Misshandlungen im KinderheimKerpenerin erhält nach langer Leidenszeit Sozialrente

Lesezeit 4 Minuten
Monika Stey1

Die Idylle trügt: Monika Stey, hier als Kind auf dem Schoß des Vaters sitzend, erlebte keine schöne Kindheit. 

Kerpen – Alle drei Monate fährt Monika Stey zu einem Gesprächskreis ins Kloster Dernau, den die Schwestern des Ordens der Armen Dienstmägde Jesu Christi anbieten. „Dann singen und beten wir zusammen. Ich übernachte auch dort. Das ist immer eine schöne Atmosphäre, besser als früher“, berichtet Stey.

Früher als Kind hat die heute 65-Jährige schlechte Erfahrungen mit den Dienstmägden Jesu Christi gemacht. Der Orden leitete in der Nachkriegszeit das St.-Vinzenz-Kinderheim in Kerpen, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen und heute noch existierenden Kindergarten.

Im Heim jahrelang Gewalt erlitten

Monika Stey lebte von 1961 bis 1965 in diesem Heim. Weil sie wegen der dort und in anderen Heimen erlittenen Gewalt nun unter „posttraumatischen Belastungsstörungen“ leidet, billigte ihr das Sozialgericht Köln eine Grundrente in Höhe von 250 Euro nach dem Opferentschädigungsgesetz zu.

Diese Entscheidung sei in Form eines Vergleichs mit dem Landschaftsverband Anfang März zustande gekommen, berichtet Steys Anwalt Günter Hackstein. Der Landschaftsverband will das aus datenschutzrechtlichen Gründen weder bestätigen noch dementieren.

LVR: „dunkles Kapitel“ unserer Geschichte

Er verweist aber darauf, dass er die Geschichte der Heimkinder von 1945 bis 1975 als „dunkles Kapitel der Verbandsgeschichte“ betrachte und aufarbeiten lasse. Gerade hat er dazu eine neue Studie vorgelegt.

Acht Jahre alt war Monika Stey, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt, als sie 1961 von einem Arzt als „schwachsinnig“ eingestuft wurde. Diese Diagnose war falsch, wie Jahrzehnte später eine Amtsarzt bescheinigte. Warum sie als Mädchen so „wibbelig und frech“ war, ist ungeklärt.

Monika_Stey3

Das Kerpener Vinzenzhaus an der Stiftsstraße wurde Ende der 70er-Jahre abgebrochen. Vorher war hier unter anderem ein Kinderheim untergebracht.

War der gewalttätige, unbeherrschte und oft betrunkene Vater schuld? War es das Zappelphilippsyndrom, Hyperaktivität, ADHS? Heute gäbe es wahrscheinlich eine Diagnose und die nötigen Therapien. Damals aber wurden schwierige Kinder ins Heim gesteckt und mit Psychopharmaka ruhig gestellt.

Martyrium währte fünf Jahre

Im Vinzenzhaus erlebte Monika Stey ein fünf Jahre währendes Martyrium. Sie beschrieb es später in ihrem Buch, das sie über ihre lange Leidenszeit als Kind, Jugendliche und junge Erwachsene in diversen Heimen geschrieben und selbst veröffentlicht hat.

Als sie im frühpubertären Alter etwa von einer Nonne dabei erwischt wurde, wie sie ihren eigenen Körper im Bett abtastete, sei diese ausgerastet und habe das Kind als „Hexe“ beschimpft.

„Ich fürchtete, dass ihr der Kopf platzen würde, und blieb ausnahmsweise ganz still, als sie auf mich einprügelte und mir einen Leinensack über den Kopf stülpte. Dann wurde ich in eine mit eiskaltem Wasser gefüllte Badewanne gesetzt, bekam ein paar Schläge auf den Kopf und musste stundenlang »abkühlen«“.

Schwere Misshandlungen

Schläge mit dem Kochlöffel oder gar mit einer Peitsche habe es im Vinzenzheim öfter gegeben, erinnert sich Stey. 1966 wurde sie in die geschlossene Psychiatrie des Landeskrankenhauses Langenfeld überwiesen, andere Einrichtungen folgten, bis sie mit der Volljährigkeit allmählich lernte, auf eigenen Füßen zu stehen.

Als Erwachsene die Hauptschule nachgeholt

Sie holte den Hauptschulabschluss nach, machte eine Ausbildung als Krankenpflegerin und arbeitet heute „mit viel Freude“ als selbstständige medizinische Fußpflegerin. Besonders stolz ist sie auf ihre Ausbildung als Therapeutin für Demenzkranke.

Monika Stey2

Stolz ist Monika Stey auf ihre Berufszertifikate. Sie ist ausgebildete Fußpflegerin und Betreuerin für Demenzkranke.  

Heute lebt sie in Engelskirchen und führt ein selbstbestimmtes, wenn auch bescheidenes Leben. „Mit der Opferrente komme ich auf rund 1000 Euro im Monat. Das reicht für mich.“

Zehn Jahre Kampf um die Opferrente

Zehn Jahre lang hat sie für die Opferrente prozessiert: In einem ersten Anlauf war die Entschädigungsrente 2009 noch vom Landschaftsverband abgelehnt worden. Zwar gebe es „keinen Zweifel“ daran, dass ihr in der Kindheit „schweres Unrecht“ angetan wurde, beschied dieser damals.

Doch könne eine Opferentschädigung nur bewilligt werden, wenn es aktuelle gesundheitliche Beeinträchtigungen gebe und diese ursächlich mit dem damaligen Heimaufenthalt zusammenhingen. Hier sei der Nachweis nach so vielen Jahrzehnten aber nicht mehr möglich.

Posttraumatische Belastung nachgewiesen

Stey hatte gegen den ablehnenden Bescheid Einspruch erhoben und konnte jetzt dank eines Gutachtens und Zeugenaussagen eine „posttraumatische Belastung“ durch den Heimaufenthalt nachweisen. Dies, so Hackstein, habe der Landschaftsverband akzeptiert.

Mit dem Orden der „Armen Dienstmägde Christi“ hat Monika Stey ihren Frieden gemacht. Die Nonnen, die seinerzeit im Kerpener Kinderheim eingesetzt waren, leben schon lange nicht mehr.

Doch mit ihren Nachfolgerinnen hat sich Stey schon 2009 erstmals auf Einladung des Kerpener Heimatvereins getroffen, der auch weitere Zeitzeugen zur Geschichte des Kinderheimes geladen hatte. Es stellte sich heraus, dass die anfängliche in Kerpen und beim Orden vorherrschende Skepsis gegenüber den Schilderungen Steys unberechtigt war.

Misshandlungen typisch für die Zeit

Sie hatte über die Missstände im Heim die Wahrheit erzählt, das bestätigte eine frühere zivile Mitarbeiterin. Ein Historiker führte die Zustände in dem Heim auch auf den damaligen Zeitgeist zurück. In den 50er- und 60er-Jahren seien Misshandlungen Heime typisch gewesen.

Die pädagogisch oft nicht ausgebildeten Nonnen seien mit der Betreuung der Kinder überfordert gewesen. So haben in Kerpen bis zu 30 oft kranke und schwierige Kinder in einem Schlafsaal übernachtet und mussten beaufsichtigt werden. „Das war auch für die Erzieher ein schreckliches Leben.“

Aus dem ersten Treffen mit den Ordensschwestern sei eine „echte Freundschaft“ entstanden, erzählt Monika Stey. Regelmäßig fährt sie ins Kloster. „Die Schwestern können auch verstehen, wenn ich manchmal mit Gott hadere, weil ich es in meinem Leben so schwer hatte.“

Monika Stey, „Ich träume von einer Insel – Mein Leben unter schwarzer Pädagogik“, ISBN 978-3-942594-23-3

KStA abonnieren