Acht Jahre lang im Versteck gelebt

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Nach dem tödlichen Schuss auf den Geliebten tauchte Ellen P. unter. Acht Jahre lebte sie wie der legendäre Richard Kimble auf der Flucht.

Bonn - Die meiste Zeit hatte die steckbrieflich gesuchte Frau aus Sankt Augustin (Rhein-Sieg-Kreis) in ihrem Amsterdamer Versteck verbracht. Nur nachts, wenn die Touristen durch das benachbarte Rotlichtviertel streiften, verließ sie ihren Unterschlupf, mischte sich unter das Volk und wagte sich an die frische Luft. Tagsüber hatte die heute 40-jährige Frau Angst, dass man sie auf dem mit dem internationalen Haftbefehl beigefügtem Fahndungsfoto erkennen könnte.

Gleichzeitig wurde Elke P. von Gewissensbissen geplagt. Auch das Kind, das sie mit einem niederländischen Helfer zeugte, half ihr nach der Geburt nicht weiter. Aus Angst um seine Zukunft, sagte sie nach ihrer Rückkehr, sollte ihr heute drei Jahre alter Sohn nicht ewig im Untergrund leben, sondern irgendwann mal „auch ein normales Leben leben“ dürfen. Darum wurde die wegen Mordes gesuchte Frau in Amsterdam gefasst, just als sie auf dem Weg nach Deutschland war und sich zum eigenen, aber auch ihres Kindes Wohl der Justiz stellen wollte. In einem spektakulären TV-Geständnis in der ZdF-Sendung „Mona Lisa“ hatte sie angekündigt, dass sie sich stellen wolle. Ihr damaliger Vermieter, so mutmaßte sie, habe sie in der möglichen Hoffnung auf eine Belohnung verraten.

Von einem geordneten Leben aber ist der Sohn der Ellen P. zur Zeit allerdings noch weit entfernt. Seit gut acht Monaten teilt er mit seiner Mutter eine Zelle in der Haftanstalt Frankfurt am Main. Denn nur im Hessischen und nicht in Nordrhein-Westfalen ist eine Haftunterbringung für Mütter und ihre unmündigen Kleinkinder möglich.

Im Grunde aber hatte Ellen P. gehofft, dass man sie nach ihrer Festnahme schon bald gegen strenge Auflagen aus der Haft entließe. Ist das, was ihr die Staatsanwaltschaft als gemeinen Mord unterstellt, doch in ihren Augen nichts anderes als Notwehr gewesen. Bevor sie nach der durchzechten Nacht zum 24. November 1993 in ihrer Wohnung in Sankt Augustin zur Pistole griff, sei sie von ihrem damaligen betrunkenen und mit Rauschgift vollgepumpten Lebensgefährten schwer misshandelt worden. Sie habe nicht töten, sondern den damals 26-jährigen Jörg K. nur verletzen und an weiteren Übergriffen hindern wollen.

Gut 20 Minuten habe sie sich in dem Zimmer versteckt, dass ihr Geliebter nach dem Schuss verließ, ergänzte Ellen P. Erst dann habe sie sich nach unten in den Hausflur gewagt, wo der Freund lag und kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Bevor sie untertauchte, schaffte sie mit Hilfe Bekannter Spuren beiseite und versenkte die Leiche im wenige Kilometer entfernten Dornheckensee. Dort wurde sie kurz darauf von Spaziergängern gefunden.

Hätte sie sich schon damals der Polizei gestellt, so spekulierte die 40-Jährige jetzt zu Beginn des Prozesses vor dem Bonner Schwurgericht, wäre sie sicherlich neben den damals deutlich sichtbaren Blutergüssen mit einem blauen Auge davon gekommen: „Dann hätte man mir geglaubt, dass ich mich nur zu Wehr setzen wollte.“

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