Rheinland für Entdecker (33)Schaurige Nachtwanderung durch ein bergisches Hexendorf

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Odenthal Arlinghaus

Die Ge­schich­ten über Odenthal beginnen im zehnten Jahr­hun­dert.

Hört, ihr Herrn, und lasst euch sagen, vom Turm die Glock’ hat Sieben geschlagen . . .“, tönt es mit kräftiger Stimme, bevor um die Ecke des mächtigen Turms der Odenthaler St.-Pankratius-Kirche ein Mann mit hellleuchtender Laterne geschritten kommt. Prüfend hält der mit historischem Wamst, Stiefeln und Hut Bekleidete sein Licht in die Höhe, mustert die Gruppe, die sich vor dem Portal der Kirche eingefunden hat.

Wäre er jetzt tatsächlich „im Dienst“, würde er die Umstehenden  nach Hause schicken. Schließlich war ein Nachtwächter im Mittelalter so etwas wie der städtische Sicherheitsdienst, der des Nachts für Ruhe, Sicherheit und Ordnung sorgte. Doch das Mittelalter ist lange vorbei, das beschauliche Örtchen Odenthal im Bergischen Land hat nie Stadtrechte besessen und der Mann mit der Laterne ist eigentlich Historiker, Touristiker und Gästeführer.

Nächtliche Zeitreise

Regelmäßig schlüpft David Bosbach in die Kluft des mittelalterlichen Nachtwächters, um Besucher bei einer abendlichen Tour durch die Straßen von Odenthal auf eine Zeitreise zu entführen. Wie seine historischen Vorgänger singt er dabei stimmgewaltig die Stunde an. Im Mittelalter beruhigte  das die Bewohner. Hörten sie den Nachtwächter, so wussten die rechtschaffenen Bürger: Die Security ist auf ihrem Posten. Der Nachtwächter sorgte dafür, dass Haustüren und Stadttore ordnungsgemäß verschlossen waren und warnte vor Feinden, Dieben und vor allem vor Feuer.

Das war angesichts der strohgedeckten Fachwerkhäuser mit ihren offenen Feuerstellen früher deutlich gefährlicher als jedes „Diebesgesindel“. „1351 gab es in der Stadt Köln einen Erlass, dass vor jedem Haus zwei Pütze – also Wassereimer – zu stehen hatten, damit im Falle eines Brandes schnell gelöscht werden konnte“, erklärt Bosbach.

Altenberger_Dom

Der Altenberger Dom

Seine Tour  durch Odenthal ist spannend – und  kurzweilig. Geschichte klopft der Historiker, der 2004 zur Rolle des Nachtwächters fand, am liebsten auf ihren Unterhaltungswert ab. Zwischen Fakten aus der Ortshistorie präsentiert der 40-Jährige die Anekdoten liebenswerter bis skurriler Zeitgenossen. Der Patron der Odenthaler Pfarrkirche etwa sei im Mittelalter besonders beliebt gewesen.

„Ein Popstar seiner Zeit“, vergleicht Bosbach und beginnt seinen Parforceritt durch die Ortsgeschichte im zehnten Jahrhundert. Damals entstanden die vier Mutterpfarreien im Westen des Bergischen Landes, zu denen neben Refrath, Paffrath und Herkenrath auch Odenthal zählte. Während die drei anderen die Grundlage ihre Entstehung im Rahmen großer Rodungen als Endsilbe „-rath“ noch im Namen tragen, wurde Odenthal  an einem Fluss im Tal gegründet. Sein Name leitet sich  vom altdeutschen Begriff „Ondra“ für „sumpfige Talaue“ ab, erklärt Bosbach und lenkt den Besucherblick zu handfesteren Relikten oben am Kirchturm: Kein Zweifel, die mächtigen Mauern haben Schießscharten. Der Turm diente der Bevölkerung in unsicheren Zeiten als Schutzraum.

Kontakt

David Bosbach Historiker M.A. Gästeführer, Neschener Str. 17, 51519 Odenthal kontakt@nachtwaechter-odenthal.de

Dauer der Führung: 1 bis 1,5 Stunden Preise: Gruppen bis maximal 15 Personen pauschal 75,00 €, jede weitere Person 3,00 €

Es dämmert bereits, als der Nachtwächter den Weg zu einem der dunkelsten Kapitel Odenthaler Geschichte leuchtet. Wasser sprudelt aus einem großen Kessel auf einem Platz im Ortskern. Schon der Besitz eines solchen Kochtopfs reichte vor gut 400 Jahren aus, um der Zauberei bezichtigt, als Hexe denunziert und hingerichtet zu werden. Acht Frauen kamen so noch bis Anfang des 17. Jahrhunderts ums Leben.

Die letzte von ihnen, Katharina Güschen, erlangte zwar die Gnade des Herzogs von Berg, was allerdings lediglich eine relative Erleichterung war. Dem Tod entkam auch sie nicht, Katharina Güschen wurde lediglich zuerst erdrosselt – und dann verbrannt. Kein Wunder, dass Odenthal bis heute im Volksmund auch „Hexenohnder“ genannt wird: „Sie brieten zu Ohnder die Hexen wie Hohnder“ (sie brieten zu Odenthal die Hexen wie Hühner)“, lautet ein weit verbreiteter Spruch.

„Hört ihr Leut und lasst euch sagen …“, hebt der Nachtwächter zum Ansingen der nächsten Stunde an und leuchtet hinauf zum historischen Hochkreuz auf dem Kirchhof. Wie das Heiligenhäuschen an der Dorfstraße, das ursprünglich mal ein Hochaltar war, stammt es aus dem früheren Zisterzienserkloster im benachbarten Altenberg. Als das Kloster 1803 aufgelöst wurde, fanden die Bewohner des Nachbarorts Gefallen an so manchem kunstvollem Handwerksstück der Mönche, wie der weitere Rundgang mit dem Nachtwächter zeigt: An vielen Orten finden sich „Andenken“ aus dem aufgelösten Kloster.

Ein böses Ende fand vor 300 Jahren Stephan Cremer: Im Dezember 1786 wurde der notorische Dieb gefasst und im Gefängnisturm von Schloss Strauweiler eingekerkert. „Das war der Turm dort oben links“, deutet Bosbach auf einen Eckturm des gelben Schlösschens auf der anderen Talseite. „Die heutigen Bewohner haben darin mittlerweile ein Badezimmer eingerichtet“, sagt der Nachtwächter. „Der Schlüssel steckt jetzt innen.“ Für den „Schwarzen Steffen“ gab es 1786 kein Entkommen.  92 Diebstähle konnten ihm vor Gericht nachgewiesen werden – sein sicheres Todesurteil.

Ruhmvoller Kappes-Gottfried

Ruhmvoller war da das Lebenswerk von Kappes-Gottfried,  dem Nachtwächter. Zur Zeit der französischen Besetzung erhielt Gottfried Müller seinen Spitznamen aufgrund eigener Gefechtsbeschreibungen: Er habe auf die Franzosen eingedroschen, wie auf den Kappes (Weißkohl), rühmte er sich. So wurde Kappes-Gottfried ein echter Held. Ebenso wie der Zimmermann Johannes Häg, der sich als einziger dem Einmarsch der Franzosen in den Weg gestellt haben soll.

Allein mit einem Dreschflegel habe er einen Angriff von 30 französischen Soldaten niedergeschlagen und nebenbei „eine Jungfrau vor Schlimmerem bewahrt“, erzählt Bosbach vom Heldenlied mit 18 Strophen, das Häg gewidmet ist. „Aber keine Sorge: Die singe ich jetzt nicht alle“, sagt der Nachtwächter. Die Zeit mit ihm vergeht schnell.  Um die Sicherheit auf dem eigenen Heimweg muss  auch spätabends niemand fürchten. Dafür sorgte schon irgendein heldenhafter Odenthaler  – und wenn es der Nachtwächter David Bosbach ist.

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Weitere Tipps rund um den Ausflug nach Odenthal

Anreise mit dem Auto:  Von Köln über die Autobahn 1  Richtung Dortmund bis Abfahrt Burscheid fahren, rechts auf B 51  Richtung Burscheid/Altenberg. B 51 für 2,2 Kilometer folgen, dann links abbiegen auf L 310. Schildern Richtung Bergisch Gladbach/Odenthal/Altenberg/Blecher folgen.

Einkehr-Tipps: Restaurant Herzogenhof, Altenberger-Dom-Straße 36, Odenthal, (0 22 02) 70 91 45, geöffnet Di–Fr ab 16 Uhr, Sa/So ab 12 Uhr. info@herzogenhof.de

Gourmetrestaurant im Hotel „Zur Post“ (1 Stern im Guide Michelin, 17 Punkte von Gault-Millau), Altenberger-Dom-Straße 23, 51519 Odenthal, Telefon: (0 22 02) 97 77 80, Montag und Dienstag Ruhetag.

Postschänke im Hotel „Zur Post“, Altenberger-Dom-Straße 23, 51519 Odenthal, Telefon: (0 22 02) 97 77 80, geöffnet täglich 12–14 Uhr und 18–22 Uhr. www.hotel-restaurant-zur-post.de

Für Kinder: Die Nachtwächterführung ist geeignet für Kinder ab dem Grundschulalter. Eine weitere Attraktion für jüngere Besucher in der Gemeinde Odenthal ist der Märchenwald in Altenberg, in dem die Märchen der Gebrüder Grimm in kleinen Häuschen lebendig werden. Märchenwaldweg 15, 51519 Odenthal-Altenberg,  (0 21 74) 7 84 23 23, geöffnet März bis Oktober: täglich  10 bis 19 Uhr (letzter Einlass um 18 Uhr).

Für Sportliche:  Hochseilgarten und Kletterwald K1 bei Odenthal-Eikamp, ab vier Jahren.   Adresse für Navigationsgeräte:  Schallemicher Straße 40, 51519 Odenthal, Tel. (0 22 07) 8 47 14 40. www.hochseilgarten-k1.de

Bei schlechtem Wetter: In der ehemaligen Klosterkirche des nahen Altenberg, dem „Altenberger Dom“, werden regelmäßig  Führungen angeboten. Termine unter www.domfuehrungen.altenberg-dom.de

Für Wanderer: Wer die Nachtwächterführung mit einer Wanderung vom Odenthaler Ortskern nach Altenberg verbinden möchte, findet dazu auf dem Odenthaler Grafen- und Mönchsweg auf reich bebilderten Tafeln auch Informationen über die Geschichte Odenthals.  Der mit einer weißen 6 auf rotem Grund markierte Themenweg (Bergischer Streifzug) des Bergischen Wanderlands ist  11,4 Kilometer lang, lässt sich aber – da er in der Form einer „8“ verläuft – auch abkürzen.  Ein Faltblatt mit Karte und  Infos gibt es  im Internet. www.bergisches-wanderland.de  

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