Ausstellung von Maf RäderscheidtVollständig Twitter-kuratiert

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Maf Räderscheidt aus Schleiden zeigt im auch für ihre Familie geschichtsträchtigen Simonskall die erste Twitter-kuratierte Ausstellung der Welt. BILD: BADKE

Maf Räderscheidt aus Schleiden zeigt im auch für ihre Familie geschichtsträchtigen Simonskall die erste Twitter-kuratierte Ausstellung der Welt. BILD: BADKE

SCHLEIDEN/ SIMONSKALL – „Vielen Dank, dass Sie meine Ausstellung kuratiert haben“, war einige Tage lang auf der Homepage der Künstlerin Maf (Martha Angelika Felicitas) Räderscheidt zu lesen. Dabei hat sich die Wahl-Schleidenerin nicht zurückgelehnt und gewartet, bis jemand entschieden hatte, welche Bilder in dem kleinen Museum Junkerhaus in Simonskall hängen sollen. Vielmehr ist es ein wahres Mammutprojekt, das sich die Malerin, Grafikerin, Kunstdozentin und Performance-Künstlerin ausgesucht hat: Soeben hat sie rund 80 Bilder aus ihrem Atelier in einem schönen alten Haus am Schleidener Schloss nach Simonskall gebracht.

Politisch und persönlich

Entstanden war aber ein Vielfaches an Zeichnungen, Gouachen, Aquarellen - schnell trocknende Farben eben. Witziges ist dabei, Nachdenkliches, Melancholisches, Farbiges, Schwarz-weißes, Kräftiges und Zartes. Von März an hat die ehemalige Kölnerin, deren Großeltern bekannte Künstler waren, täglich etwa 30 Bilder gezeichnet und gemalt. „Am Anfang stand das Bedürfnis nach absoluter Ehrlichkeit“, erklärt Räderscheidt, die bereits vor ihrem Studium an den Kölner Werkschulen die Grundbegriffe der Malerei im Atelier ihrer Großmutter lernte.

Ihre neuen Bilder sollten tagebuchartig wichtige und bewegende Ereignisse oder Gedanken und Gefühle einfangen. „Das konnte politisch sein, Allgemeines ausdrücken oder Persönliches sein, wie etwa ein kleiner Sonnenbrand am Meer.“ Unter dem Titel „Daily Painting“ hat sie jeweils ein Werk auf ihre Homepage gestellt (während sie die übrigen verbrannte) und auf dem Microblogging- und Kurznachrichtenanbieter Twitter („Zwitschern“) verbreitet.

Diese Hinweise kann jeder sehen, der Räderscheidts Seite auf Twitter anklickt oder aber ihre Meldungen als „Follower“ abonniert hat, so dass ihre jeweils neuen Einträge in der eignen Twitter-Nachrichtenleiste erscheinen. „Dann erst kam mir die Idee, das mit der Ausstellung zu kombinieren“, so die Künstlerin. Das Museum Junkerhaus in Simonskall liegt ihr besonders am Herzen, weil ihr Großvater Anton Räderscheidt als führender Künstler der „Progressiven in der Neuen Sachlichkeit“ dort von 1919 bis 1921 an Bildern arbeitete und sich mit Künstlern und Philosophen austauschte. Nachdem Räderscheidt in eine Ausstellung ihres Großvaters einführte, kam die Idee auf, dass sie selbst dort ausstellen könnte.

So verband die Schleidenerin, die auch zu den Dozenten der neuen Kunstakademie auf Burg Hengebach in Heimbach gehört, die Twitter-Nachrichten mit der Bitte, eine Stimme abzugeben, wenn sich jemand von einem Bild besonders angesprochen fühlte. „Zu meinen »Followern« gehören Museen, Künstler, Musiker, Kunstinteressierte aller Art“, hat Räderscheidt festgestellt. Oft war sie überrascht, welche Bilder von Fremden aus Neuseeland, der Türkei, USA, China und Europa ausgewählt wurden, noch öfter aber begeistert und gerührt von den Kommentaren. In der weltweit ersten twitter-kuratierten Ausstellung geht es ihr auch um solche Kontakte.

Die Kunsthistorikerin Dr. Dorothy Rowe, die über Twitter auf Maf Räderscheidt aufmerksam wurde und selbst ein Voting abgab, reist nun aus Bristol an, um die Ausstellung zu eröffnen. Und auch die Kontakte zu Musikern führten zu einem ungewöhnlichen Musikvortrag: Dorothée Hahne präsentiert live eine Elektronik-Komposition, die auf die Kriegsgeschichte im Hürtgenwald Bezug nimmt.

„Gerade in der Wirtschaftskrise ist diese Aktion auch ein Versuch, abseits von Geld und Markt andere Verbreitungswege von Kunst, andere Vernetzungswege von Kulturschaffenden und wirklich interessierten Menschen zu erforschen“, sagt Räderscheidt. Die demokratische Auswahl der Bilder mache die Aktion zu einer „sozialen Skulptur“, was auch ihrem Mann Stephan Everling besonders gut gefällt. „Heutzutage ist ja der Kurator oft der größte Star der Kunstszene. Solche Trends und Mechanismen treten hier vollkommen in den Hintergrund“, sagt der Autor, der im Herbst einen Schleiden-Krimi veröffentlicht. Mit der Ausstellung endet die tägliche Malerei noch lange nicht. Maf Räderscheidt, die einst zu den ersten Frauen gehörte, die an den Werkschulen als Meisterschülerin angenommen wurde, will mit dem Austausch im Internet weitermachen: „Man wird süchtig.“

Die Ausstellung wird am Samstag, 12. September, um 15 Uhr in der Marienkapelle unter dem Titel „A Painting a Day keeps the Doctor away - Ein tägliches Bild für die zwitschernde Welt“ eröffnet. Anschließend ist die Ausstellung bis zum 1. November zu sehen.

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