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Rheinische SeenplatteAus den Tagebau-Gruben in NRW werden gewaltige Gewässer

Lesezeit 6 Minuten
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So könnte es am Tagebau einmal aussehen.

  • Spätestens 2030 sollen die Tagebau-Gruben in Nordrhein-Westfalen geflutet werden.
  • In der Lausitz ist es jetzt bereits soweit – eine Seenplatte soll entstehen. Genau wie in NRW.
  • Wir zeigen Illustrationen, wie die Rheinische Seenplatte aussehen soll und welche Folgen das haben könnte.

Düren – In spätestens elf Jahren ist es soweit. Dann beginnt von Westen her die systematische Flutung des Rheinlands. Im halbamtlichen Broschüren-Deutsch klingt das so: „Gemäß Braunkohlenplan Inden II entsteht nach Beendigung des Tagebaus im Gebiet der Gemeinde Inden der Indesee in einer Größe, die ungefähr der des Tegernsees entspricht.“

Die betroffene Gemeinde reagiert kaufmännisch flexibel und stellt sich möglichen Investoren und Neubürgern auf der kommunalen Homepage schon mal als künftig maritimes Zentrum vor – „Wohnen am See“, jede Menge Wassersport, Strand direkt vor der Haustür. Man hört schon fast die Möwen kreischen.

Yachthafen im alten Ortskern

Die Gemeinde Inden – oder das, was die Schaufelradbagger nach Dekaden übrig gelassen haben – liegt direkt an der Autobahn A4 zwischen Tagebau, der Kreisstadt Düren und der monumentalen Technik-Kathedrale des Kraftwerks Weisweiler. Dort, so haben über Generationen hinweg die Eltern ihren Kindern erzählt, würden die Wolken für ganz Deutschland produziert. Solange man das glaubte, war man ein bisschen stolz. Allerdings musste stets – schnell! – die weiße Wäsche von der Leine geholt werden, wenn der Wind die Dampfgebirge aus den Schloten und Kühltürmen in die falsche Richtung blies.

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„Zukunft“ – das war damals der Name des benachbarten Tagebaus, der zwischen Eschweiler und Aldenhoven ein Dorf und ein Weiler nach dem anderen wegfraß. Oder mit anderen Worten: „Tagebau und Kraftwerk verlangten in den vergangenen Jahrzehnten unserer Gemeinde und den Menschen viel ab“, schreibt Bürgermeister Jörg Langefeld jetzt auf der Homepage der Gemeinde Inden. „Mit Blick auf das absehbare Ende des Braunkohlenabbaus“ gehe es nun um ein „ebenso ehrgeiziges wie beispielhaftes Projekt“, es geht „um die ökonomische und ökologische Entwicklung der ganzen Region.“

„Wir haben die einzigartige Gelegenheit, hier eine neue Landschaft zu entwerfen“, sagt Jens Bröker. Er ist Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Indeland GmbH, die im Auftrag der Anlieger-Kommunen Planung und Vermarktung rund um den See betreibt. Es ist nicht zu früh: der „Rahmenplan Indesee“ schreibt vor, dass der Tagebau in den letzten zehn Jahren seines Betriebs auf die spätere See- und Ufer-Nutzung hin zu steuern ist. Aus dem Umstand, dass die Marina, der Yachthafen des Sees, im Ortsteil Inden-Altdorf angelegt werden soll, ergibt sich das komplette Wegesystem mit Zu- und Abfahrten und sonstigen Erschließungen. Das ist der aktuelle Planungsstand.

„Aber natürlich“, sagt Bröker, „verfolgen wir die Diskussion über Klima und Klimaziele und einen möglichen Ausstieg aus der Braunkohle“ – vielleicht geht alles noch schneller, vielleicht kommt manches auch anders, mal wieder.

Früher war vom Indesee nicht die Rede

Noch bis in die 1980er Jahre hinein war vom Indesee nicht die Rede. Vorgesehen war eine Verfüllung der Grube mit Abraum aus dem Tagebau Hambach. Ein gewaltiges Projekt: Rund 800 Millionen Kubikmeter Erdreich hätten auf eigens zu errichtenden Trassen und Transportbändern über Jahrzehnte hinweg transportiert werden müssen.

„RWE kam dann mit der Idee vom »Indeschen Ozean«“, erzählt Dirk Jansen, Geschäftsleiter vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Düsseldorf. Die Seen-Lösung ist nicht nur vergleichsweise einfacher – RWE spart auch rund 250 Millionen Euro, schätzt der BUND. Der Indesee wird ab dem Jahr 2050 mit einer Fläche von 12 Quadratkilometern der größte See Nordrhein-Westfalens sein. Zumindest vorübergehend, denn ab Mitte des Jahrhunderts wird mit der Flutung der Tagebauseen in Garzweiler (20 Quadratkilometer) und Hambach (40 km²) begonnen. Um diese beiden Tagebaue wird heftig gestritten: Was wird aus dem Hambacher Forst? Und für Garzweiler wurde gerade entschieden, dass die Gemeinde Holzweiler doch nicht weggebaggert wird.

In einem Punkt allerdings gibt es keinen Dissens: Mit Ende der Tagebaue werden ein paar Milliarden Kubikmeter Braunkohle fehlen – „Massendefizit“ heißt das im Behördendeutsch, man kann auch Loch sagen. Und wenn das Grundwasser nicht mehr abgepumpt wird, laufen die Gruben ganz von alleine voll – ob man dafür ist oder nicht.

Es entsteht eine der größten Seenplatten Deutschlands

So entsteht im ausgekohlten Niemandsland nach und nach bis zum Jahr 2100 eine der größten Seenplatten Deutschlands – eine der dramatischsten, nachhaltigsten und umstrittensten Landschaftsveränderungen in der Geschichte. In einer Gegend, die derlei gewohnt ist. Nach Brökers Vorstellung soll der Indesee – wie auch später dann die anderen Seen – einen „dynamischen Impuls für die Strukturentwicklung“ der ganzen Region geben. Die künftige Seenplatte soll langfristig als Ausweich- und Erholungsgebiet dienen für die als Wachstumsräume geltenden Großzentren Köln/Düsseldorf und Aachen/Mönchengladbach. Laut Masterplan soll der See ab 2030 etwa 20 Jahre lang mit Grundwasser und Wasser aus der Rur volllaufen, bereits nach fünf Jahren soll die Mulde zur Hälfte gefüllt und touristisch nutzbar sein. Als Besonderheit gilt, dass generationsübergreifend geplant wird – die Folgen und Auswirkungen ihrer Beschlüsse werden die Entscheider selbst nicht mehr erleben. Mutig, sagen die einen, so ist auch der Kölner Dom gebaut worden; unverantwortlich, finden die anderen, die Folgen ökologischer, klimatischer und wirtschaftlicher Unwägbarkeiten würden künftigen Generation überlassen.

Die Stadt Düren hat lange gegen den See gekämpft, sie sieht sich von ihren Nachbarn abgeschnitten und hält das Gewässer für ökologisch untragbar und technisch unbeherrschbar. Jansen und der BUND teilen die Bedenken der Stadt: RWE Power verweise stets auf die Erfahrungen, die man mit den Tagebau-Restseen in der Lausitz gemacht habe. „Aber die Tagebaue hier sind deutlich tiefer“, so Jansen. Der Indesee wird bis 175 Meter tief, der See Garzweiler 190 Meter tief und der See Hambach wird mit 325 Metern der tiefste und mit 5,5 Milliarden Kubikmeter Volumen der zweitgrößte See Deutschlands sein.

Geht die Rechnung auf?

„Das führt zu neuen und anderen Problemen mit Auswirkungen auf die Lebensräume im Wasser und die Standsicherheit der Böschungen“, sagt Jansen. Die geplanten drei Seen, erklärt der Umweltschützer, liegen in drei unterschiedlichen hydrologischen Schollen und variierenden Höhen – wie sich die Wasserspiegel zueinander verhalten, sei kaum vorhersehbar. Jansen räumt ein, dass es zig Gutachten gibt, die zu dem Ergebnis kommen, dass es kein unlösbares Problem und keine Ewigkeitslasten im Umgang mit dem Grundwasser gebe. „Wahr ist aber: Es ist ein Experiment – so etwas haben wir noch nicht gehabt.“

Jansen findet, man solle der Natur ihren Lauf lassen. Der BUND unterhält dazu in Ostdeutschland die „Goitzsche Wildnis“, ein Modellprojekt, bei dem eine Tagebaugrube vollläuft und selbsttätig ein Biotop bildet. Bröker hält dagegen, dass – wenn die Landschaft sich schon ändert – man das auch aktiv steuern könne.

Die Planung erfolge nach den Prinzipien der wissenschaftlich höchstmöglichen Wahrscheinlichkeit und Plausibilität. „Und am Ende der 2050er Jahre könnte es vielleicht heißen: Wir waren Pioniere.“ Jansen ist weniger optimistisch: „Vielleicht wird alles ganz toll. Aber ich glaube, die dicke Rechnung kommt noch.

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