Frust und FormulareWelche Sozialleistungen Kindern zustehen – und was die Hürden sind

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Was Kindern an Sozialhilfe zusteht, reicht kaum aus. (Symbolbild)

Was Kindern an Sozialhilfe zusteht, reicht kaum aus. (Symbolbild)

Köln – Formulare, Formulare, Formulare. Wer arm ist in Deutschland, der muss nicht nur mit sehr, sehr wenig Geld zurecht kommen, sondern auch eine hohe Durchhaltefähigkeit und eine noch höhere Frustrationstoleranz an den Tag legen. So muss jemand der Arbeitslosengeld II oder Hartz IV bezieht, Kindergeld beantragen. Aber wenn es dann bewilligt wurde, fällt es der Familie nicht etwa als zusätzliche Summe zu – sondern es wird direkt mit dem Sozialgeld für Kinder verrechnet. Die Eltern erhalten also 194 Euro Kindergeld, aber um genau diese Summe wird der Regelsatz (für 6 bis unter 14 Jahren) von 296 Euro reduziert.

Sehen Sie in unseren Grafiken, was einem Kind (6-13) im Monat an Sozialleistungen zusteht

Es wird in armen Haushalten also viel gerechnet, und die Kinder leiden darunter besonders. In Berlin ist jedes dritte Kind von Armut betroffen, in Köln jedes fünfte – beide großen Städte liegen damit weit über dem Bundesdurchschnitt. In NRW lebten zum Stichtag (Juni 2017) 580 500 Kinder unter 18 Jahren in einer Familie, die Sozialhilfe bezog; das sind 12,7 Prozent mehr als 2013. In Köln waren es knapp 39 000, in Bonn 11 500, in Leverkusen 6250, in Düsseldorf mehr als 20 000. Die Steigerung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass viele Flüchtlinge inzwischen als Asylbewerber anerkannt sind oder eine Duldung besitzen – und daher aus dem gleichen „Topf“ versorgt werden wie arbeitsuchende Menschen mit deutschen Pass und nicht mehr aus dem Asylbewerberetat. Die Zahl der deutschen Kinder, die Sozialhilfe brauchten, ging leicht zurück.

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Nicht nur Kinder und ihre Familien aus Iran, Irak oder Syrien verändern die Statistik. Die EU-Osterweiterung ist ebenfalls spürbar: Fast zehntausend Kinder aus Rumänien und ebenso viele aus Bulgarien leben in Deutschland am staatlich finanzierten Minimum (Zahlen: Bundesagentur für Arbeit).

Aber was bedeutet das eigentlich? „Sagen Sie mir mal, wie Sie ein Kind mit 100 Euro durch ein ganzes Schuljahr bringen wollen?“, fragt stellvertretend für die Betroffenen Martin Debener, Fachreferent für Armut und Grundsicherung beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband in NRW. Diese Summe muss reichen für Ranzen, Hefte und Bücher. Und sie ist, das erschließt sich schnell, viel zu gering, egal wie viele Bücher man gebraucht kauft oder sich auf dem Flohmarkt besorgt. Schließlich brauchen Kinder auch einen Schreibtisch und einen Stuhl dazu. Debener plädiert dafür, die Sozialleistungen für Kinder nicht ins Hartz IV- und Arbeitslosenrecht der Erwachsenen einzubetten, sondern im Kinder- und Jugendhilfegesetz einen eigenen Rechtsanspruch für Kinder einzuführen.

Lücken im System

Und was ist mit dem Bildungs- und Teilhabepaket, das helfen soll, auch Freizeitaktivitäten besuchen zu können? „Nun ja“, sagt Debener, „wer keine Sprachprobleme hat, wer kein funktionaler Analphabet ist und wer die Anträge rechtzeitig stellt, hat zumindest bei den Anträgen für die Finanzierung von Klassenfahrten gute Karten.“

Auch die Kosten für das Schulessen ihrer Kinder können sich Eltern aus diesem Paket weitgehend zurückholen, 20 Euro im Monat sind das. Franz Meurer aber kennt die Lücken im System. Seit 1992 ist er Pfarrer in den Kölner Problemvierteln Vingst und Höhenberg. 42 Prozent der Kinder sind hier auf Hilfe vom Staat angewiesen. „Ich habe erlebt“, sagt Meurer, „dass Eltern ihre Kinder aus dem offenen Ganztag abmelden, die 20 Euro für das Essen trotzdem kassieren – und für eigene Interessen ausgeben.“

Damit die Versorgung der Kinder garantiert wird, findet Meurer, müssten Schulessen und weitere Bildungsmaterialien für Kinder in prekären Lebensumständen generell umsonst herausgegeben werden – ohne den Umweg über die Eltern und das Amt. Das Bildungs- und Teilhabepaket hält Meurer wie auch sein evangelischer Kollege Hans Mörtter, Pfarrer der Kölner Lutherkirche, für zu kompliziert. „Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute überhaupt wissen, welche Beträge sie sich vom Staat zurückholen können“, sagt Mörtter, der oft Hartz-IV-Empfängern mit Spenden aus der Gemeinde aushilft. „Da wird zu wenig Aufklärung seitens der Ämter betrieben.“

14 Euro monatlich für Schuhe

Viel Bürokratie sei das, mit große Hürden. Das zeigt sich beispielsweise an einer Mitgliedschaft in einem Sportverein; dafür gibt es zehn Euro im Monat aus dem Paket für Bildung und Teilhabe – den lästigen Papierkram mit wiederkehrenden Verlängerungsanträgen muss aber in diesem Fall der Sportverein übernehmen; eine Aufgabe, die sich nicht immer großer Beliebtheit erfreut. Mit den 14 Euro, die bei sechs bis 13-Jährigen monatlich für Schuhe zur Verfügung stehen, können nur Zauberer auch noch solche mit Stollen für den Bolzplatz beschaffen. Und wie steht es mit Musikunterricht? Debener: „Nennen Sie mir mal eine Musikschule für zehn Euro im Monat.“ Das Instrument ist dabei auch noch nicht bezahlt.

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch fordert: „Der Kampf gegen Kinderarmut muss zur Chefsache werden, jedes Kind verdient es, die gleichen Chancen im Leben zu haben. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mit sinnvollen und gut bezahlten Jobs.“ Die Grünen fordern ein neues System der Existenzsicherung für Kinder und Jugendliche, das Teilhabe für alle garantiere.

„Angesichts voller Kassen muss Schwarz-Rot in Berlin eine existenzsichernden Kindergrundsicherung einführen. Nur so können Kinderarmut wirksam bekämpft und Möglichkeiten für einen Aufstieg durch Bildung und Teilhabe geschaffen werden.“ Das fordert der sozialpolitischen Sprecher der NRW-Grünen, Mehrdad Mostofizadeh. Außerdem müssten notleidende Kommunen vom Bund unterstützt werden, um in die Bildungsinfrastruktur investieren können. (mit gmv)

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