Abo

BraunkohleKraftwerke laufen mit hohen Kosten im Standby

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

Tagebau Garzweiler (Nordrhein-Westfalen). Im Hintergrund die Kraftwerke Frimmersdorf und Neurath.

Berlin – Sigmar Gabriel liebt Sprachbilder. Wenn er ein besonders griffiges für sich entdeckt hat,  baut er es oft über Monate hinweg in seine Reden ein.

Vor einigen Jahren etwa sprach der damalige Wirtschaftsminister und SPD-Chef im Zusammenhang mit der Energiepolitik gern vom „Gürtel zum Hosenträger“. Gemeint war: Eigentlich ist es im Sinne der Versorgungssicherheit gar nicht notwendig, klimaschädliche Braunkohlekraftwerke erst abzuschalten und dann für viel Geld betriebsbereit zu halten.

Wir machen’s aber trotzdem.

Alles zum Thema RWE

Gesagt, getan:  Im Sommer 2016 beschloss der Bundestag eine Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes. Acht Kraftwerksblöcke an fünf Standorten in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg  werden nach und nach in die so genannte „Sicherheitsbereitschaft“ geschickt.

In vier Jahren vom Netz

Jeweils vier Jahre lang werden die Anlagen auf Stand-by gehalten, damit sie in Extremsituationen wieder hochgefahren werden können. Danach gehen die eingemotteten Meiler endgültig vom Netz.

Es geht um 13 Prozent der installierten Braunkohleleistung hierzulande, bis zu 12,5 Millionen Tonnen des Klimakillers Kohlendioxid sollen eingespart werden. All das wird am Ende 1,61 Milliarden Euro kosten, zu zahlen von den Stromkunden.

Nun zeichnet sich ab, dass die ganze Aktion tatsächlich so sinnvoll ist wie ein Gürtel zum Hosenträger: Diejenigen Meiler, die bereits in Gabriels Reserve sind, mussten nach Angaben der Bundesregierung bislang keine einzige Kilowattstunde Strom produzieren, um einem drohenden Kollaps der Versorgung entgegenzuwirken.

„Die in der Sicherheitsbereitschaft befindlichen Kohlekraftwerke wurden noch nicht angefordert“, heißt es lapidar in der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. Das Papier liegt dieser Zeitung vor.

Grüne kritisieren vorgehen

Der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer (SPD) kann in seinem Schreiben aber genau die Kosten beziffern, die bisher zu Buche geschlagen sind: Für 2017 hätten die beiden Übertragungsnetzbetreiber Tennet und Amprion 85 Millionen Euro angesetzt. „Für das Jahr 2018 sind es insgesamt 149 Millionen Euro.“ Macht zusammen 234 Millionen Euro für Kraftwerke, die keinen Strom mehr erzeugen und es womöglich auch nie wieder tun werden.

Beckmeyer betont aber, dass es sich dabei um Abschlagszahlungen handele. „Zahlungen an die Kraftwerksbetreiber erfolgen unter Vorbehalt bis zur abschließenden Festlegung der Vergütungshöhe durch die Bundesnetzagentur. Etwaige Überzahlungen sind sodann an die Netznutzer zurückzugeben.“

Die Grünen im Bundestag sehen sich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass das ganze Vorgehen eigentlich nur dem Zweck dient, den kriselnden Energiekonzernen Geld zuzuschanzen. „Für das Nichtstun belohnt die Bundesregierung die Kohlebranche mit hunderten Millionen Euro. Damit lässt sich die klimaschädliche Kohle fürstlich entlohnen, während die Erneuerbaren von der Bundesregierung ausgebremst werden“, sagt Fraktionsvize Oliver Krischer.

Noch sind längst nicht alle Kraftwerke abgeschaltet, die im Laufe der Zeit in die Reserve verschoben werden sollen. Als erstes ging im Herbst 2016 die Anlage im niedersächsischen Buschhaus außer Betrieb.

Regierung verlässt sich auf Aussagen der Konzerne

Rund 80 Mitarbeiter des Braunkohle-Konzerns Mibrag organisieren dort den Stillstand. Ende September 2017 folgten die beiden verbliebenen Blöcke des RWE-Kraftwerks Frimmersdorf nordwestlich von Köln.

Erst im Herbst dieses Jahres sollen zwei Blöcke des Kraftwerks Niederaußem folgen, das ebenfalls im Rheinischen Revier steht und RWE gehört. In Brandenburg steht außerdem die Abschaltung eines Blocks des Leag-Kraftwerks Jänschwalde an. Im Herbst 2019 sollen dann ein Block des RWE-Kraftwerks Neurath sowie ein weiterer in Jänschwalde folgen. Die Abschalt-Daten liegen nicht im Ermessen der Betreiber, sondern sind im Energiewirtschaftsgesetz festgelegt. Die Betreiber haben zu den Modalitäten des Standby-Betriebs aber umfangreiche Absprachen mit der Bundesregierung getroffen.

Ob die Kraftwerke im Notfall tatsächlich wie vorgesehen binnen zehn Tagen hochgefahren werden können, überprüft die Bundesregierung indes nicht. Sie verlässt sich voll und ganz auf die Zusagen der Konzerne. „Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Akteure ihren gesetzlichen Pflichten nicht nachkommen“, heißt es in Beckmeyers Schreiben.

Spötter behaupten, dass es sich bei der Sicherheitsbereitschaft eigentlich um eine milliardenschwere Abwrackprämie oder gar um lukrative Sterbehilfe für die Braunkohle-Branche handele.

Die nächste Schlacht zeichnet sich ab

Sigmar Gabriel, der heutige Außen- und frühere Wirtschaftsminister, prägte selbst einmal den Begriff vom „Hartz IV für Kraftwerke“. Das war aber bevor er auf die Idee kam, den Betreibern das Abschalten von Anlagen finanziell zu versüßen. Ursprünglich wollte Gabriel sogar eine Zwangsabgabe für besonders klimaschädliche Kraftwerke durchsetzen. Das scheiterte aber am geballten Widerstand der Braunkohle-Lobby.

Die nächste große Schlacht um die Zukunft der Braunkohle zeichnet sich freilich schon ab: Kommt es zu einer Neuauflage der großen Koalition, wollen Union und SPD schnell eine Experten-Kommission einsetzen, die Vorschläge zu einer schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung erarbeiten soll. Und zwar „einschließlich eines Abschlussdatums“, wie es im Koalitionsvertrag heißt.

Das alles soll aber sozial- und strukturpolitisch flankiert werden. Deutschland steht international im Wort, seinen Treibhausgas-Ausstoß massiv zu senken. Die Braunkohle-Branche beschäftigt hierzulande rund 21.000 Menschen. 1990 waren in dem Sektor noch fast 160.000 Personen tätig.

KStA abonnieren