Reiterstaffel im Einsatz„Pferde verschaffen Respekt und sie wirken deeskalierend“

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Melanie Lipp, Leiterin der Staffel am Niederrhein, mit einem der 17  Polizeipferde.

  • Dass sich die Polizei in Nordrhein-Westfalen seit 2006 wieder eine Reiterstaffel leistet, ist keine Nostalgie.
  • Die berittenen Polizisten werden bevorzugt bei sogenannten Ereignissen aus besonderem Anlass eingesetzt.
  • Ein Besuch in Willich.

Willich – Die drei Pferde schnauben und stampfen. Eines von ihnen, das Jüngste, scheut ein bisschen, als im Hintergrund mit Dosen geklappert wird. Die Reiterin bekommt es aber sofort wieder unter Kontrolle. Und so bewegt sich das Trio im Schritt geordnet voran.

Pferde verschaffen Respekt

Reiter in Formation, Pferd neben Pferd, machen Eindruck. Und noch mehr, wenn Polizisten in voller Kampfausrüstung im Sattel von riesigen Rössern sitzen, deren Stockmaß bei ungefähr 1,80 m liegt. 700 Kilo bringt ein Tier dieser Größe auf die Waage. Den Pferden auszuweichen, ist der normale Reflex. Sogar in der Reithalle, in der die Kavallerie der Polizei für ihre Einsätze übt, geht der Besucher beim Anblick von so viel tierischer Power automatisch ein paar Schritte zu Seite.

Und genau darum geht es. Dass sich die Polizei in Nordrhein-Westfalen seit 2006 wieder eine Reiterstaffel leistet, ist keine Nostalgie. Die berittenen Polizisten werden bevorzugt bei sogenannten Ereignissen aus besonderem Anlass eingesetzt, also vor allem bei Fußballspielen und Demonstrationen; immer dann, wenn es nötig sein könnte, krawallsuchende Menschengruppen zu kontrollieren oder voneinander zu trennen.

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Bei regelmäßigen Traningseinheiten werden die Pferde auf die Polizeieinsätze vorbereitet.

„Pferde verschaffen Respekt, und sie wirken deeskalierend. Durch unsere erhöhte Position können wir außerdem Situationen besser überblicken und werden auch besser wahrgenommen“, sagt Hauptkommissarin Melanie Lipp, Leiterin der Pferdestaffel Rheinland in Willich.

Viel Arbeit für die Pferdestaffel in Willich

17 Polizeipferde sind in dem Stall am Niederrhein untergebracht, 18 Reiter, 16 Frauen und zwei Männer, gehören fest zur Polizei-Equipe in Willich. Eine weitere, ebenso große Staffel ist in Dortmund beheimatet.

Über einen Mangel an Arbeit können sich die Reiter in Willich nicht beklagen. Die Bundesligisten Köln, Düsseldorf und Mönchengladbach spielen in der Nähe; in Köln und Düsseldorf wird häufig demonstriert, oft auch laut und heftig. Wie ertragen die Tiere so etwas? „Gut ausgebildete Pferde können mehr aushalten, als man denkt“, sagt Lipp, die nicht nur Polizistin ist, sondern – wie eine ihrer Kolleginnen – auch zertifizierte Reitlehrerin.

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Auch vor Fahnen dürfen sich die Pferde nicht fürchten, denn sie werden oft  bei Demonstrationen eingesetzt.

Die anderen Polizisten sind ebenfalls geübte Reiter. Um bei der Polizei aufgenommen zu werden, mussten sie eine Dressur- und eine Springprüfung bestehen und gut über das Wesen der Tiere Bescheid wissen.

Fluchtinstinkt der Tiere kontrollieren

Von Natur aus sind Pferde Fluchttiere, das bedeutet: Sobald sie eine potenzielle Gefahr wahrnehmen, es reicht ein Lichtreflex oder das Flattern eines Vogels, das sie nicht einordnen können, suchen sie fluchtartig das Weite. „Diesen Instinkt zu kontrollieren, das ist die Herausforderung“, sagt Lipp.

Normale Reitpferde haben es – besser oder schlechter – gelernt, bei gängigen Alltagsgeräuschen nicht auszuflippen. Im Polizeidienst müssen die Tiere extremen Lärm, Martinshörner, Gedränge, sogar Böller, Rauchbomben und Bengalos aushalten, ohne zu scheuen, den Reiter abzuwerfen oder panisch davon zu rasen. Dazu sind nur entspannte Pferde in der Lage, die gut geschult werden. „Man braucht viel Training, Zeit und Fachwissen, um aus einem Pferd mit den richtigen Voraussetzungen ein sicheres Pferd für den Einsatz zu machen“, sagt Lipp.

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Geschubse und Gedränge müssen die Tiere ebenfalls aushalten, das wird mit weichen Bällen trainiert.

Was passiert, wenn Tiere ohne charakterliche Eignung und Vorbereitung einem solchen Stress ausgesetzt werden, ist regelmäßig bei Massenveranstaltungen wie Karnevalszügen zu sehen: Tiere gehen durch und werden zur Gefahr für sich selbst und ihre Umwelt.

Keine Stute im Polizei-Stall

Vom Wesen her wären vermutlich Kaltblüter am besten für die Polizei geeignet, doch sie sind zu langsam und schwer zu manövrieren. Deshalb sind vor allem Warmblüter im Einsatz – möglichst große Tiere mit einem Mindestmaß von 1,68 m. „Die Pferde müssen ruhig und gelassen sein und sich auf neue Dinge einlassen können“, meint Lipp. Stuten stehen gar nicht im Willicher Stall, sondern 16 brave Wallache und ein besonders ausgeglichener Hengst, der aber laut der Reiter gar nicht weiß, dass er einer ist. „Nur wenn er Stuten sieht, erinnert er sich daran“, sagt Lipp.

Zwei Jahre Ausbildung

Wenn die Pferde zur Staffel kommen, sind sie vier bis acht Jahre alt. Es dauert mindestens zwei Jahre, bis die Ausbildung abgeschlossen ist. Am Anfang wird nur Streife geritten, was ebenfalls zu den Aufgaben der Reiterstaffel gehört. Erst in der ruhigen ländlichen Umgebung am Niederrhein, dann auch in den umliegenden Innenstädten von Viersen, Krefeld und Mönchengladbach.

Nach der Eingewöhnung folgt der anspruchsvolle Teil der Ausbildung. „Wir bringen den Pferden bei, dass Unbekanntes nicht gefährlich sein muss“, sagt Lipp. Gedränge wird zum Beispiel dadurch simuliert, dass die Pferde von allen Seiten mit großen, weichen Gymnastikbällen beworfen werden. Fahnen werden vor den Köpfen der Rösser geschwenkt. Es wird geschrien, gerannt, manchmal werden Knaller und Rauchbomben gezündet. Bei der Abschlussprüfung braust ein Streifenwagen mit Blaulicht und Martinshorn durch die Reithalle. „Wir trainieren Dinge, die sich aus der Einsatzerfahrung ergeben“, sagt Lipp.

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Dazu gehört auch der sichere Gang über einen unsicheren Untergrund, in diesem Fall eine Plastikplane, die auf dem sandigen Boden der Reithalle ausgebreitet wird. Der junge Wallach, Graf sein Name, erst sechsjährig, schreckt bei der Übung wieder ein bisschen auf. Die beiden älteren Pferde Figo und Duplo, 16 und 17 Jahre alt, bleiben cool und zucken nicht einmal mit der Pferdewimper.

Einsätze bei Fußballspielen und Demonstrationen

Man merkt, dass die Tiere schon einiges erlebt haben. Bei Fußball-Derbys zwischen Köln und Gladbach mit heftigen Ausschreitungen ziehen sie in den Kampf. Im Hambacher Forst waren die berittenen Polizisten ständig präsent. 2018 wurden Lipp und ihre Kollegen sogar nach Sachsen geschickt, zu den Demonstrationen in Chemnitz. Oft ging es hoch her, passiert sei aber noch nie etwas Schlimmes, berichtet die Staffelleiterin. Es habe Ausrutscher gegeben, aber: „Bis auf ein paar Schrammen ist es immer gut gegangen.“ Im Alter von etwa 20 Jahren scheiden die meisten Pferde aus dem Dienst aus. Oft übernehmen ihre Reiter von der Polizei die Tiere danach privat. Die Polizei sorge auf jeden Fall dafür, dass jedes Pferd irgendwo seine Rente genießen könne, versichert Lipp.

Umzug der Pferdestaffel

Traurig sind sie in Willich alle darüber, dass bald ein Umzug ansteht. Die Staffeln Rheinland und Westfalen sollen demnächst irgendwo im Ruhrgebiet zusammengelegt werden. Für Melanie Lipp wird der Dienst bei der Reiterstaffel damit nach 13 Jahren beendet sein, da für sie weder ein Umzug noch eine weite Anfahrt zum Arbeitsplatz in Frage kommt. Wie einige ihrer Kollegen wird sie in den normalen Polizeidienst zurückkehren. Und den Streifendienst nicht mehr hoch zu Ross absolvieren. Sondern ganz schnöde im Auto.

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