Interview mit Mutlu Günal„Viele haben ihren Traum vom Gottesstaat ad acta gelegt“

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Mutlu Günal dpa

Mutlu Günal

Herr Günal, sie gelten als einer der führenden Verteidiger im Bereich islamistischer Terrorismus, was macht den Reiz aus?

Das hat sich mit der Zeit einfach so ergeben, das war zunächst purer Zufall. Diese Staatsschutzverfahren sind sehr komplex und unterscheiden sich deutlich von dem normalen Alltagsgeschäft eines Strafverteidigers, alleine schon aufgrund der Spezialzuständigkeiten des Generalbundesanwalts und der Staatsschutzsenate bei den Oberlandesgerichten. Auch die Sachverhalte, die verhandelt werden, sind natürlich andere. Das macht es so spannend. Mit dem Beginn des Syrien-Krieges explodierten die Staatsschutzverfahren, teilweise entwickelte sich eine Art Anschlagshysterie, die durch die reelle Lage so nicht gerechtfertigt ist. Und ich wurde immer häufiger - vermutlich auch wegen meines recht aktiven Verteidigungsstils - angefragt.

Nun haben sie etwa Leute vertreten, Staatsfeinde quasi, wie jenen deutschen Konvertiten, der am Bonner Hauptbahnhof eine Bombe deponiert hatte, wie haben sie solche Prozesse erlebt?

Als große Herausforderung gegen diesen übermächtigen Staat anzutreten, ein Apparat mit ungeheuren Ressourcen und Möglichkeiten. Und ich als Verteidiger, als Organ der Rechtspflege, habe nur das Grundgesetz und die Strafprozessordnung zur Verfügung, um dem Rechtsstaat Geltung zu verschaffen. Dasselbe ist doch nun gerade wieder in Syrien und im Irak zu sehen.

Wie meinen Sie das?

Nach den massiven Gebietsverlusten des „Islamischen Staats“ (IS) ist die Lage in Syrien und dem Irak äußerst diffus, das Schicksal Hunderter deutscher IS-Kämpfer ist unklar. Ich vertrete inzwischen gut ein Dutzend Familien, deren Töchter und Söhne als vermeintliche Anhänger des IS oder anderer in Deutschland verbotener Gruppen in einem Lager der Kurden-Miliz YPG festsitzen. Sie würden gerne zurückkehren nach Deutschland.

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Viele von ihnen haben sich etwa vom IS abgewandt, sind geläutert, desillusioniert und bereuen inzwischen die Ausreise in diese Kriegsgebiete. Ich habe das Auswärtige Amt gebeten, bei den örtlichen kurdischen Stellen vorstellig zu werden, um diese Menschen nach Deutschland zurückzuführen. Aber außer Antwortbriefen, in dem Berlin seine angebliche Ohnmacht schildert, ist nichts geschehen.

Glauben Sie allen Ernstes, die deutschen Behörden würden sich ins Zeug legen, um ehemalige IS-Kämpfer wieder nach Deutschland zu bringen und somit die Terrorgefahr hierzulande zu erhöhen ?

Zunächst einmal sei gesagt, dass es sich hier um deutsche Staatsbürger handelt. Das heißt: Auch bei diesen Menschen ist der Staat gesetzlich verpflichtet, sich zu kümmern. Und wer sagt denn überhaupt, dass von diesen Menschen noch weiterhin Gefahr droht? Viele der Briefe, die meine Mandanten aus den Lagern schreiben, zeichnen ein ganz anderes Bild.

Und zwar ?

Da sitzen völlig verzweifelte Mütter mit kleinen Kindern unter unerträglichen Bedingungen ein. Das Essen ist knapp, die hygienischen Umstände sind katastrophal, es gibt kaum Medizin, geschweige denn eine ordentliche ärztliche Versorgung. Viele schreiben, dass sie ihren Traum vom Leben in einem islamischen Gottesstaat ad acta gelegt haben. Meine Mandanten haben Angst und wollen einfach nur wieder nach Hause - zurück in geordnete Verhältnisse. Und hier müsste die Bundesregierung mehr tun, als nur zu schreiben, dass man derzeit nichts tun könne. Nach meinen Erkenntnissen wären die Kurden der YPG froh, diese Gefangenen bald los zu werden. Warum versuchen die hiesigen Stellen nicht etwa über den Bundesnachrichtendienst die kurdischen Kämpfer zu kontaktieren und eine Vereinbarung über die Freilassung dieser Männer und Frauen zu schließen. Wenn die Rückkehrer dann wieder in Deutschland sind, können in rechtsstaatlichen Verfahren über Schuld und Unschuld befunden werden. Seine Staatsbürger aber in solchen Verhältnissen wie in Syrien ihrem Schicksal, nämlich dem sicheren Tod, zu überlassen, kann keine Alternative sein.

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