Wie weit sollen Austausche gehen?Leverkusener Gymnasiasten fliegen nach Australien

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Australische Schüler sind derzeit zu Gast in Schlebusch.

Leverkusen-Schlebusch – Melbourne, 26 Grad, Sonne und Wolken. Schlebusch, vier Grad, Dauerregen. Zurzeit sind 14 Schüler und zwei Lehrer von der Melbourne High School zu Gast am Freiherr-von-Stein-Gymnasium in Schlebusch. Es ist das erste Mal, dass das Gymnasium Schüler aus Australien empfängt, im nächsten Oktober sollen erstmals 19 Schlebuscher Gymnasiasten nach Melbourne fliegen.

Zum Schüleraustausch für ein paar Tage einmal um die Welt? Ist das nicht verrückt? Viel zu aufwendig und teuer, von der Umweltbilanz mal ganz abgesehen? Doch, ein bisschen schon, gesteht Schulleiter Bernd Ruddat. Doch immer höher, schneller und weiter sei nicht der Grund, warum sich die Schule auf das Experiment eingelassen hat. „Der Fachbereich Englisch wollte unbedingt einen Austausch in ein englischsprachiges Land anbieten. Eine Schule in Großbritannien zu finden, war schon früher schwierig, seit dem Brexit ist es praktisch unmöglich“, sagt Ruddat.

Dürfen Schüleraustausche einmal um die halbe Welt führen? Darüber streiten Redakteurin Stefanie Schmidt und Redakteur Ralf Krieger von der Redaktion in Leverkusen in einem Pro und kontra.

Pro von Stefanie Schmidt: „Es muss nicht Australien sein, darf es aber“ 

Es gibt für Jugendliche Werte zu lernen, die noch wichtiger sind, als Mathe und Deutsch. Weltoffenheit und kulturelles Verständnis sind in einer zunehmend ich-bezogenen und fremdenfeindlichen Welt zwei davon. Und nirgends kann man so viel davon erfahren, wie im Ausland. Sich auf eine fremde, fremdsprachige Gastfamilie einzulassen, erfordert Mut und fördert die Selbstständigkeit wie wohl keine andere Erfahrung im Schulleben.

Australien hat keine gewaltige Historie, vor der deutsche Schüler ehrfürchtig stehen werden wie die Australier vor den Resten der Berliner Mauer. Aber gerade die kurze Geschichte des Einwanderungslandes kann viel demonstrieren: Wer in die Gesichter der Austauschschüler schaut, sieht asiatische Einschläge, wer mit den Schülern spricht, hört, dass viele Wurzeln in Europa haben – multikulti wird in Australien viel selbstverständlicher gelebt als bei uns. Schüler, die in Gastfamilien im chinesischen Wuxi waren, haben ihre Erfahrung damit gemacht, was es bedeutet, wenn ein Regime Google sperrt und welcher Druck auf ihren Altersgenossen liegt.

Es wäre wünschenswert, möglichst viele Schüler ins Ausland zu bringen, anstatt wenige möglichst weit weg. Und es wäre ebenso wünschenswert, wenn Schüler sich das Ticket mit Fleiß und Interesse erarbeiten könnten, und nicht mit dem Einkommen ihrer Eltern. Das können Stiftungen und Stipendien ermöglichen. Öffentliche Schulen können es nicht. Die Lösung kann nicht sein, nur Fahrten in die Eifel anzubieten. Chancengleicher wäre es auch nicht, denn privilegierte Kinder werden ohnehin zum Auslandsjahr nach Südamerika geschickt.

Um Weltoffenheit, kulturelles Verständnis und Selbstständigkeit zu lernen, muss man nicht bis nach Australien oder China fliegen. Aber wenn einige es können und ihre Erfahrungen mit den Zuhausegebliebenen teilen, dann rückt die Welt ein Stückchen näher zusammen. Und im Foyer des Gymnasiums kann sich diese Woche jeder mit den australischen Schülern auf einen Keks treffen und Fragen stellen. Ganz kostenlos. Das zu ermöglichen, ist eine Leistung von Schule und engagierten Lehrern. Das sollte man auch anerkennen. 

Kontra von Ralf Krieger: „Für fast niemanden bezahlbar“

Auch wenn ich jetzt der Spielverderber bin: Leverkusener Schulen sollten Schulpartnerschaften haben und es sollte viel Schüleraustausche geben – aber nicht mit einer Schule in Australien. Der erste Grund liegt in der Luft: Um einen durchschnittlichen menschlichen Körper samt Gepäck 16 500 Kilometer in einem 20-40-Stunden-Flug nach Melbourne zu transportieren, werden knapp elf Tonnen C02 in die Atmosphäre geblasen.

Das ist sehr viel für einen in der Regel nicht gerade monatelangen Schüleraustausch. Die Australier halten sich zehn Tage in Leverkusen auf. Vor knapp zehn Jahren hängte sich die Europaschule Freiherr-vom-Stein-Gymnasium das bekannte „Klimaschutz – jeder jeden Tag“-Plakat über den Eingang. Das ist also Schnee von gestern, bald machen sich Schlebuscher Schüler auf einer Studienfahrt nach Südaustralien dann eben selbst ein Bild vom chronisch überhitzten Klima im Land der Kängurus.

Keine Frage, auch für mich wäre es ein tolles Event gewesen, wenn ich mal als Oberstufenschüler mit der Schule nach Australien gejettet wäre. Für meine Eltern eher nicht. Und wetten: Selbst in Schlebusch ist der Australienausflug des Sprösslings für die eine oder andere Familie nicht zu stemmen. Kein Wunder, dass dem Schulleiter beim Pressetermin auch nicht so ganz wohl mit dem neuen Australien-Kontakt war. Mit solchen Angeboten grenzt die Schule gar nicht mal nur Geringverdiener aus, auch Normalverdiener-Familien dürfen sich hier mal als arme Schlucker fühlen. Beim Rückblick auf die Schulzeit kann kaum jemand widersprechen, dass Lerneffekte und Intensität von Erfahrungen von allen möglichen Faktoren gesteigert wurden, nur niemals hatte die Entfernung einer Reise etwas damit zu tun.

Bei dem Austausch mit Melbourne geht es darum, dass die Schüler Englisch sprechen. Eine englische Schule als Partner sei für die Englischlehrer an der Freiherr-vom-Stein-Europaschule nicht mehr zu bekommen gewesen. Sie hätten sich sagen sollen: „You can't always get, what you want“. Jetzt müssen ihn sich andere hinter die Ohren schreiben: Die, die sich die Australienfahrt demnächst nicht leisten können.   

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