Amtsleiter blickt zurück„Es gab mal die Idee, den Grüngürtel zur Autobahn zu machen“

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Ein leidenschaftlicher Radfahrer: Klaus Harzendorf, Leiter des Kölner Straßenamtes

  • Vor mehr als 30 Jahren hat Klaus Harzendorf bei der Stadt Köln angefangen, 22 Jahre leitete er das Straßenamt.
  • Nun geht er in den Ruhestand – und blickt zurück auf die Zeit vor der Verkehrswende und den Dauerkonflikt mit der Politik. Und erklärt, was sich ändern muss, wenn es irgendwann eine autofreie Innenstadt geben soll.
  • Ein Abschiedsinterview.

Köln – Herr Harzendorf, vor mehr als 30 Jahren haben Sie bei der Stadt Köln angefangen, seit 22 Jahren leiten Sie das Straßenamt der Stadt. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit heute von den Anfangstagen?

Alles war damals deutlich autolastiger als heute. Die Diskussion um Parkplätze wurde sehr viel härter geführt. Heute ist es kein großes Thema mehr, wenn Parkplätze wegfallen.

Wann hat der Wandel eingesetzt?

Etwa vor zehn Jahren hat es angefangen, dass sich Dinge ernsthaft ändern. Seitdem werden tatsächlich andere Entscheidungen getroffen. In vielen Bezirken kann man das aktuell sehen. Die Deutzer Freiheit und die Ehrenstraße als autofreie Zonen zum Beispiel, das wäre lange undenkbar gewesen. Wenn öffentliche Parkplätze entfallen müssen, gibt es heute wesentlich weniger Diskussionen als früher.

Welche Entscheidung würden Sie heute nicht mehr treffen?

Es gab in den 90er-Jahren lange Diskussionen um die Rheinuferstraße. Eine Tieferlegung ist damals aus finanziellen Gründen nicht realisiert worden. Stattdessen haben wir sie dann ausgebaut, in einer Richtung sogar dreispurig – damals war das nicht falsch, aber ich weiß nicht, ob ich das heute noch empfehlen würde.

Wie gelingt der Umstieg zur klimafreundlichen Mobilität?

Der Radverkehr ist in Köln der Treiber der Verkehrswende. Wenn es zu große Proteste gibt, besteht die Gefahr des Scheiterns. Die Radspuren, die aktuell auf den Ringen eingerichtet werden, waren vor fünf Jahren in dieser Form noch nicht möglich. Man braucht Augenmaß, damit die Dinge funktionieren. Auch deshalb haben wir mit Nico Rathmann den ersten Fußverkehrsbeauftragten einer Millionenstadt in Deutschland. Er hat vor kurzem seinen Dienst angetreten und wird die Belange der Fußgängerinnen und Fußgänger schon bei den ersten Planungsschritten im Straßen-, Rad- und Gehwegbau in den Fokus rücken.

Ist nicht der Umbau der Infrastruktur die Voraussetzung für Wandel?

Ja, natürlich müssen Angebote stimmen. Aber nur die Angebote machen es auch nicht, man muss auch restriktiv sein, um die notwendige Verkehrswende zu stemmen. Von der Parkgebühr bis zur Sperrung. Man benötigt diese Instrumente, muss sie aber sehr gezielt einsetzen, damit sie Akzeptanz finden.

Warum hat es so lange gedauert, bis der Radverkehr ein echtes Thema wurde? 

Seit ich hier arbeite, ist der Radverkehr ein Thema. Inzwischen haben sich bloß die Prioritäten noch weiter verschoben. Die autogerechte Stadt ist bis Mitte der 70er-Jahre in Deutschland groß propagiert worden. Es gab mal die Idee, den Inneren Grüngürtel zu einer Autobahn zu machen, heute würde das natürlich kein Mensch mehr planen. Heute geht es vor allem darum, die Verkehrsmittel des Umweltverbundes zu stärken.

Passiert das schnell genug?

Ich bin überzeugt davon, dass wir auf einem guten Weg sind. Aber jede Veränderung muss von Mehrheiten akzeptiert werden. Das führt dazu, dass man auch mal Schleifen dreht, das ist aber vollkommen in Ordnung. Um schneller zu werden, benötigen wir schlicht mehr Ressourcen. Irgendwann wird es eine Sättigung beim Radverkehr geben. Bis dahin muss es gelingen, die Voraussetzungen für den zügigen Ausbau des ÖPNV zu schaffen.

Wie gelingt das auf der Ost-West-Achse in der Innenstadt am besten?

Wichtig ist vor allem eine zügige Entscheidung darüber, ob die oberirdische oder die unterirdische Variante realisiert wird. Damit es weitergehen kann.

Schon jetzt ist es am Neumarkt schwierig, als Fußgänger über die Ampel an der Taschen-Buchhandlung zu kommen. Wie würde das mit 90-Meter-Bahnen, die es überirdisch bald geben könnte, überhaupt noch funktionieren?

Bei der oberirdischen Variante wird vermutlich nicht der volle Bahnvorrang realisiert werden können. Wenn sich das bestätigen würde, könnte die Bahn nicht in jedem Fall sofort nach Anforderung die Freigabe erhalten.

Worauf sind Sie stolz, wenn Sie auf Ihre Zeit im Amt zurückblicken?

Einige Projekte sind uns gut gelungen. Stolz bin ich jedoch vor allem auf eine Statistik: Der Anteil des Radverkehrs hat sich in der Stadt inzwischen verdoppelt. Und das fast ausschließlich zulasten des Autoverkehrs.

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Stolz bin ich auch darauf, wie souverän wir die verkehrlichen Herausforderungen bei der Weltmeisterschaft 2006 gemeistert haben. Das haben uns die meisten nicht zugetraut.

Was hat Ihnen am meisten gefehlt?

Wir haben nicht genug Mittel bekommen, um unsere Straßen in einem vernünftigen Zustand zu halten. Das ist bitter für alle: Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer. Wenn wir die Verkehrswende nun auf die gesamte Stadt ausrollen möchten, dann wird das mit einem riesigen Aufwand einhergehen. Und es stellt sich die Frage, ob wir das angesichts der vielen Aufgaben der Stadt finanzieren können.

Bislang gibt es größere Veränderungen vor allem in der Innenstadt. Warum ist die Entwicklung in den Außenbezirken so holprig?

Köln hat einen Dom, einen Rhein, ein Zentrum, das sich sehen lassen kann. In das Herz einer Stadt blickt man logischerweise am meisten. Aber natürlich reicht das nicht. Es müssen auch große Veränderungen in den Bezirken umgesetzt werden, wenn wir klimaneutral sein wollen.

Aus Ihrem Amt werden nun zwei. Was raten Sie Ihren Nachfolgern?

Es wird ein konzeptionell ausgerichtetes Amt und ein Umsetzungs-Amt geben. Es ist jeweils sehr wichtig, sich in seiner Profession gut auszukennen. Zudem sollte man sehr genau hinschauen und hinhören, was die Menschen in der Stadt wollen. Es ist immer hilfreich, Kritik konstruktiv aufzunehmen und sich nicht schnell angegriffen zu fühlen – sonst kommt man als Amtsleiter nicht weit. Ich empfehle, alle Äußerungen ernst zu nehmen und aus guten Anregungen Honig zu saugen. Wenn man das nicht tut, kann man mit den besten Projekten scheitern.

Die politischen Aufträge ändern sich je nach Mehrheit, die Anforderungen ändern sich ständig. Hat Sie das genervt?

Natürlich beschleunigt das den Prozess nicht unbedingt. Inzwischen haben wir eine gute Methode, binden die Politik frühzeitig ein und verkürzen so die Prozesse. Es ist auf der anderen Seite auch für die Politik nicht ganz einfach. Es geht hier um eine Zusammenarbeit, beide Seiten müssen sich zusammenraufen – sonst dauern die Dinge länger.

Klingt für Sie manch ein Politiker als halte er sich für den besseren Experten in Sachfragen?

Das kommt schon vor. In der Verwaltung sitzen die Profis und die machen das auch gut. Aber es gibt eben nie den Fall, in dem die Verwaltung ein Projekt in jedem Detail perfekt umgesetzt hat. Insofern sind viele Anmerkungen auch sinnvoll. Ohnehin sind Politik und Verwaltung auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen – das Bewusstsein dafür kann auf beiden Seiten noch wachsen.

Können Sie sich vorstellen, dass es eine autofreie Innenstadt – sagen wir innerhalb der Ringe – tatsächlich irgendwann geben wird?

Da sprechen wir von 100.000 Einwohnern – das ist ja quasi eine ganze Stadt. Ich kenne kein Beispiel für ein solches Projekt. Ich will nicht sagen, dass dies grundsätzlich nicht möglich ist, aber es erfordert sehr weitgehende Veränderungen, damit die Stadt auch weiterhin ihre zentralen Aufgaben gut erfüllen kann. Bislang sind autofreie Gebiete so groß, dass sie gut fußläufig durchquert werden können. Man könnte diese Formel auflösen, wenn andere Mobilitätsalternativen geschaffen würden. Neben vielem anderem zum Beispiel einen hochattraktiver, kostenfreier ÖPNV innerhalb der Zone. Davon sind wir aktuell noch weit entfernt. 

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