"Meine Identität ist in der Vielstimmigkeit"

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  • Yoko Tawada, Kuratorin der Kölner Poetica, über ihr Schreiben und das Thema des Festivals

Der Titel des Weltliteraturfestivals Poetica lautet "Beyond Identities", jenseits von Identitäten. Wie kamen Sie auf den Namen?

Wir leben in einer Zeit der Fixierung auf Identitäten und Ethnien. Der Wandel, das Bewegliche, das Globale, macht den Menschen Angst, viele fühlen sich als Verlierer der Globalisierung. Mir geht es darum, das Fremde von Sprache und Kulturen als Bereicherung erlebbar zu machen.

Sie schreiben auf Japanisch und Deutsch. Hat das Schreiben Sie verwandelt?

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Sehr. Deutsch zu schreiben und zu sprechen, das hat mich körperlich und seelisch verändert. Als ich angefangen habe, Deutsch zu sprechen, vor mehr als 30 Jahren, hat sich meine Stimme verändert. Deutsch ist laut und körperlich. Ich war ein schüchterner Mensch, der gern gelesen und geschrieben hat. Wenn ich geredet habe, dann sehr leise und nach unten gerichtet. Mit der deutschen Sprache bin ich fast gezwungen, den Menschen in die Augen zu gucken. Das hat meine geistige Haltung verändert. Aber vielleicht ist es keine Verwandlung, sondern ein Teil von mir, der vorher verborgen war.

Sie leben in Berlin und Tokio und reisen das ganze Jahr für Literaturveranstaltungen um die Welt. Was macht Identität für Sie aus?

Indem ich Deutsch und Japanisch denke und schreibe, bekomme ich verschiedene Ideen, einen Sinn für Unterschiede und Perspektiven, gerade durch den Abstand von der eigenen Kultur. Ich freue mich, dass ich Einladungen aus aller Welt bekomme. Von Berlin aus guckt man anders auf die Dinge als aus Köln, und von New York oder Oslo wieder anders. Die Orte und Begegnungen helfen mir, die eigene Vielstimmigkeit zu entdecken, in ihr befindet sich meine Identität.

Es muss schön sein, in zwei Sprachen zu schreiben und in vielen Ländern Publikum zu finden.

Natürlich, ich habe aber nie einen Satz geschrieben, um erfolgreich zu werden. Ich schreibe, was in mir ist. Öffentlich bekannt zu sein und ein gewisses Image zu haben, das wäre mir unangenehm. Es ist aber schön, zu erfahren, dass sich viele für eine bewegliche Vorstellung von Heimat und Identität interessieren, die ich auch in meinen Romanen, Essays und Gedichten beschreibe. Es finden sich Menschen in meinen Texten wieder, obwohl wohl kaum jemand so denkt wie ich. Das Schreiben, das auch ein Echo findet, ist eine Form der Selbstvergewisserung und hält mich davon ab, mich zu isolieren.

Um Bewegung und Wandel geht es auch bei der Poetica. Was erwartet die Besucher?

Ich habe Kolleginnen und Kollegen eingeladen, denen die Arbeit mit Sprachen und Perspektiven wichtig ist. Jan Wagner ist dabei, der inzwischen sehr bekannt ist und das Literaturhaus wahrscheinlich sprengen wird, oder Bei Dao aus Hongkong, der für den Literaturnobelpreis gehandelt wurde, aber vielleicht zu regimekritisch dafür ist. Besonders an dem diesjährigen Festival ist, dass alle Autoren bei allen Veranstaltungen dabei sind. Das kann anstrengend werden - Dichter sind ja nicht immer so gesellig.

Sie sprechen mit den Autoren auch über "Die Verwandlung" von Kafka.

Das Buch hat mich sehr beeinflusst, ich habe es so oft gelesen wie kein anderes und auch ins Japanische übersetzt. Für mich geht es in der Erzählung nicht um die Verwandlung eines Menschen, sondern um den Umgang einer Gruppe mit jemandem, der nicht ins System passt. Kafkas Text ist - auch im Bezug auf nationalistische und identitäre Tendenzen - eine sehr aktuelle Erzählung.

Freier Eintritt zur Eröffnung am Montag

Die Poetica IV, das Kölner Literatur-Festival, wird am Montag (22. 1. 2018) um 18 Uhr eröffnet. Der Eintritt zu der Veranstaltung in der Aula II ist frei. Sie findet auf Deutsch und Englisch statt. "Beyond Identities" heißt das Thema der Poetica IV, die diesmal von der deutsch-japanischen Lyrikerin Yoko Tawada kuratiert wird. Zum Auftakt der Festivalwoche stellt sie alle Autoren in Lesungen und Gesprächen vor. Die Autoren, die Yoko Tawada eingeladen hat, sind: Jeffrey Angles (USA), Bei Dao (China), Anneke Brassinga (Niederlande), Teju Cole (USA/Nigeria), Hiromi Ito (Japan), Kim Hyesoon (Südkorea), Barbara Köhler (Deutschland), Morten Sondergaard (Dänemark), Monique Truong (USA/Vietnam), Jan Wagner (Deutschland). Grußworte sprechen Vertreter der beteiligten Institutionen: Axel Freimuth, Rektor der Universität zu Köln; Günter Blamberger, Wissenschaftskolleg Morphomata; Ernst Osterkamp, Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung.

Es lesen Mitglieder des Schauspiel Köln: Yuri Englert, Nicola Gründel und Philipp Plessmann. Musikalisch begleitet wird der Abend von Pianistin Aki Takase.

poetica.uni-koeln.de/poetica-4/programm

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