Staatliche ÜberwachungBürgerrechtler: Bundesregierung nutzt Befugnisse brutal aus

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Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert im Plenarsaal des Bundestages.

Berlin – Einmal im Jahr erscheint der etwas andere Verfassungsschutzbericht: Im „Grundrechte-Report“, der von Bürgerinitiativen seit 1997 herausgebracht wird, stehen nicht Parteien und extremistische Splitter-Gruppen im Fokus – sondern der Staat selbst als größter Gefährder für die Bürger- und Menschenrechte in Deutschland.

Am Dienstag stellte Volker Beck, langjähriger Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, den „Grundrechte-Report 2018“ in Karlsruhe vor. Er listet in 45 Fällen staatliche Rechtsverletzungen und hastig durchgepeitschte Gesetzesnovellen vor, die zahlreiche Grundrechte angreifen – von der Gleichberechtigung über die Versammlungsfreiheit bis hin zur Menschenwürde.

Befugnisse werden ausgenutzt

Einer der Schwerpunkte des diesjährigen Berichts sind die Einschränkungen von Freiheitsrechten und die überbordende Überwachung durch den Staat. Wie nutzt die Bundesregierung ihre weitreichenden Befugnisse, vor allem auch in einer zunehmend digitalisierten Welt? Das Fazit der Bürgerrechtler: Sie nutzt sie brutal aus.

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Mitte 2017 verabschiedete die Große Koalition zum Beispiel in weniger als vier Wochen unter dem unhandlichen Begriff „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“ (Quellen-TKÜ) neue Ermittlungsinstrumente zur präventiven Gefahrenabwehr. Dabei wird heimlich eine Spionagesoftware auf Handys, Tablets oder Laptops installiert. Die „Staatstrojaner“ können die gesamte Onlinekommunikation einer Person – und der Personen, mit denen sie sich unterhält - abfangen, darunter auch eigentlich verschlüsselte Botschaften, die über Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram geschickt werden.

Sicherheitslücken werden toleriert

Absurd: Dabei werden von den Behörden der Strafverfolgung IT-Schwachstellen ausgenutzt, zu deren Behebung eigentlich eine andere staatliche Stelle streng verpflichtet ist – nämlich das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie. Damit die Polizei aber weiter freie Hand hat, werden massive Sicherheitslücken aufrechterhalten, die auch Cyberkriminelle nutzen können.

Verfassungswidrig, urteilt Fredrik Roggan, Professor an der Hochschule der Polizei von Brandenburg, im „Grundrechte-Report“ und spricht von einem „Zielkonflikt zwischen Strafverfolgung und IT-Sicherheit, der größer kaum vorstellbar ist“. Trotzdem ist die Maßnahme ein äußerst beliebtes Werkzeug: Sie werde im Jahr „weit über 30.000 Mal“ angeordnet – und zwar nicht etwa bei vermuteter Terrorgefahr, sondern vor allem bei Alltagskriminalität wie Hehlerei und Betrug.

Kritik an neuer Abteilung der Bundeswehr

Ähnlich fragwürdig bewerten die Experten die Aufrüstung der Bundeswehr mit dem neuen Kommando „Cyber- und Informationsraum“ in 2017. Von bis zu 80 Soldaten, die derzeit in Rheinbach bei Bonn stationiert sind, soll auf insgesamt 15.000 Cyber-Dienststellen aufgerüstet werden – „ohne Parlamentsbeteiligung, demokratische Kontrolle und gesetzliche Grundlagen“.

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Diese digitale Kampftruppe soll auch im Landesinnern tätig werden, wo eigentlich ausschließlich Polizei, Geheimdienste und Justiz zuständig sind. Vor allem aber soll die Einheit nicht nur Attacken abwehren, sondern zu eigenen Cyberangriffen auf andere Staaten und IT-Systeme befähigt werden, schreibt Rechtsanwalt Rolf Gössner unter Berufung auf ein Papier des Verteidigungsministeriums. So würden entgegen des Grundgesetzes Vorbereitungen getroffen zur „Entwicklung von Cyberwaffen und zum Führen von Cyberkriegen – auch als Begleitmaßnahme zu konventionellen Kriegseinsätzen im Ausland“. Eskalations- und Missbrauchspotential würden hierdurch massiv erhöht.

Gesichtserkennung am Bahnhof 

Aber nicht nur online, sondern auch in der Welt offline werden wir immer öfters Ziele von staatlicher Überwachung. Am Berliner Bahnhof Südkreuz läuft seit August 2017 ein Pilotprojekt, in dem mehrere Kameras Freiwillige aufnehmen, verfolgen, scannen und automatisch mit Fahndungsdatenbanken der Polizei abgleichen. Verläuft der Test positiv, soll die Gesichtserkennungs-Software an öffentlichen Plätzen flächendeckend eingesetzt werden – so sieht es jedenfalls der Plan von Ex-Innenminister Thomas De Maiziere vor. Rechtlich steht das Projekt auf gänzlich wackligen Beinen, erfordert es doch die Überprüfung von Tausenden unverdächtigen Gesichtern. Gerichtsurteile stehen noch aus.

Volker Beck sieht in den Überwachungsbestrebungen der Bundesregierung eine „explosive Mischung für die Freiheit der Bürger“. „Wer zulässt, was technisch geht, bereitet Datensätze vor, aus denen sich Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellen lassen. Das ist brandgefährlich“, so Beck.  

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