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Am Wegesrand wächst so einiges

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Das Deutz-Kalker Bad gegenüber dem Alten Deutzer Kommunalfriedhof wurde bereits 1996 geschlossen. Konkrete Pläne für das unter Denkmalschutz stehende Gebäude sind derzeit nicht bekannt, doch soll es verkauft werden.

Das Deutz-Kalker Bad gegenüber dem Alten Deutzer Kommunalfriedhof wurde bereits 1996 geschlossen. Konkrete Pläne für das unter Denkmalschutz stehende Gebäude sind derzeit nicht bekannt, doch soll es verkauft werden.

Von Stammheim bis Deutz fahren die Busse der Linie 153 an alten und neuen Sehenswürdigkeiten vorbei.

Herr Schwienbacher denkt nach. Was gibt es Besonderes an der 153? Das wird man ja nicht jeden Tag gefragt. Dem freundlichen Busfahrer ist anzusehen, dass ihm diese Aufgabe mehr behagt als der tägliche, oft aussichtslose Kampf gegen Berufsverkehr und kurze Ampelphasen. Wie jetzt gerade wieder in Mülheim . . . Was also gibt es zu berichten über die Buslinie 153?

Wir fahren los an der Station „Neuer Mülheimer Friedhof“, noch ist der Bus recht leer, die Strecke frei, die Aussicht - hm, ja - unspektakulär. Bei Regen und schlechter Laune könnte man das wohl auch „öde“ nennen wollen. „Stammheim S-Bahn“ ist die erste Haltestelle. Hier will man nicht gezielt hin, hier steigt man nur um. So, wie die Hand voll Fahrgäste, die die 153 besteigt und sich fortan wundert über den Mann am Steuer. Der nutzt nämlich - gegen sonstige KVB-Gepflogenheiten - heute gerne mal die kurze Wartezeit an Haltestellen oder roten Ampeln, um, leicht zum Fahrgastraum gewendet und mit der Hand deutend, Dinge rechts und links der Strecke zu kommentieren. Er erzählt, was ihm bei früheren Fahrten aufgefallen ist - „Hier ist ein Nachtclub. Der ist mal auf, mal zu, dann wieder auf . . .“-, wer so alles mitfährt - „An dieser Haltestelle steigen sonntags manchmal zwanzig, fünfundzwanzig Afrikaner aus. Vielleicht gehen die hier irgendwo zu einer Kirche.“ - und fragt auch schon mal einen Fahrgast nach Einzelheiten über ein Gebäude.

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Der Bus hält an der „Moses-Hess-Straße“, benannt nach einem Weggefährten Ferdinand Lassalles. Als 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet wurde, aus dem später die SPD entstehen sollte, wurde Hess (1812-1875) zum Bevollmächtigten für Köln bestellt. Der Blick wandert nach rechts, zu einem symbolträchtigen Kirchenbau: „St. Johannes der Evangelist", fertig gestellt 1971, wurde von den Architekten Karl und Gero Band mit einem auffällig heruntergezogenen Dach ausgestattet, um „Gottes Zelt unter den Menschen“ darzustellen.

Eine Station später erreicht der Bus Mülheim, das seinen Namen tatsächlich den vielen Mühlen verdankt, die dort einst vom Wasser des Strunderbaches angetrieben wurden. Ein zweiter Bach begrenzte Mülheim nördlich, seines träge dahinfließenden Wassers wegen war er aber zum Antrieb von Mühlen nicht geeignet und hatte damit seinen Namen weg: „Am Faulbach“ steht heute noch auf dem Haltestellenschild.

Je näher wir dem Zentrum des Stadtteils kommen, desto belebter sind die Straßen, desto dichter wird der Verkehr. Falschparker verengen die Fahrbahn kurz vor dem Wiener Platz, wo Scharen neuer Fahrgäste warten. Ein kurzer Blick über die Wartenden, Kinderwagen zählen: Einer, zwei, mit gutem Willen drei sind unterzubringen.

Vier plus Fahrrad sind ein Albtraum, dann muss der Fahrer jemanden stehen lassen. Heute gibt es keine Probleme, Herr Schwienbacher kann seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf das Gewusel und Gewimmel an der Frankfurter Straße richten, die uns aus Mülheim heraus nach Buchheim führt. Der Stadtteil wurde im Jahr 1003 in einer Schenkungsurkunde des Erzbischofs Heribert von Köln als „Bochheim“ erstmals urkundlich erwähnt. Von den namensgebenden Buchen dürfte es damals hier reichlich gegeben haben, heute ist das anders. „Am Wochenende ist hier manchmal ein richtig großer Trödelmarkt“, weiß unser Fahrer sogar dem Gewerbegebiet an der Haltestelle „Buchheim, Frankfurter Straße“ noch einen gewissen Freizeitwert abzugewinnen.

Zwei Stationen weiter ist hinter einer Mauer mehr Grün am Streckenrand auszumachen. Dort liegt der Mülheimer Friedhof, der am 30. September 1904 eröffnet wurde. In den Reihengräbern wurde zunächst nach Konfessionen getrennt bestattet: links vom Hauptweg evangelisch, rechts katholisch. Der dreiteilig angelegte Torbau aus dem Jahr 1903 am Haupteingang steht unter Denkmalschutz. Auf der anderen Seite wird das dreieckige Gelände des Friedhofs begrenzt vom Höhenberger Ring. Dass der Stadtteil Höhenberg im Jahr 1840 ganze vier Einwohner zählte, ist heute schwer zu glauben.

Höhenberg und Vingst, das der Bus anschließend durchfährt, haben heute zusammen etwa 23 000 Einwohner. Rund 40 Prozent der Haushalte haben kein selbst erwirtschaftetes Einkommen, viele Jugendliche keine abgeschlossene Schulbildung. Der Ausländeranteil - und damit auch die Notwendigkeit von Integrationshilfen - ist höher als im Kölner Schnitt. Hoch ist aber auch das Engagement von Kirchengemeinden, Vereinen und Einzelpersonen, durch das das einstige „Armenhaus der Stadt“ in der öffentlichen Wahrnehmung enorm aufgewertet wurde.

Die jährliche, erstmals 1994 von den Kirchengemeinden organisierte Ferienfreizeit „HöVi-Land“ gehört zu den bekanntesten Trägern des neuen (Selbst-)Bewusstseins.

Auch aus dem Busfenster kann man den Ausblick auf die Ergebnisse eines der vielen HöVi-Projekte genießen: In bunt bepflanzten Blumenbeeten an den Straßen stecken Schildchen mit der Aufschrift „Blühendes HöVi“, bepflanzt von Jugendlichen, die in der HöVi Workstation ein freiwilliges soziales Trainingsjahr ableisten. Der Bus fährt weiter durch Humboldt-Gremberg.

Hier steht an der Haltestelle „Weilburger Straße“ die Kirche „St. Engelbert“, ein ornamentierter Klinkerbau mit Satteldach, einem mächtigen doppeltürmigen Fassadenriegel und Portikus zum Vordach. Der dreischiffige Kirchenbau wurde entworfen von den Architekten Heinrich Renard und Josef van Geisten und 1926 / 27 im Stil eines an Romanik und Gotik erinnernden Expressionismus gebaut.

An der heutigen Gremberger Straße gab es Mitte des 19. Jahrhunderts nur Äcker und Wiesen. Dann siedelte sich auf dem Gebiet des heutigen Humboldtparks eine kleine Fabrik an, die Sprengstoff herstellte. Die Fabrik brauchte Arbeiter, und so wurden in der Gegend die ersten Häuser gebaut. Doch schon bald mussten sich die Leute andere Arbeit suchen: 1870 explodierte die Pulvermühle. Wahrscheinlich ist den Menschen dabei nicht viel passiert, denn das Ereignis hat nicht so viel Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht, dass sie viele Einzelheiten festgehalten hätten. Geblieben ist nur der Straßenname „An der Pulvermühle“. Der Bus fährt hier entlang auf seinem Weg nach Deutz.

Kurz vor Ende der Fahrt passiert der Bus dort den dritten Friedhof an der Strecke, denn Alten Deutzer Kommunalfriedhof. Eröffnet wurde er 1822, endgültig für Bestattungen geschlossen genau 100 Jahre später, am 1. Juli 1922.

Vor der ersten Kölner Bundesgartenschau 1957 fand hier eine Friedhofsschau statt, der der Friedhof seine heutige Gestaltung verdankt. Gleich gegenüber liegt das Deutz-Kalker-Bad. Der Jugendstil-Komplex wurde zu Beginn des 1. Weltkrieges eröffnet, damals noch unter dem Namen „Kaiser-Wilhelm-Bad“. Der Besitzer der Chemischen Fabrik Kalk stiftete für 170 000 Goldmark den klassizistischen Bau der ebenfalls 1914 eröffneten Bibliothek daneben. Im 2. Weltkrieg wurde das Bad stark beschädigt, die Fassade später im Stil der 50er Jahre wieder hergerichtet. Nach der Eröffnung der Claudius-Therme 1996 wurde das Bad geschlossen.

„Kölnarena“, „Hauptzollamt“, deutet Herr Schwienbacher noch auf den letzten paar Metern, dann hält der Bus an der Station „Bahnhof Deutz / Kölnarena“ am Ende einer besonderen Fahrt mit der Linie 153.

 www.ksta.de/abgefahren

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