, sich zwar über das Sprengen von Buddha-Statuen durch die Taliban in Afghanistan zu echauffieren – aber zu vergessen, dass westliche Eroberer Tempelanlagen der Inka zerstört hätten.

Dann schlug er den Bogen von der frühen Neuzeit zurück in die Gegenwart, in der auch Deutschland zunehmend internationale strategische Ziele verfolge und Waffen in Krisenregionen liefere. Zudem habe der Westen ganze Kontinente von der Weltwirtschaft abgehängt. „Unser Verhalten führt dazu, dass wir mit Flucht konfrontiert sind“, wusste der Studienleiter. Sein Credo: „Wir brauchen keine deutsche Leitkultur. Wir brauchen eine gemeinsame Kultur der Vielfalt.“

Unerwartetes berichtete Petra Angela Ahrens: Die Stimmungslage in der Bevölkerung zu Fragen der Flüchtlingskrise habe sich seit November 2015 praktisch nicht verändert. Das habe eine Studie ergeben, von der sie berichtete. Die Mitarbeiterin des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche Deutschlands verwies Medienberichte ins Reich der Legenden, wonach die Stimmung etwa nach den Kölner Silvestervorfällen gekippt sei.

„Zahlen, Daten, Fakten und Analysen zum Thema Integration“ hatte danach die Doktorandin Melanie Ahrens vom Fachbereich Sozialwesen der Uni in Münster ihren Beitrag genannt. Eigentlich seien alle Flüchtlinge gut integrierbar, denn gerade, wenn sie nicht ohnehin schon gut ausgebildet seien, wären sie besonders motiviert. Sie sagte auch: „Deutschland schiebt genau die falschen Flüchtlinge ab.“ Denn Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive wären besonders integrationswillig. Und trotzdem würden sie abgeschoben – „eine Paradoxie!“

Podiumsdiskussion zum Ende

Zum Schluss gab’s noch eine Podiumsdiskussion, in der Bergneustadts Bürgermeister Wilfried Holberg aus dem echten Leben berichtete, etwa von den Schwierigkeiten, die große türkischstämmige Gemeinde in seiner Stadt zu integrieren. Holberg unterschied zwei Felder der Integration – Flüchtlinge, die aus schierer Not ihre Heimat verlassen haben, und Menschen, die freiwillig in ein anderes Land gezogen sind. „Der Wille derer, die in unser Land kommen, sich zu integrieren, hat doch sehr unterschiedliche Ausprägungen.“ Als Beispiel nannte er die Freiwillige Feuerwehr Bergneustadt: Unter den 151 Wehrkräften habe gerade mal ein einziger türkische Wurzeln.

Adem Vural von der islamischen Gemeinde Marienheide, der ausdrücklich als Privatperson in der Runde saß, sagte, das Ziel Integration wolle jeder erreichen. Integration müsse aber messbar gemacht werden. Anders sei nicht zu definieren, wer integriert sei.

Superintendent Jürgen Knabe hatte zu Beginn der Veranstaltung in seiner Begrüßung gefordert, aus der Willkommens- müsse nun eine Integrations-Kultur werden. Er verurteilte Auffanglager vor den Toren Europas und forderte, das Recht auf Familiennachzug müsse zügig wieder in Kraft gesetzt werden.

KStA abonnieren