Aufgeschoben statt abgeschobenNRW kann 16 islamistische Gefährder nicht ausweisen

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Flieger Abschiebung

Düsseldorf – Der Mann aus der Rixdorfer Straße in Köln-Mülheim hielt das Schreiben der Ausländerbehörde für wenig bedeutsam. Darin forderte die Kommune Alpaslan Ü., 28, zur Ausreise auf. Doch der Mann ignorierte die Anweisung. Mitte Mai standen dann Beamte vor seiner Tür und verfrachteten den türkischen Staatsbürger, der in Köln geboren wurde, in ein Flugzeug nach Istanbul. Die Abschiebung gelang nur, weil Alpaslan Ü. es versäumte, über seinen Anwalt gegen die Ausreiseverfügung vor dem Verwaltungsgericht zu klagen.

Verurteilter Terror-Helfer

Seit einiger Zeit stand der Endzwanziger auf der Liste islamistischer Gefährder. Häufig saß er nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeiger vor dem PC und klickte dschihadistische Seiten an. Unter Stichworten wie Selbstmord im Krieg, Märtyrertum oder Dschihad lud sich der Harz-IV-Empfänger Dateien herunter. Dazu zählte auch Propaganda-Material der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) mit dem Titel „Greif sie an“ nebst Anleitung zum Bombenbau. Auch der optimale Messereinsatz wurde dort demonstriert – um Ungläubigen die Kehle durchzuschneiden.

Im Dezember 2017 wurde der Kölner in einem Terror-Prozess in Braunschweig zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt, weil er eine Gruppe um einen deutschen Konvertiten mit einem kleinen Geldbetrag unterstützt hatte. Die Zelle hatte Sprengstoff-Anschläge auf Soldaten und Polizisten hierzulande geplant, kurz vor ihrer Festnahme aber das Vorhaben aufgegeben.

Alles zum Thema Joachim Stamp

Der mutmaßliche Mitverschwörer Alpaslan Ü. legte Revision gegen das Urteil ein. Vor diesem Hintergrund kritisiert sein Anwalt Michael Murat Sertsöz im Gespräch mit dieser Zeitung die Abschiebeaktion der NRW-Behörden. „Das Urteil gegen meinen Mandanten ist noch nicht rechtskräftig, es bleibt also abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof entscheidet.“ Sollte Karlsruhe den Schuldspruch aufheben, will Sertsöz „ein Visum beantragen, um meinen Mandanten zurück zu holen. Der Junge spricht kaum Türkisch, ist in Deutschland verwurzelt, hat hier seine Großmutter bis zu ihrem Tode gepflegt“. Sein Vergehen sei einzig gewesen, dem Chef der verurteilten Terror-Gruppe 40 Euro zu überweisen. Die Einstufung als Gefährder nannte der Kölner Strafverteidiger „willkürlich“.

Der Fall veranlasste NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) nicht nur zu betonen, dass man „weiter mit allen rechtlichen Mitteln gegen Gefährder und Kriminelle vorgehen“ werde. Zugleich sandte er harsche Kritik nach Berlin: „Wir könnten noch mehr erreichen, wenn der Bund bessere Rückführungsabkommen abschließen könnte. Statt markiger Sprüche erwarte ich hier von Horst Seehofer mehr Taten.“

Tatsächlich liegen die Abschiebezahlen weit unter dem Soll. Bundesweit sind derzeit 230 000 Menschen ausreisepflichtig. Laut Minister Stamp müssten allein aus NRW fast 71 000 Ausländer die Bundesrepublik verlassen. Knapp drei Viertel von ihnen werden allerdings weiter geduldet. Häufig verhindern humanitäre Gründe, rechtliche Hindernisse, mangelnde Kooperation des Herkunftslandes oder das Untertauchen des Betroffenen den Rücktransfer. 2017 seien aus NRW 6030 Ausländer abgeschoben worden, knapp ein Viertel mehr als im Jahr zuvor, betont Stamp. Mit einem Anteil von 38 Prozent aller Abschiebungen sei NRW „Vorreiter in Deutschland gewesen“. In den ersten drei Monaten dieses Jahres habe es bereits 1631 Abschiebungen gegeben. Die meisten gescheiterten Asylbewerber stammen aus den Westbalkanstaaten.

Abschiebungen sind Ländersache

Italien gehört deswegen zu den häufigen Ausweisungszielen, weil viele Asylbewerber zwar nach Deutschland weitergereist sind, aber Italien als erstes ein EU-Land betreten haben – und dort Asyl beantragen müssen. Abschiebungen sind Ländersache. Nach Angaben der Bundespolizei musste im ersten Quartal 2018 jeder zweiter Abschiebeversuch abgebrochen werden.

2017 wurden bundesweit 25 600 abgelehnte Asylbewerber außer Landes gebracht, in weiteren geplanten 22 000 Fällen blieb der Platz im Flieger aber leer. Die Gründe sind vielfältig: Mal verhindert ein ärztliches Attest die zwangsweise Ausreise, mal ein erfolgreicher Einspruch. In gut 300 Fällen weigerten sich die Piloten, randalierende Abschiebehäftlinge mitzunehmen. Mitunter versuchen Unterstützergruppen, die Rückführung zu unterbinden. „Der Hauptgrund ist aber, dass die Landesbehörden nicht wissen, wo die Leute sind, wenn sie ausreisen sollen“, heißt es in Berliner Sicherheitskreisen.

Dies liegt vor allem daran, dass die Länder insgesamt nur rund 400 Plätze in Abschiebehaftanstalten haben, In Büren (NRW) sind es 140. „Kein Wunder, dass Tausende Abschiebemaßnahmen scheitern“, moniert ein hoher Staatsschützer. Die Länder müssen die Flugtickets auch dann zahlen, wenn der gebuchte Platz im Jet frei bleibt.

Zweifelhafte Staatsangehörigkeiten

Immer häufiger erleben die staatlichen Stellen, dass Medien frühzeitig über Abschiebeflüge nach Afghanistan berichten. Manchmal lassen Unterstützergruppen durchsickern, wann ein Termin ansteht – und betroffene Flüchtlinge tauchen ab. Nordafrikanische Länder wie Tunesien oder Algerien nehmen zudem nur kleine Kontingente von fünf bis 15 Personen zurück.

Kompliziert liegen die Dinge auch bei Dschihadisten aus NRW. Rund 80 leben hierzulande – einige nach Einsätzen in Syrien oder dem Irak. 40 von ihnen sitzen im Gefängnis, die andere Hälfte wird mehr oder minder beobachtet – je nach Risikoanalyse. Laut Angaben des NRW-Flüchtlingsministeriums sind 16 der Gefährder ausreisepflichtig, sechs von ihnen könnten direkt abgeschoben werden. Wenn nicht die Papiere des Herkunftslandes fehlten oder die Staatsangehörigkeit zweifelhaft wäre.

Jordanien will keinen neuen Pass ausstellen

So etwa im Fall etlicher Islamisten der ersten Generation, die längst ihre Strafen verbüßt haben. Mohamed Abu D., Ex-Chef der Terrorzelle Al-Tawhid, darf nach seiner Freilassung im Mai 2010 sein Quartier in Köln nur nach Genehmigung des Ordnungsamtes verlassen. Er will in seine Heimat Jordanien ausreisen, aber die dortigen Stellen verweigern seine Rückkehr und stellen keinen neuen Pass aus.

Für manche Extremisten haben die deutschen Gerichte ein Abschiebeverbot verhängt. Sami Ben Mohamed A., ein Prediger aus Bochum mit breiten Verbindungen in die radikal-islamische Salafistenszene, wehrt sich seit zwölf Jahren erfolgreich gegen den Rücktransfer nach Tunesien, seinem Herkunftsland. Inzwischen ist der Islamist verheiratet, hat vier Kinder. Im Gegensatz zu ihm besitzen seine Angehörigen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Familie lebt von Hartz-IV-Leistungen.

1997 kam Sami A. als Student nach Deutschland. Die Jahrtausendwende soll er in einem afghanischen Trainingscamp des Terrornetzwerks El Kaida verbracht haben, dort soll er in die Leibgarde des inzwischen getöteten Anführers Osama bin Laden aufgestiegen sein. Laut Aktenvermerk soll er dort Kontakte zu Ramzi Binalschibh, dem Chefplaner der Flugzeuganschläge vom 11. September 2009 in den USA, geknüpft haben.

Nach seiner Rückkehr bewegte der begeisterte Karatekämpfer sich in islamistischen Kreisen. Obwohl die Bundesanwaltschaft 2007 ein Terrorverfahren gegen den heute 42-jährigen Mann einstellte, stufte die Polizei ihn als Gefährder ein.

Der Tunesier begann zu predigen. Wie aus Ermittlungsakten hervorgeht, pflegte der Bochumer, alias Abu Al-Mujtaba, enge Kontakte zum mutmaßlichen IS-Statthalter in Deutschland, Abu Walaa. Ende Dezember 2015 lud er den – später inhaftierten – Hassprediger aus Hildesheim nach Bochum zum Essen und zu einem Saunabesuch ein.

OVG schützt Islamisten

Die Staatsschützer hatten zeitweilig einen V-Mann auf Sami A. angesetzt. Der berichtete dem Landeskriminalamt NRW, dass Sami A. stets in Sorge sei, bei den Sicherheitsbehörden aufzufallen. Aus seinem Umfeld stammen zwei Brüder aus Herne, die bei ihm den Weg in den Dschihad begonnen haben sollen. Die beiden IS-Kämpfer starben Ende Oktober 2017 bei US-Luftangriffen in Syrien. Ihr Mentor in Bochum kann sich hingegen sicher fühlen: Im April 2017 untersagte das Oberverwaltungsgericht, Sami A. nach Tunesien abzuschieben. Die Begründung der Richter: Es bestehe die Gefahr, der Dschihadist könne in seinem Heimatland unmenschlich behandelt oder gar gefoltert werden.

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