Entschleuniger mit tollen FrisurenAuf Alpaka-Wanderung durchs Bergische Land

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Pitù hält sich beim Spaziergang strikt an das Tempolimit in der 30er-Zone.

Pitù hält sich beim Spaziergang strikt an das Tempolimit in der 30er-Zone.

Leichlingen – Die Großstädter würden so etwas ja gar nicht kennen, ist sich Petra Gelhaus sicher. Sich mal Zeit nehmen und auf etwas einlassen. Die wären ja immer gestresst, immer mit dem Handy am Ohr und nur im Laufschritt unterwegs. Da helfe nur eins: Entspannung auf der Alpaka-Wiese. Und so steh ich – stets zur nächsten Bahn hetzende Pendlerin und Dauermediennutzerin – auf dem Erlebnishof Freienhalle zwischen Leichlingen und Burscheid, bereit von Cézanne und Pitú entschleunigt zu werden.

Allein die Tatsache, dass der Bus hier nur alle zwei Stunden fährt, hat bis jetzt eher die gegenteilige Wirkung auf meinen Puls. Ob sich die beiden Alpakas ihrer tragenden Rolle für meine „Achtsamkeit“, wie es Entspannungspädagogin Petra Gelhaus ausdrückt, bewusst sind? Gemütlich auf ein paar Strohhalmen kauend stehen sie zwischen vier Artgenossen und vier artverwandten Lamas im Stall, ein kniehohes Pony unter ihnen, das sich eigenmächtig in die Herde integriert hat und nicht mehr zu den anderen Pferden zurück will. „Die chillen“, diagnostiziert ein weiteres Stadtkind neben mir, während wir Zweibeiner neugierige Blicke mit den Vierbeinern austauschen.

Alpakas lassen sich nur ungern anfassen

Vor der Wanderung gibt es für die Alpaka-Neulinge Fachwissen von Mutter und Tochter Gelhaus, die den Hof seit vergangenem September gemeinsam betreiben. Erstens: Entgegen der Vorurteile spucken Alpakas keine Menschen, sondern nur Artgenossen an, um innerhalb der Herde zu zeigen, wer der Boss ist.

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Warnen Schilder im Tierpark, sind die Tiere dort so an den Menschen als Futterspender gewöhnt, dass sie die natürliche Distanz verloren haben und sich nicht artgerecht verhalten. Merke zweitens: Alpakas sind Distanztiere. Sie sind zwar neugierig, wollen aber nur ungern angefasst werden. Schon gar nicht von Fremden. Obwohl sie riesige Augen, ein kuscheliges Fell und atemberaubend tolle Frisuren haben. Dritter und wichtigster Punkt für die Wanderung: Alpakas passen sich nicht dem Tempo des Menschen an, sondern umgekehrt.

Eine Recherche vor dem Besuch offenbart weitere wichtige Fakten: Das Alpaka ist laut diverser Medien das „Trend-Tier 2018“. Sie seien einfach so freundlich und lustig, ist zu lesen. Unter dem englischen Stichwort „alpaca“ finden sich auf der Social-Media-Plattform Instagram Hunderttausende Einträge: Alpakas auf Hochzeitsfeiern, Selfies mit Alpakas, verkleidete Alpakas, Alpakas abgebildet auf Jutebeuteln oder T-Shirts. Alpakas und Lamas haben das Einhorn abgelöst, weiß der trendbewusste Konsument. Warum? Das weiß wiederum niemand. Ein so gearteter Internettrend verschwindet oft so schnell wie er aufkam und findet selten Anklang in der echten Welt im Bergischen Land.

Wanderungen weit im Voraus ausgebucht

Dass es doch so kommt, hatte Alpaka-Besitzerin Christina Gelhaus nicht einkalkuliert. „Als wir mit den Wanderungen angefangen haben, wussten wir nicht, dass so ein Hype kommt. Unsere Wanderungen sind weit im Voraus ausgebucht, wir hatten schon Besuch aus Bielefeld oder Münster.“

Die beiden Frauen haben sich selbst vor zwei Jahren bei einer Alpaka-Wanderung „in die Tiere verliebt“ und sich dann drei Alpakas angeschafft. Die Geschäftsidee entstand erst, als sich Freunde und Bekannte den Spaziergängen mit den Vierbeinern immer öfter anschließen wollten.

Cézanne, das Leittier unserer kleinen Herde, weiß von seiner Beliebtheit nichts. Zumindest ist ihm der Ruhm noch nicht zu Kopf gestoßen. Widerstandslos lässt er sich von Christina Gelhaus sein Geschirr anlegen, geht mit trippelnden Füssen voraus, blickt öfter wachsam über die Schulter, ob ich ihm mit Pitú an der Leine und dem Rest der Schicksalsgemeinschaft folge. Pitú und ich sind uns noch fremd. Er schaut hochmütig an mir vorbei auf die Felder und versucht wohl zu ignorieren, dass er mit mir durch eine dünne Leine verbunden auf dem Fahrradweg an einer befahrenen Landstraße entlang laufen muss. Alpakas stammen ursprünglich aus den Hochlagen Südamerikas, sind in Bolivien, Chile und Peru beheimatet. Dort lässt es sich sicher viel besser entschleunigen. Fernab von Schnellstraßen und Bus-Fahrplänen.

Ich bin gedanklich in Richtung Südhalbkugel abgeschweift, als Pitú einfach stehen bleibt. „Er merkt sofort, wenn du nicht bei der Sache bist“, hallt es mir von der Einführung im Ohr. „Alpakas spiegeln die Stimmung des Menschen.“ Also Konzentration auf den langsamen Gang des Alpakas. Nur ein paar flüchtige Blicke über die bergischen Felder sind erlaubt, die genehmigt sich mein Weggefährte schließlich auch. Am Strick ziehen oder Vorausgehen bringt nichts, über ein Tempo von etwa drei Stundenkilometern kommen Pitú und ich nicht hinaus.

Zahlreiche Angebote

Der Erlebnishof Freienhalle in Leichlingen bietet am Wochenende Paar-, After-Work- oder zum Beispiel Mottowanderungen mit anschließendem Lagerfeuer und Grillen an. Die Preise variieren je nach Dauer der Wanderung, eine zweieinhalbstündige Wanderung für zwei Personen inklusive Picknick kostet 95 Euro. Wer den Hof kennenlernen möchte, kann telefonisch oder per E-Mail einen Termin vereinbaren. (lis)

www.tina-erlebnishof.de

Eigentlich wirklich hübsch hier. Auf eine Kuhherde folgt eine Apfelbaumplantage und ein kleines Wäldchen, alles eingebettet in eine sanfte Hügellandschaft. Und bei genauerem Hinsehen sehe ich viele lächelnde Autofahrer, die an unserer kleinen Herde vorbeifahren. Irgendwie entspannen Alpakas tatsächlich. Sie erlauben keine hektische Bewegungen, kein intensives Grübeln, kein minutenlanges Starren auf das Handy.

Wegen ihrer Wesensruhe werden Alpakas und Lamas verstärkt bei Traumatherapien eingesetzt. Dass Tiere eine besondere Wirkung auf den Menschen haben, ist schon lange bekannt. Doch die „Delfine der Weide“, wie Alpakas von Pädagogen bezeichnet werden, sind noch relativ neu im Geschäft. Petra Gelhaus weiß von einem autistischen Jungen zu berichten, der nur in Gesellschaft der Tiere spricht und von einer krebskranken Frau, die von Cézanne mit besonderer Fürsorge behandelt wurde.

Ein Blick ins Gästebuch des Erlebnishofes bestätigt auch meinen Eindruck vom Spaziergang mit Pitú. Von außergewöhnlichen Nachmittagen, einer tollen Stimmung und „dem Alltag entfliehen“ schreiben die Besucher des Hofes. Und Paul, der Schrift nach im Grundschulalter, schließt seinen Gästebucheintrag mit der schlichten Feststellung: „Ich will lieber hier bleiben.“ Ich auch.

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