Interview mit Brückenexperten„Das kann in Deutschland nicht passieren“

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GEnua PIC neu dpa

In der Hafenstadt Genua ist eine Autobahnbrücke eingestürzt.

  • Nach dem Brückenunglück in Genua mit mehr als 30 Toten herrscht auch in Deutschland große Unsicherheit.
  • Brückenexperte Balthasar Novák spricht im Interview über die Brücken und Belastungen der deutschen Bauwerke.

Professor Novák, ist ein Unglück wie jetzt mit der eingestürzten Autobahnbrücke in Genua auch in Deutschland denkbar?

Balthasar Novák: In Deutschland haben wir so etwas nicht zu befürchten. Wir haben gute Strategien, um unsere Bauwerke zu überwachen und ihre Bauqualität einschätzen zu können.

Dabei sind die Autobahnbrücken in Deutschland doch auch schon etwas älter.

Es gibt Brücken, die in den 50er Jahren gebaut worden sind, andere in den 60er und 70er Jahren. Aber man kennt den Brückenbestand. Es gibt Richtlinien, wie man auch die älteren Brücken überprüft. Grundsätzlich gibt es alle drei Jahre und alle sechs Jahre Brückenüberprüfungen, in denen man den genauen Zustand der Bauwerke analysiert. Wenn man Defizite feststellt, wird das sehr ernst genommen und eine Strategie entwickelt, wie man weiter mit den Bauwerken umgeht. Etwa durch Verstärkungen, ein Monitoring, Überwachung und Messungen bis hin zum Ersatzneubau. Auch Gewichtsreduzierung in Bezug auf den Verkehr ist eine mögliche Maßnahme, so dass man für die bleibende Nutzungsdauer eine Zuverlässigkeit gewährleisten kann.

Wodurch werden Brücken besonders in Mitleidenschaft gezogen: vom Verkehr oder vom Zahn der Zeit?

Es ist eine Kombination von verschiedenen Einflüssen. Umwelteinflüsse verändern die Qualität des Bauwerks, wenn sie älter werden, muss man die Aufmerksamkeit also erhöhen. Es ist klar, dass ein Bauwerk, das 50 Jahre alt ist, nicht so gut ist wie eines, das gerade in Betrieb genommen worden ist. Natürlich hat sich der Verkehr in den vergangenen Jahrzehnten sehr verändert. Es gibt einen hohen Zuwachs an Schwerlastverkehr. Das sind mehrere 100 Prozent Zuwachs in den vergangenen 25 Jahren. Die Prognosen waren damals andere, eine solche rasante Entwicklung konnte nicht vorhergesehen werden. In Deutschland hat man aber erkannt, dass auch die älteren Bauwerke sorgfältig überprüft und analysiert werden müssen, damit man unsere Sorgenkinder auch gut erkennen kann. So können sie dann entsprechend behandelt werden.

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Professor  Balthasar Novák  ist Ingenieur und lehrt an der Universität Stuttgart. Er ist Mitglied in europäischen Gremien, die für die Standards von Brücken verantwortlich sind.

Gibt es bestimmte Brückentypen, die stabiler sind als andere?

Es gibt Brücken, die versteckte Reserven haben. Man kann es sich bildlich so vorstellen: Es gibt Brücken, die haben nicht nur wie eine Hose einen Gürtel, sondern auch noch Hosenträger. Wenn der Gürtel reißt, ist da noch der Hosenträger, der verhindert, dass die Hose runterrutscht. Bei den Brückentypen sind das sogenannte statisch unbestimmt gelagerte Bauwerke. Wenn bei ihnen eine Schwachstelle auftritt, werden bei ihnen die Kräfte an eine andere Stelle verschoben. Es gibt also eine Veränderung des Kraftflusses. Diese Reserven verhindern, dass plötzlich etwas passiert.

Wann ist es bei Unwettern, was es ja in Genua gegeben hat, besonders gefährlich für Brücken?

Hohe Bauwerke sind natürlich empfindlicher als niedrige und gedrungene Bauwerke, die etwas robuster in diesem Moment sind. Allerdings kann man auch nicht sagen, dass sie schlechter wären. Die Fragen von z.B. der Windbeanspruchung, Temperatur und anderen Einwirkungen werden bereits bei der Bemessung berücksichtigt.

Gibt es in der EU eigentlich einheitliche Standards für Brücken?

Das Bauwerk in Genua ist von 1967, also schon 51 Jahre alt. Früher gab es andere Bemessungsregeln, die in Europa anders als heute noch nicht harmonisiert waren. Das war in jedem Land anders. Jetzt sind die grundsätzlichen Regeln gleich. Allerdings kann jedes Land die Bemessungs- und Berechnungsregeln noch einmal in einem erlaubten Rahmen anpassen.

Sind die neu gebauten Brücken also per se besser als die alten?

Ganz schwer zu sagen. Seit ca. 30 Jahren setzt man jedoch schon einen gewissen Fokus auf die Robustheit, weil wir auch eine Verantwortung für die künftigen Generationen haben. Mit den Bauwerken, die wir übergeben, müssen eben auch unsere Enkelkinder zurechtkommen.

Wenn eine Brücke bricht, ist das immer gleich?

Es gibt unterschiedliche Versagensmechaniken. Es gibt sprödes Versagen, es gibt duktiles Versagen, bei dem sich dieses ankündigt. Bei dem tragischen Fall in Genua kann man im Augenblick jedoch noch rein gar nichts sagen.

Es sollen 100 Meter abgebrochen sein, da wird doch eine immense Kraft auch für die freigesetzt, die noch auf der Brücke verblieben sind.

Die Erschütterungen sind erheblich. Wenn auf 100 Metern so ein schwerer Überbau herabfällt, ist das eine extrem dynamische Einwirkung. Diejenigen, die das gesehen haben, sind sicherlich für längere Zeit traumatisiert.

Verwundert das nicht, dass im drittgrößten Industrieland Europas eine Brücke zusammenstürzt?

Ich gehe davon aus, dass die Kollegen in Italien mit der gleichen Sorgfalt arbeiten wie wir. Jedes Brückenbauwerk ist ein Unikat. Man muss also jeweils lokal darauf schauen. Die Randbedingungen sind immer andere.

Das Gespräch führte Michael Hesse 

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