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30. Mai 1942Tausend Bomben, ewig Albträume

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Der brennende Rheinauhafen. (Archivbild)

Der brennende Rheinauhafen. (Archivbild)

Köln – Paul Lauwigi hört noch die Bombeneinschläge, das Krachen der Balken, hört die Schreie der Verzweifelten. Er sieht die brennenden Häuser und riecht den Rauch. „Die Bilder kehren immer wieder. Die Albträume sind geblieben“, sagt er. Paul Lauwigi war damals acht. „Als Junge kannst du sowas nicht richtig verarbeiten.“ Dieter Schmidt-Peltzer (87) sagt, die Erinnerung an die Nacht der 1000 Bomben kehre manchmal nachts zurück.

„Meistens, wenn ich lange nicht mehr daran gedacht habe.“ Er wälzt sich dann im Bett und kann die Bilder nicht abschalten. So ähnlich erzählen es viele von denen, die noch leben. Die Nacht des 30. Mai 1942, als die Alliierten unter dem Decknamen „Operation Millennium“ den ersten Großangriff auf eine deutsche Großstadt flogen, ist nicht nur als Beginn vom Untergang des alten Köln in Erinnerung geblieben. Sie wurde im Nachhinein zur Nacht der Albträume.

Der 30. Mai 1942 war ein warmer Frühlingstag. Die Kinder spielten in kurzen Hosen, viele Kölner verbrachten den Tag im Freien. „Es lag so gar nichts von Krieg in der Luft“, sagt Marliese Pütz, die sich noch an den Sonnenbrand erinnert, den sie sich beim Sportfest der Hitlerjugend in der Merheimer Heide holte. „Wir gingen frohgemut ins Bett. Wahrscheinlich, weil es zuvor länger keinen Luftangriff gegeben hatte.“

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Um 0.47 Uhr waren die Silhouetten der Bomber am Kölner Nachthimmel zu sehen. Kurz zuvor hatten sogenannte Pfadfinderbomber die Ziele ausgeleuchtet. Wer aus seinem Haus gute Sicht hatte, konnte erahnen, welches Ausmaß der Angriff haben würde.

Die Zahlen können das Leid höchstens erahnen lassen: 1000 Sprengbomben und 100 000 Stabbrandbomben warf die britische Royal Air Force (RAF) über der Stadt ab. Erstmals setzten die britischen Streitkräfte in dieser Nacht mehr als 1000 Flugzeuge gleichzeitig ein – diese Strategie gab dem Angriff seinen Namen. Mehr als 450 Menschen kamen ums Leben, 5000 wurden verletzt, 3330 Häuser komplett zerstört, 45 000 Kölner obdachlos. 2500 Brände loderten in der Stadt – die Feuerwehr kam oft nicht durch, weil die Straßen sich in Kraterlandschaften verwandelt hatten. „Wir dachten, heute geht die Stadt unter“, sagt Lauwigi.

„Aber es wurde ja später sogar noch schlimmer.“ So starben beim „Peter-und-Paul-Angriff“ in der Nacht zum 29. Juni 1943 fast 4400 Menschen. 262-mal wurde Köln im Zweiten Weltkrieg von alliierten Luftgeschwadern angegriffen. Öfter als jede andere deutsche Großstadt, weil Köln ein bedeutender Standort von Rüstungsbetrieben war, mit seinen Eisenbahnanlagen und Rheinschiffen strategisch wichtig – nicht zuletzt, weil Köln die nächstgelegene Großstadt war. Der letzte große Luftangriffam 2. März 1945 sollte die Einnahme durch die Amerikaner vorbereiten; die Stadt war da schon fast menschenleer. Knapp 800 000 Menschen lebten vor dem Krieg in Köln. Bei Kriegsende waren es deutlich unter 100 000. Die meisten geflüchtet, viele tot.

Auch die Familie von Paul Lauwigi wurde später ausgebombt und flüchtete. Das war 1944 – „nachdem wir eine Woche in unserem Bunker verschüttet waren“. Dieter Schmidt-Peltzer half am Morgen des 31. Mai 1942 beim Aufräumen und Löschen in der Altstadt. Die Bilder der Leichen am Straßenrand, die „aussahen, als schliefen sie nur“, hat sein Gedächtnis aufbewahrt. Schmidt-Peltzer ist 1944 in Köln von Bombensplittern verwundet worden. Heute wundert er sich, dass er überlebt hat und schüttelt den Kopf wegen der Zerstörung, die die Nazis in Kauf nahmen, um die Welt zu erobern. „Unglaublich, wie viele Menschen seelisch zerstört worden sind“, sagt Schmidt-Peltzer. Er selbst lacht oft, wenn er sich erinnert. Es ist das Lachen eines Mannes, der überlebt hat – und den danach nur noch seine Träume erschüttern konnten.

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