Abo

AufarbeitungWortführer gegen den Antisemitismus

Lesezeit 3 Minuten
Stolperstein-Verleger Gunter Demnig (Mitte) mit Archivar Reinhold Kruse (l.) und Karl-Heinz Kubatschka vom Alpenverein Köln (r.)

Stolperstein-Verleger Gunter Demnig (Mitte) mit Archivar Reinhold Kruse (l.) und Karl-Heinz Kubatschka vom Alpenverein Köln (r.)

Marienburg/Nippes –  Seine große Leidenschaft waren die Berge, vor allem die spektakulären Westalpen auf schweizerischem Gebiet mit ihren Viertausender-Gipfeln. Schon 1906, mit 31 Jahren, wurde der Jurist Moritz Bing Mitglied im Kölner Alpenverein; er gehörte zu den Förderern des 1929 eröffneten, noch heute bestehenden "Kölner Hauses", einer Bergunterkunft in den Tiroler Alpen. Doch drei Jahrzehnte später drängten der antisemitische Wahn und die zunehmende Verfolgung den Kölner jüdischen Glaubens erst aus dem Verein, dann außer Landes. An ihn und seine zwei Töchter Maria und Susanne erinnern ab sofort drei "Stolpersteine" auf dem Gehweg vor ihrem einstigen Wohnsitz am Oberländer Ufer 208. Mit Karl-Heinz Kubatschka, dem Vorsitzenden der Alpenvereins-Sektion Rheinland/Köln, und dem Nippeser Archivar und Autor Reinhold Kruse verlegte der Künstler Gunter Demnig die Messing-Plaketten.

"Es handelt sich um die ersten Stolpersteine, die auf Wunsch des Kölner Alpenvereins verlegt werden", erläuterte Kruse, der den Kölner Alpinisten bei der Recherche half und an deren Gedenkschrift "Wer Mitglied sein will, muß arischer Abstammung sein" - ein Zitat aus einer 1934 beschlossenen Satzung - als Co-Autor mitwirkte. Vor 17 Jahren gab es die ersten Ansätze in der Sektion, das dunkle Kapitel ihrer Geschichte zu erforschen. "Wir werden in den kommenden Monaten und Jahren weitere Steine für alle unsere ehemaligen jüdischen Mitglieder verlegen lassen", kündigte der Vorsitzende Kubatschka an. "Wir hatten sehr bekannte Mitglieder der Kölner Gesellschaft, so auch Kaufhausgründer Leonhard Tietz."

Doch die jüdischen Bergfreunde litten schon weit vor 1933 unter braunem Gedankengut, das in Teilen des damaligen Deutschen und Österreichischen Alpenvereins virulent war. Bereits in den Zwanzigern hatten Bing sowie sein Vereinskamerad und Anwaltskollege Ludwig Cahen öffentlich gegen erste Bestrebungen des Vorstands protestiert, jüdische Bewerber abzulehnen. Zuvor hatte 1921 die Wiener Sektion "Austria" den ersten Arierparagrafen, der Juden ausgrenzte, in seine Statuten eingeführt. Einen solchen, mit der zitierten Klausel, beschloss man im Januar 1934 dann auch im bis dahin relativ gemäßigten Kölner Verein; es galten aber für Bing, Veteran des Ersten Weltkriegs, und vier weitere Mitglieder zunächst Ausnahmen. In Folge des verschärften, fortan absoluten Verbots, das seit 1936 galt, trat Bing am 1. August 1937 als letztes verbliebenes jüdisches Mitglied aus. Nach "Schutzhaften" in der Arbeitsanstalt Brauweiler und dem KZ Dachau floh er Ende 1938 mit seiner Familie in die Schweiz - sein geliebtes früheres Wanderziel.

"Ich bin froh, heute einem Verein vorzustehen, in dem Hass und Intoleranz keinen Platz haben", so Kubatschka. Für die geschichtliche Aufarbeitung bekam er - stellvertretend für die ganze Kölner Sektion mit rund 16 000 Mitgliedern - auf der jüngsten Hauptversammlung der deutschen Alpinisten in Siegen den Ehrenamtspreis.

-> Leonardo-da-Vinci- Gymnasium: Auch das Nippeser Leonardo-da-Vinci-Gymnasium an der Blücherstraße hat von Demnig für zwei frühere jüdische Schüler Gedenkplaketten vor seinem Eingang verlegen lassen. Zum einen für Hans Hermann Osser, der 1942 mit seiner Frau Doris ins KZ Theresienstadt deportiert und ein Jahr später in Auschwitz ermordet wurde. Der zweite Schüler, Günter Roßbach, wurde 1943 im Alter von 16 Jahren von der damaligen "Städtischen Oberschule für Jungen" verwiesen, überlebte den Nazi-Terror jedoch im Versteck. Eine Schülergruppe, bestehend aus Mitgliedern des Begabten-Förderprogramms "Studium universale" und dem Geschichts-Leistungskurs, hatte die Verlegung organisiert und die beiden Biografien erforscht. Unterstützung leisteten Detlef Rother, Nippeser Abiturient von 1959, und das NS-Dokumentationszentrum. Vor der Verlegung richtete die Schule eine kleine Gedenkfeier im Foyer aus.

KStA abonnieren