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Lesung in LeverkusenDie Autistin Pia Kollbach schreibt Texte und Gedichte

Lesezeit 3 Minuten
Brigitta Kollbach stabilisiert mit einem Arm auf der Schulter den Körper ihrer Tochter Pia beim Schreiben.

Brigitta Kollbach stabilisiert mit einem Arm auf der Schulter den Körper ihrer Tochter Pia beim Schreiben.

Leverkusen – Kämpfer kommen nicht unbedingt mit Waffen und Rüstung daher. Sie können auch blonde Locken und zarte Finger haben. Pia Kollbach ist so eine Kämpferin. Ihre Waffen sind ihre Worte und ein Laptop. Denn ohne das elektronische Hilfsmittel würden Silben nur in ihrem Kopf herumwabern, ohne nach draußen zu dringen. Die 23-Jährige ist Autistin. „Menschen haben mich oft gefragt, was in mir vorgeht. Dann habe ich angefangen es aufzuschreiben“, tippt die Studentin der Kulturwissenschaften ins Laptop. Ihre Mutter liest das Geschriebene vor. Seit 15 Jahren kommuniziert die Einser-Abiturientin schon mit Hilfe des Computers. Zunge und Mund weigern sich, die Laute zu formen.

Die Wörter wollen aber raus aus ihrem Kopf, rauf aufs Papier. „Ich habe viel Zeit nachzudenken und bin nicht so dauerbeschäftigt, wie viele andere Menschen.“ Sie schreibt über die Natur, den Sommer und den Umgang der Menschen miteinander. „Zwei Gedichtbände wurden von meinen Eltern zusammengestellt und mir zu meinem Abiturabschluss geschenkt“, erinnert sie sich. Das war ein Anfang. Nun wollen noch viel mehr Menschen ihre Worte hören. Eine Lesung der Gedichte und Texte am kommenden Samstag im Jungen Theater ist ausverkauft.

Eine Stunde für eine Seite

Der Zeigefinger hämmert auf die Tastatur, bringt die Tischplatte zum Schwingen. Immer wieder gehen die Finger über ihren Mund. Die Augen werden kleiner vor Anstrengung. „Ich brauche für eine Dina-Vier-Seite eine Stunde, wenn ich weiß, was ich schreiben will“, so Kollbach. Sie ist unsicher, ob sie die Lesung am Samstag überstehen wird. Sie hofft, während der Veranstaltung bleiben zu können. „Sie haben einen guten Tag erwischt “, schreibt sie. „Der Autismus hat mich oft schwer im Griff. Verhaltensmäßig werde ich oft unruhig, muss häufig aufstehen und werde laut. Aber ich glaube, die Zuschauer verstehen das.“ Daher werden Schauspieler ihre Texte vorlesen. Sie selbst möchte nicht im Mittelpunkt stehen.

Die Idee zu der Lesung sei mit ihrer ehemaligen Deutschlehrerin entstanden. „In der Schule war ich wahrscheinlich die einzige, die Spaß hatte an der Schullektüre.“ Diese Freude scheint auch bei ihrem Publikum anzukommen. „Es kommen sogar Menschen aus Münster und dem Emsland.“

Kollbach ist darüber glücklich. Jammern wolle sie ohnehin nicht. Das sei nicht ihr Ding. Ihr Glas sei stets halbvoll. Trotz ihrer Einschränkung sei das Leben lebenswert. Schätzt sie etwas am Autismus? „Puh, ich könnte ehrlich gut darauf verzichten.“ Ein Leben ohne dieses Anderssein wäre klasse. Sie sei aber nicht typisch autistisch. „Viele lehnen Körperkontakt ab, ich nicht.“ Wie gut, denn ohne Körperkontakt könnte sie gar nicht schreiben. Während sie tippt, stabilisiert ihre Mutter ihren Körper mit ihrer Hand – ohne diese Unterstützung ginge es nicht.

Textauszüge von Pia Kollbach

Die deutlichen Diagnosen, die ich von echten Experten gestellt bekam, waren entsetzlich eindeutig. Schwerer Entwicklungsrückstand, schwerste geistige Behinderung mit Stempel frühkindlicher Autismus. Das war’s. Unheilbar unterbelichtet. Schule für geistig Behinderte, so genannte Sonderschule. Später – falls verhaltenstechnisch möglich – satte 50 Jahre Werkstatt für Behinderte. Meinen Eltern hätte niemand einen Vorwurf gemacht, hätten sie diesen Weg für mich gewählt.

Gern erzähle ich. Hab häufig verflixte Verzweiflung in mir gespürt. Wirklich witzige Wortgeflechte gewoben. Doch niemand konnte sie hören. Wie ein fetter Fleischkloß saß ziellose Zunge in mattem Mund.

Sprache. Ich vermisse sie verzweifelt in viel zu lange stummen Mund.

Bin wirklich beeindruckt von Menschen, die wirklich wissen, welche Wünsche sie an ihr Leben haben ...

Projekt Pia Kollbach ist einerseits anders, andererseits einzig. Auch ich habe tadellose Träume, himmlische Hirngespinste, ....

bin mir bewusst, dass ausgesprochen ausgeprägter Autismus höchst hinderlich ist. Jedoch Jammern ist verwerfliches Vokabular.

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