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PsychologiePlötzlich doch wie die Eltern

Lesezeit 6 Minuten
Frau wollte nie so werden wie die Mutter, aber dann... (Bild: iMAGINE - Fotolia)

Frau wollte nie so werden wie die Mutter, aber dann... (Bild: iMAGINE - Fotolia)

Früher, als Theresa noch ein Kind war, lag sie am Sonntagmorgen im Bett und hörte, wie ihr Vater für die Mutter Klavier spielte. „Das war seine Art, seine Liebe auszudrücken“, erzählt die 39-Jährige. „Ich habe die Musik genossen und nur gedacht: Wahnsinn!“ Jahre später verliebte sich Theresa schlagartig in einen Pianisten. Sie heirateten, obwohl sich schon früh Konflikte anbahnten. „Das fand ich gerade spannend“, sagt sie. „Ich wollte keine Langweilerbeziehung führen.“ Vielleicht, meint sie, hätten sie auch da ihre Eltern beeinflusst. „Streitereien waren bei uns daheim an der Tagesordnung.“ Denn trotz ihrer großen Liebe haben sich Theresas Eltern energisch bekämpft.

Ahmen wir wirklich, meist ohne es zu merken, die Beziehung unserer Eltern nach? Waren alle Versuche, sich in der Pubertät vom Elternhaus loszusagen, umsonst? „In vielen Fällen ist die Partnerschaft der Eltern unbewusst tatsächlich prägend, sei es als Vorbild oder auch als Gegenbild“, sagt die Psychoanalytikerin Eleonore Lehr-Rottmann aus Konstanz. „Die Psyche nimmt die Atmosphäre daheim unbewusst auf. Sie ist so typisch wie ein bestimmter Duft, an dem wir erkennen: Jetzt sind wir zu Hause! Später wiederholen wir unbewusst sehr viel, um alte Muster zu erleben. Im Altbekannten fühlen wir uns wohl und sicher.“

Auch Paul Geiger, Leiter der Psychologischen Familien- und Lebensberatungsstelle der Caritas in Friedrichshafen, hält den Einfluss der elterlichen Ehe für bedeutend: „Es handelt sich um die ersten Erfahrungen, die man macht. Kinder lernen vom Modell der Eltern. Für sie ist die Mutter die erste Frau und der Vater der erste Mann. Die Kinder beobachten ganz genau, wie die beiden miteinander umgehen. Beim Spielen, zum Beispiel in der Puppenecke machen sie es live nach.“

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Auch Rollen-Verteilung ist Vorbild für Kinder

Besonders stark werden Kinder offenbar von der Rollenverteilung im Elternhaus beeinflusst. War der Vater zum Beispiel, wie früher üblich, vor allem für den Unterhalt der Familie zuständig, nicht aber für Erziehung und Haushalt, orientieren sich oft noch die Kinder an diesem Modell. „Auch wenn man die Hausfrauen-Rolle der Mutter ganz bewusst ablehnt, ist es schwer, sich in der eigenen Beziehung von dieser vorgelebten Rolle ganz zu lösen“, sagt die Paarberaterin Stefani Günther vom Diakonischen Werk Hochrhein. „Den Sonntagskuchen backt man dann eben doch. Das Gewohnte, Altbekannte steckt tief in uns drin.“

In der Tat gibt es viele Erwachsene, die in ihrer Partnerschaft alles ganz anders machen wollen als die Eltern. So berichtet Katarina Vojvoda-Bongartz vom Bodensee-Institut für systemische Therapie und Beratung: „Etwa ein Drittel meiner Klienten möchte sich klar von den Eltern abgrenzen. Wenn man aber nur aus Protest versucht, das Gegenteil zu leben, ist das schwierig. Wichtig ist es stattdessen, ein eigenes Modell zu entwickeln.“ Das setze voraus, sich mit der Beziehung der Eltern auseinanderzusetzen und sich das eigene Verhalten bewusst zu machen.

Ein weiterer entscheidender Punkt, den Kinder bei ihren Eltern abschauen, ist die Kommunikation. „Man lernt im Elternhaus, wie Konflikte ausgetragen werden. Dieses Vorbild beeinflusst das eigene Verhalten“, erklärt der Psychologieprofessor Guy Bodenmann von der Uni Zürich. Wenn die Eltern Auseinandersetzungen etwa „hitzig-aggressiv“ oder schwelend ausgetragen oder ganz vermieden hätten, lieferten sie ihren Kindern dadurch ein Modell für deren eigene Beziehungen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder später gegenüber ihrem Partner ein ähnliches Verhalten zeigen, ist sehr groß“, betont der Experte für Paartherapie. Genau das hat Theresa an sich beobachtet. „Manchmal sage ich im Streit zu meinem Mann, dass ich mich scheiden lasse. Ich meine das aber nicht ernst. Meine Mutter hat das früher auch gemacht und meinem Vater gedroht: 'Jetzt geh ich!' Dabei war das reines Säbelrasseln.“

Positive Trennungserfahrungen hilfreich für Kinder

Derartige Kämpfe zwischen den Eltern sind für Kinder oft prägende Erlebnisse. „In solchen Situationen erlebt sich das Kind als ohnmächtig. So eine Erfahrung bleibt gespeichert“, sagt Lehr-Rottmann. „Es kann sein, dass es später in einer nahen Beziehung ähnlich kommuniziert, ohne das zu merken.“ Die Emotionalität, mit der ein solcher Streit dann einhergeht, ist für den Partner oft unverständlich.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Ehen von Scheidungskindern häufiger in die Brüche gehen als die von Kindern aus „intakten Familien“. Einer Meta-Analyse zufolge, bei der Soziologen der Uni Köln 42 Publikationen zur deutschen Scheidungsforschung auswerteten, ist das Scheidungsrisiko um etwa 50 Prozent erhöht, wenn die Ehe der Eltern geschieden wurde. Nicht immer sollte man eine Scheidung aber negativ sehen: „Wenn Eltern die Dinge anständig regeln, kann sie für Kinder auch eine positive Erfahrung sein“, sagt Geiger. „Sie sind dann manchmal lebenstüchtiger.“ Es könnte sein, dass solche Kinder später weniger Angst haben, sich vom Partner zu trennen. Insofern ist die höhere Scheidungsquote bei Trennungskindern nicht unbedingt das Resultat einer verkorksten Kindheit. „Wer dagegen den Partner schlecht macht oder sogar für tot erklärt, zerstört einen Teil der Identität des Kindes“, sagt Geiger. Besonders kränkend sei es für Kinder, wenn sie bei einer Trennung aufgeteilt würden „wie Hausrat“, betont der Psychologe. Solche Erfahrungen wirken sich oft negativ auf die Beziehungsfähigkeit aus.

Neues Drehbuch schreiben

Ob man sich aber auch bei der Partnerwahl am Beispiel der Eltern orientiert, ist den Experten zufolge weniger klar. „Hier geht es eher um die eigenen Bedürfnisse“, erklärt Bodenmann. „Man sucht einen Partner, von dem man sich erhofft, dass er oder sie die Bedürfnisse möglichst gut befriedigen kann.“ Dagegen hält Lehr-Rottmann es für naheliegend, dass man auch hier unbewusst vom Modell der Eltern beeinflusst wird. Vielleicht sucht man gerade das Gegenteil: Waren die Eltern in ständige Kämpfe verwickelt, könnte die Sehnsucht nach Harmonie dazu führen, dass man sich einen „Lämmchen-Partner“ wähle. Bei Beziehungsproblemen kann der Blick auf die Eltern jedenfalls oft hilfreich sein.

So fragt die Psychologin Stefani Günther Paare meist schon zu Beginn einer Beratung, wie sie die Beziehung ihrer Eltern erlebt haben. Manchmal sei das elterliche Modell so prägend, dass es wichtig sei, „ein neues Drehbuch zu schreiben“, erklärt sie. Dann nämlich müssten die Paare herausfinden, welche Konflikte nichts mit ihnen zu tun hätten, „sondern in eine andere Geschichte gehören“. Theresa hat damit bereits begonnen: „Ich fand die Drohungen meiner Mutter, die Familie zu verlassen, verantwortungslos uns Kindern gegenüber. Das will ich nicht wiederholen. Ich will ein Vorbild für unsere Kinder sein.“ Deshalb will sie mit ihrem Mann ein Kommunikationstraining für Paare besuchen. „Meine Eltern sind ja trotz allem zusammengeblieben. Das ist auch mein Ideal.“

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