Tödliches MissverständnisPolizist hält Handy für Schusswaffe und erschießt Rocker

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Beamte eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei (Symbolfoto)

Beamte eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei (Symbolfoto)

Wuppertal/Köln – Schon das Briefing sorgte bei den Beamten für erhöhte Alarmbereitschaft. Der Mann, den die Beamten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) aus Düsseldorf verhaften sollten, galt als hochgefährlich. Hamit P., Wuppertaler Chef der türkisch-nationalen Gang Osmanen Germania BC, sollte wegen Gewaltdelikten in seiner Wohnung im Stadtteil Elberfeld festgesetzt werden. Meist trage er zwei Schusswaffen, wenn er das Haus verlasse. Zudem soll der Rocker in einen Mordauftrag verwickelt sein, hieß es. Ein Aussteiger hatte ihn belastet.

Doch der Einsatz an jenem Freitagmittag im Februar lief schief: Ein SEK-Mann erschoss den Tatverdächtigen kurz nach dem Sturm in der Wohnung. Wie sich herausstellte, war Hamit P. unbewaffnet, bei einer späteren Durchsuchung fand sich nur eine Spielzeugpistole. Der Schütze verwechselte wohl ein Smartphone in der Hand des Rockers mit einer Waffe. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal ermittelt seither wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zufolge hat der Beamte das Geschehen rund um den tödlichen Einsatz inzwischen detailliert geschildert.

Polizisten zündeten Blendgranate

Demnach hielt der mutmaßliche Gewalttäter ein Handy in der Hand, als die Einsatzkräfte um 12.15 Uhr die Wohnungstür mit einer Ramme aufbrachen. Während sein Kollege nach rechts in ein Zimmer stürzte, lief der spätere Schütze nach links ins Wohnzimmer – die Pistole im Anschlag. Dort erblickte er Hamit P., der einen Gegenstand in der Hand hielt. Im diffusen Licht fiel es schwer zu erkennen, um was es sich handelte. Dann knallte es.

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Wie sich später herausstellte, müssen Kollegen im Rücken des SEK-Beamten eine Blendgranate gezündet haben. Der Elite-Polizist spürte eine Druckwelle und glaubte, Hamit P. habe auf ihn geschossen. Im Sekundenbruchteil musste der Beamte entscheiden, was zu tun sei. Er drückte ab. Die Kugel durchschlug den Arm des Rockers, den er – in der Hand der Gegenstand – vor dem Oberkörper hielt und drang in die Brust ein. Blutüberströmt fiel er zu Boden. Notfallhelfer wurden gerufen. Der Schütze versuchte nach eigenen Angaben sofort, die Blutung zu stoppen. Doch alle Versuche der Reanimation waren erfolglos. Fünfzehn Minuten später starb Hamit P., das Handy lag neben seinem Kopf. Seine Frau schrie, sie war während des Einsatzes im Badezimmer.

Fehler bei der Stürmung?

Die Ermittler vergleichen seit einigen Wochen die Aussagen des Schützen mit der Spurenlage. Der tödliche Ablauf dauerte nicht länger als ein bis zwei Sekunden. Es stellt sich die Frage, warum hinter den beiden ersten hereinstürmenden Beamten eine Granate gezündet wurde – ein Fehler, konstatiert ein ehemaliger Kommandoführer. Normalerweise sehe das Ausbildungstableau vor, dass ein „Irritationsträger“ geworfen wird, und erst danach die SEK-Männer das Objekt stürmen. Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert wollte sich zu Einzelheiten nicht äußern. „Die Ermittlungen laufen noch.“

Der Boxclub Osmanen Germania gilt seit einigen Jahren als einer der am schnellsten wachsenden rockerähnlichen Gruppierungen hierzulande. Die gut 300 Mitglieder sollen sich auf vielen kriminellen Feldern betätigen: Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche, Schutzgelderpressung. Außerdem gilt die Osmanen-Connection als Handlanger des türkischen Regimes gegen Dissidenten und der kurdischen Opposition in Deutschland.

SEK-Schütze weiterhin im Dienst

Vor dem Hintergrund hatte das Bundesinnenministerium erst jüngst eine Razzia gegen die Vereinigung durchführen lassen, um weitere Beweise für ein Vereinsverbot zu sammeln. Im Januar hatte das Landeskriminalamt NRW bereits „auf die konsequente Beachtung der Eigensicherungsgrundsätze bei allen polizeilichen Maßnahmen im Zusammenhang mit Angehörigen“ der Osmanen-Rocker hingewiesen. „Gefahrensituationen in diesem Zusammenhang können auch für Unbeteiligte nicht ausgeschlossen werden“, hieß es.

Neun Tage später fiel der tödliche Schuss aus einer Polizeiwaffe auf Osmanen-Boss Hamit P., der zu jener Zeit offenbar in den eigenen Reihen wegen Verfehlungen vor dem Ausschluss stand. Hamit P. war auf sich allein gestellt.

Der SEK-Schütze übt trotz der Untersuchung nach Informationen dieser Zeitung weiterhin seinen Dienst aus.

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