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AOK fordert NeustrukturierungWie viele Kliniken braucht das Land?

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Die AOK fordert eine Neustrukturierung der Krankenhaus-Landschaft. (Symbolbild)

Die AOK fordert eine Neustrukturierung der Krankenhaus-Landschaft. (Symbolbild)

Köln/Berlin – Wer in Essen lebt und sich einer Hüft-Operation unterziehen muss, hat die Qual der Wahl. In einem Umkreis von 30 Kilometern gibt es 80 Kliniken, die künstliche Hüftgelenke einsetzen. Das gleiche gilt für Patienten mit massivem Knorpelschaden im Knie: In 70 Kliniken kann die Implantierung von künstlichen Kniegelenken vorgenommen werden. Und wem es im Rücken drückt, dem kann in 50 Krankenhäusern im 30-Kilometer-Radius mit Wirbelsäulenblockierungen geholfen werden. Psychologen wie der US-Amerikaner Barry Schwartz sagen, wenn man unter so vielen Möglichkeiten wählen kann, hat man immer das Gefühl, etwas falsch zu machen. Weniger ist also oft mehr.

Nordrhein-Westfalen ist so etwas wie das El Dorado für Krankenhäuser. Nirgends in Deutschland gibt es eine vergleichbare Ballung von Kliniken. Der Vorteil: die Erreichbarkeit ist für Patienten insgesamt sehr gut. Der Nachteil: die Qualität lässt oft zu wünschen übrig. Zahlreiche Studien haben einen kausalen Zusammenhang zwischen Spezialisierung und der Behandlungsqualität nachgewiesen, mit negativen Folgen für letztere. Die hohe Krankenhausdichte in NRW und die unzureichende Spezialisierung würden daher Fehlentwicklung befördern, erklären Experten. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) dringen auch daher auf eine stärkere Bündelung des Krankenhaus-Angebots in Deutschland. Das ist das Ergebnis des Krankenhausreports 2018, der am Montag in Berlin vorgestellt wurde.

Umbau gefordert

Gesundheitspolitik gilt auch deshalb als schwieriges Pflaster, weil es hier nicht nur um Fakten, sondern auch um Emotionen geht. Das Thema Krankenhaus ist hierfür ein gutes Beispiel: In Umfragen sagt regelmäßig eine Mehrheit der Bevölkerung, bei der Auswahl eines Krankenhauses stünden Kompetenz und Erfahrung der Klinik im Vordergrund und nicht die Länge des Anfahrtsweges. Kommt es aber dazu, dass ein wenig frequentiertes Krankenhaus Abteilungen schließt, dann gibt es einen „Shitstorm“, wie es gerade der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, beschrieben hat. Die Krankenkassen erneuerten dennoch ihre Forderung, durch einen Umbau der Klinikstrukturen die medizinische Versorgung in Deutschland zu verbessern.

Alles zum Thema Karl-Josef Laumann

„Wir brauchen eine Zentralisierung und Spezialisierung der Kliniken“, sagte der Chef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. Bei einer derartigen Reform gehe es nicht vorrangig um die Frage, wie viele der heute 1950 Kliniken es am Ende deutschlandweit noch geben werde. Ein deutlicher Schritt wäre schon, wenn zukünftig Krankenhäuser mit mehr als 500 Betten nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel seien. Das heißt nach den Worten Litschs im Umkehrschluss nicht, dass kleinere Häuser geschlossen werden müssten. Vielmehr gebe es neue Nutzungsmöglichkeiten, etwa durch eine Verzahnung von stationärer und ambulanter Versorgung.

Tatsächlich ist die deutsche Krankenhauslandschaft eher kleinteilig: Ein Viertel aller Kliniken hat weniger als 50 Betten. Ein weiteres Viertel liegt zwischen 100 und 200 Betten. Es folgen 37 Prozent der Kliniken mit einer Bettenzahl zwischen 200 und weniger als 500. Nur fünf Prozent der Krankenhäuser haben mehr als 1000 Betten. Die Anzahl der Betten und damit auch die der Patienten erhöht die Zahl der Behandlungen, was nach allgemeiner Auffassung der Qualität zu Gute kommt: Wer viel operiert, ist in der Regel erfahrener. Das zeigen erneut Zahlen aus dem Report: Je häufiger in einem Haus an der Hüfte operiert wird, umso seltener muss ein Patient mit einem neuen Hüftgelenk binnen Jahresfrist erneut unters Messer. Bei Darmkrebs-OPs steigt mit der Zahl der Operationen die Überlebensrate deutlich.

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (Wido) hat beispielhaft ausgerechnet, wie sich die Wege für die Patienten ändern würden, wenn Hüft-OPs nur noch in den Kliniken vorgenommen werden, die mindestens 100 dieser Operationen im Jahr durchführen: Dann sinkt die Zahl der für eine derartige OP in Frage kommenden Kliniken von 1250 auf 827. Der mittlere Anfahrtsweg verlängert sich dadurch bundesweit von acht auf zehn Kilometer.

Wege werden kaum weiter

In Hessen würde sich der Anfahrtsweg genau um diese Dimension verlängern. In Nordrhein-Westfalen wären es sieben statt 5,5 Kilometer, in Sachsen-Anhalt 12,6 statt 9,2 Kilometer. Spürbare Veränderungen gäbe es allerdings in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg, hie vor allem in den Grenzregionen. Dort wachsen die Wege von heute etwa zehn auf dann 19 Kilometer. „Mit Blick auf die Therapiequalität und die Überlebenschancen sollten diese Fahrstrecken allerdings kein Thema sein“, sagte Wido-Geschäftsführer Jürgen Klauber. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft wandte sich umgehend gegen Alarmismus. Die Kliniken hätten eine Entwicklung in Richtung Spezialisierung und Zentralisierung längst in Gang gebracht.

Dennoch: Kaum ein Land gibt für sein Gesundheitswesen so viel aus wie Deutschland – doch das führt nicht automatisch zu einer höheren Lebensqualität. Und die Dichte an Krankenhäusern hat zwar den Vorzug der kurzen Anfahrtswege, dafür aber auch etliche Nachteile. Die AOK hat in ihrem Krankenhausreport 2018 genau hier den Finger in die Wunde gelegt. Sie fordert eine stärkere Spezialisierung der Krankenhäuser. Denn trotz die Vielzahl an Kliniken hinkt Deutschland hinter seinen europäischen Nachbarn in der Qualität hinterher. So haben die Niederlande im Verhältnis deutlich weniger Krankenhäuser, dafür aber eine bessere Zentralisierung und auch bessere Ergebnisse in Therapien und auch Überlebenschancen.

Zu wenig spezialisiert

Diese ließen sich etwa steigern, erklärt Reinhard Busse von der TU Berlin, indem Patienten mit einem Verdacht auf Herzinfarkt nur noch in Krankenhäuser mit Herzkatheterlabors eingeliefert und behandelt würden. In Deutschland sei es jedoch so, dass von rund 1400 Krankenhäusern, die Herzinfarkt-Patienten behandeln, nur 600 eine solche Einheit aufweisen. Ähnliches gelte für Krankenhäuser, die Schlaganfall-Patienten behandeln. Hier haben nur 500 der 13 000 Krankenhäuser sogenannte Schlaganfalleinheiten. Zudem verfügen sie längst nicht alle über Fachärzte, die hierfür rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssten. Besonders für NRW dürfte dies kaum zu Erreichbarkeitsproblemen führen, sagte Wido-Geschäftsführer Jürgen Klauber. Ohnedies gilt aus seiner Sicht: Mit Blick auf Therapiequalität und Überlebenschancen sollten Fahrstrecken eigentlich kein Thema sein. Mittlerweile habe auch die Politik begriffen, dass die mangelnde Konzentration zu schlechteren Ergebnissen führt, so Busse. Doch fehle es nach der Einsicht noch an der nötigen Umsetzung. Würde man nämlich die Fachärzte so verteilen, dass immer genau einer rund um die Uhr verfügbar ist, würde dies gerade einmal für 600 Krankenhäuser reichen.

Die personelle Ausstattung ist ein weiterer Punkt stetiger Diskussion. Die AOK verweist darauf, dass durch eine Zentralisierung auch das Personalproblem in den Griff zu bekommen sei, denn zusätzliche Beschäftigte seien erst einmal nicht auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Und für alle Klinikstandorte gebe es nicht genügend Personal, so AOK-Chef Litsch.

In NRW gibt es bereits Pläne für eine größere Spezialisierung der Krankenhäuser. So würden einerseits die Investitionen in die Kliniken gesteigert, erklärte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bei der Vorstellung des Krankenhausreports. Andererseits strebt sein Ministerium die Bildung von Leistungsschwerpunkten an. Bislang habe man zu sehr auf die Anzahl der Betten und zu wenig auf die Qualität geachtet, sagte er. In den 352 Krankenhäusern in NRW standen im Jahr 2015 119 900 Patientenbetten, damit wies das Bundesland 675 Betten je 100 000 Einwohnern auf – die höchste Dichte aller westdeutschen Flächenländer.

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