Kölner Basketballer auf zwei Reifen„Im Rollstuhl sind wir alle gleich“

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Menschen mit und ohne Behinderung spielen die rasante Basketball-Variante auf zwei Reifen.

Köln – In vollem Tempo umspielt Marius Neeb drei Gegenspieler, dann bremst er scharf unter dem Korb ab. Noch einmal dribbelt er den schweren Lederball auf den Hallenboden, dann hebt er ihn über den Kopf, zielt – und wirft den Basketball treffsicher in das Netz in mehr als drei Metern Höhe. Neeb und seine vier Teamgefährten jubeln, dann dreht sich der Spieler in seinem Trikot mit der Rückennummer 95 um und zieht sich zurück in seine Hälfte des Spielfelds. Dafür nutzt Neeb wieder die Kraft seiner Arme, denn der 23-Jährige sitzt seit seiner Kindheit im Rollstuhl.

Marius Neeb spielt beim Klub RBC Köln 99ers, die Heimat der Rollstuhlbasketballer ist eine Halle auf dem Campus der Deutschen Sporthochschule unweit des Rhein-Energie-Stadions. Einmal pro Woche bietet der Verein ein offenes Training für die 90 Mitgliedern, Studenten der Sporthochschule und alle Interessierten an. „Das bietet die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Spiel, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Leistungsklasse – und egal, ob behindert oder nicht“, sagt Sedat Özbicerler, Geschäftsführer der Köln 99ers. Diese Art Gemeinschaft und die Integration über den Sport sei Grundlage und Handlungsmaxime des Vereins, sagt Özbicerler, der selbst im Alltag einen Rollstuhl nutzt und bei den Trainingseinheiten als Übungsleiter mitten im Geschehen ist. „Das Zusammen steht hier über allem und zählt mehr als der sportliche Erfolg.“

Karambolagen und Rollis auf dem Schrott

Mit fünf Teams sind die 99ers in der vergangenen Saison sowohl in der Rollstuhlbasketball-Bundesliga als auch in der Regional- und Landesliga angetreten. Hinzu kommen die „Rolli Rookies“, Mannschaften für Mädchen und Jungs mit und ohne Behinderung im Alter von zehn bis 17 Jahren, die an regionalen und nationalen Turnieren teilnehmen.

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„Im Rollstuhl sind wir alle gleich“, bilanziert Marius Neeb nach dem offenen Training. Aufgrund einer sogenannten spastischen Diplegie, einer Bewegungseinschränkung der Beine, ist der 23-Jährige zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen. Für den Sport benutzt er ein anderes Hightech-Modell, das ihm rasante Fahrten und riskante Manöver erlaubt und das aus Material besteht, das häufige und kaum vermeidbare Zusammenstöße möglichst verzeiht. „Nicht ganz billig, diese Sportrollis, aber ich habe schon einige davon verschrottet“, sagt Neeb lächelnd. Er liebt sein Hobby, das Talent für die Sportart und sein Training haben ihn inzwischen bis in die Regionalliga-Mannschaft der 99ers gebracht. Basketball hat er früh für sich entdeckt, zu den 99ers ist Neeb im Jahr 2011 aber eher „durch Zufall“ bei einer Veranstaltung von „Jugend trainiert für Olympia“ gekommen. Seitdem trainiert er hart und regelmäßig, auch wenn neben beschädigten Rollstühlen schon mal blutige Hände, Stürze oder andere Verletzungen vorkommen. „Aber eigentlich nehmen hier alle Rücksicht aufeinander“, so Neeb, allem Ehrgeiz zum Trotz.

Eine „funktionale Klassifizierung“ der Spieler schafft beim Rollstuhlbasketball einen Ausgleich zwischen Menschen mit unterschiedlich starker Behinderung. Dabei wird je nach Funktionalität zwischen acht Stufen unterschieden. Die Bewertung richtet sich nach der Fähigkeit, verschiedene, für das Spiel relevante Bewegungen auszuführen. Die niedrigste Punktzahl und damit die geringste sportartspezifische Funktion stellt die 1,0 dar, die Unterteilung erfolgt in Halbpunkt-Schritten. Menschen mit einer minimalen Behinderung oder solche ohne – sie werden als „Fußgänger“ bezeichnet – bekommen 4,5 Punkte. Grundsätzlich richtet sich in der Sportart die Zusammensetzung eines Teams nach der Gesamtanzahl der Punkte, „Es dürfen pro Team national insgesamt nicht mehr als 14,5 Punkte gemeinsam auf dem Feld sein“, sagt Thomas Abel, Professor am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft an der Deutschen Sporthochschule und Mitglied im Vorstand des Stadtsportbunds Köln. Er selbst hat bereits mehrfach das offene Training der 99ers besucht und weiß, vor welche Herausforderung Rollstuhlbasketball die Spieler stellt. „Gerade einen Untrainierten“, fügt der Experte für den Sport von Menschen mit Behinderung hinzu. Schon seit Jahren unterstützt die Sporthochschule in Müngersdorf den Kölner Rollstuhlbasketball. Seit 2015 sind die Rolli-Basketballer offiziell Bestandteil des Netzwerks der renommierten Sportuniversität.

Um zu zeigen, wie vorbildlich und freudvoll das Miteinander zwischen Menschen mit und ohne Behinderung gerade im Sport funktioniert, hat Peter Pfeifer, Vorsitzender des Kölner Stadtsportbunds, zusammen mit Sedat Özbicerler und Thomas Abel eine besondere Initiative gestartet. „Weil die Themen Inklusion und Integration für Oberbürgermeisterin Henriette Reker in Köln einen hohen Stellenwert besitzen, möchten wir auf diesem Weg eine öffentliche Einladung an sie und ihr Team aussprechen“, sagt Pfeifer. „Wir würden uns freuen, Frau Reker als Teilnehmerin bei einer der nächsten offenen Trainingseinheiten hier im Kreis der 99ers begrüßen zu dürfen“, ergänzt Özbicerler. So könne sie sich selbst und unmittelbar ein Bild von der großen Bedeutung des Sports für den Bereich der Teilhabe machen. „Und ich wäre bereit“, fügt Marius Neeb hinzu, „der Oberbürgermeisterin ein paar hilfreiche Tricks im Rolli-Basketball zu zeigen.“ Weitere Informationen über den Verein und das offene Training des „RBC Köln 99ers“ im Internet. www.koeln99ers.de

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Peter Pfeifer vom Stadtsportbund (v. l.), Trainer Frederick Jentsch und Sportwissenschaftler Thomas Abel.

An diesem Wochenende spielen die Frauen der 99ers in Hamburg um die Deutsche Meisterschaft.

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