Benecke-InterviewDie Seele netter Massenmörder

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Kriminalbiologe Mark Benecke, seine Frau, die Psychologin Lydia Benecke und Hase Hermine. (Bild: Max Grönert)

Kriminalbiologe Mark Benecke, seine Frau, die Psychologin Lydia Benecke und Hase Hermine. (Bild: Max Grönert)

Wie ist das denn in so einer Partnerschaft, wo der eine die Mordopfer obduziert, manchmal sogar Kinder, und die Ehefrau als Psychologin die Täter therapiert – belastet das nicht?

MARK BENECKE Nö, irgendwie nicht. Ich konnte durch die Beziehung mit Lydia da eine neue Perspektive einnehmen. Das hab ich jetzt schön gesagt, oder? Das ist so Psychologengeschw. . . , äh, so ein Psychologenbegriff.

LYDIA BENECKE Wolltest du Geschwafel sagen?Mark Nein, nein, ich wollte Begriff sagen.

Reden Sie zu Hause beim Abendessen immer noch über Mord und Missbrauch?

MARK Klar. Das ist für uns kein Ding. Wir machen beide unseren Job sehr gerne, deshalb reden wir auch gerne darüber. Das ist oft so wie ein Rätsel, das wir gemeinsam lösen.

Herr Benecke, Sie haben in Kolumbien einen Massenmörder zu längeren Gesprächen getroffen. Garavito Cubillos hat in nur fünf Jahr 300 Jungen gefoltert und ermordet.

MARK Ja und jetzt glaubt er, wir wären best friends. Sind wir aber nicht. Dennoch kann ich ihm höflich gegenüber treten. Lydia muss ja den Tätern noch menschenfreundlicher gegenüber treten, sonst kann sie sie nicht therapieren. Hass darf sie nicht zulassen. Ich kann das hingegen auf eine sehr roboterhaft-sachliche Ebene runterbrechen.

Wie war das, Garavito die Hand zu geben?

MARK Er ist einer der nettesten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe. Sehr höflich. Verbindlich. Und auch überangepasst. Wenn der irgendwo hinkommt, dann speichert der jedes Detail, ein bisschen wie Hannibal Lector. Merkt sich alles, was sozial wichtig sein könnte. Wer sich über ein Kompliment freuen könnte, wen man besser in Ruhe lässt. Im Knast ist der bestimmt der beliebteste Häftling. Kleine Jungs gibt es da ja auch nicht.

Und Sie hat er auch um den Finger gewickelt?

MARK Klar. Ich hatte schon als ich reinging direkt verloren. Der stand neben mir und ich habe ihn nicht erkannt. Ich dachte, er sei der Gefängnisdirektor. Der stand da im Hemdchen, oberster Knopf auf, einen Stapel Akten unter dem Arm, die Brille bisschen runtergerutscht, wie das sonst so Verwaltungsheinis machen. Obwohl der eigentlich gar keine Brille braucht. Der wollte einfach so aussehen, als ob er dazu gehört. Zu den Guten. Und dann kam der Gefängnisdirektor. Der sah aus wie ein Zombie, mit Haaren auf dem Rücken und Warzen. Ernsthaft. Es war absurd. Bevor ich das erste Wort gesagt hatte, stand es schon 1:0 für unseren Serientäter.

Warum wollten Sie unbedingt mit ihm sprechen?

MARK Es wollte ja sonst niemand mit ihm reden. Die Kolumbianer wollen nicht mit Monstern reden. Eine Kollegin von mir in Bogota hat sich sogar geweigert, ihm Blut abzunehmen. Der hat für die Menschen dort jedes Daseinsrecht verwirkt, der existiert nicht mehr. Kriminalistisch ist das ein Alptraum. Diese Ignoranz hat eine vernünftige Aufklärung verhindert.

Hat dieses Treffen etwas für Sie verändert?

MARK Ich habe jetzt wirklich verstanden was Psychopathie ist, wie jemand tickt, der eine Gefühlsbehinderung hat. Zum Beispiel hat er immer unsere Kaffeetassen vertauscht. Warum? Er hatte Angst, dass er vergiftet wird. Mein Leben war ihm völlig egal.

Wieso führen Sie solche Gespräche? Das geht doch über die klassische Spurensuche weit hinaus?

MARK Ich arbeite für die, die von einem Verbrechen betroffen sind und keinen Richter, keinen Therapeuten und keinen Seelsorger haben. Zum Beispiel die Angehörigen, die einfach keinen Frieden finden, solange sie nicht genau wissen, was passiert ist. Es gibt sogar Fälle, da jagen Eltern 30 Jahre lang einen Phantommörder, obwohl das Kind sich offensichtlich umgebracht hat. Die gehen daran kaputt. Ich kann das dann auf eine ganz sachliche Ebene bringen und das hilft oft. Ansonsten bin ich froh, dass ich im Labor sein kann. Alleine. Ich kann mich sehr gut abschirmen, von dem ganzen Theater da draußen.

Früher haben Sie immer gesagt, Gerechtigkeit interessiere Sie nicht, es gehe Ihnen nur um die präzise Auswertung der Spuren. Hat sich das heute geändert?

MARK Hmm, geht so. Ich möchte vor allem die Fakten klar stellen. In den USA werden jedes Jahr zehn Menschen aus Todeszellen entlassen, weil sich herausstellt, dass sie es nicht waren. Zehn Leute! Und alle saßen wegen falscher Grundannahmen in der Zelle. Früher habe ich tatsächlich nicht an Gerechtigkeit geglaubt, das war so eine Art kölscher Fatalismus. Das sehe ich jetzt doch ein bisschen anders, weil ich mitkriege, wie viel schief gehen kann.

Aber Ihre Bücher, auch das gerade gemeinsam mit Ihrer Frau verfasste „Aus der Dunkelkammer des Bösen“, setzen doch ganz stark auf den Unterhaltungswert von Verbrechen.

MARK Ich mag Sherlock Holmes, ich mag Tim und Struppi. Ich will die Aufmerksamkeit der Leute. Das Interesse von Menschen gewinnt man nur, wenn man etwas Spannendes erzählt, vor allem wenn ich auch normale Menschen erreichen will und nicht nur Intellektuelle. Eine sehr gute Methode dafür sind Kriminalfälle. Ich finde das total okay, wenn man dabei auch so ein Schaudern verspürt.

LYDIA Mich haben schon immer echte Kriminalfälle interessiert, mit fiktiven Krimis kann ich nichts anfangen. Das echte Leben reizt mich mehr. Bei mir kommt noch dazu: Ich will immer auch verstehen, warum Menschen etwas machen. Mit so einem Wissen kann man Taten vielleicht schneller aufdecken oder Menschen helfen, bevor sie zu Tätern werden.

MARK Die Lydia geht ja noch einen Schritt weiter, sie hat einen richtigen Baukasten entwickelt, der zeigt, welche Elemente zusammen kommen müssen, damit es zu einer Tat kommt. So was gab es vorher noch nicht.

Frau Benecke, Sie setzen Ihre Erkenntnisse ja bereits in Therapiegruppen für Pädophile im Gefängnis um. Damit beschäftigen Sie sich ja mit einem der letzten gesellschaftlichen Tabus.

LYDIA Viele können das überhaupt nicht verstehen, für die sind Pädophile einfach nur Abschaum. Es ist schon manchmal verwunderlich, welche sadistischen Fantasien ganz normale Menschen entwickeln, wenn es um die Bestrafung von Pädophilen geht.

Ist das nicht vielleicht nur ein Ausdruck davon, dass Kinder absolut schützenswert sind? Sozusagen eine gesunde Abscheu?

LYDIA Ich empfinde das nicht so und nur deshalb kann ich diesen Job wahrscheinlich machen. Ich weiß, dass es viele, viele Menschen gibt, die mit pädophilen Fantasien herumlaufen und dennoch nie ein Kind anfassen oder ihm etwas antun. Meistens werden die erst zu Tätern, wenn noch eine andere Störung dazu kommt, die sie enthemmt. Je besser wir die Täter verstehen, desto besser können Präventionsprogramme werden, damit weniger passiert. Da sehe ich den Nutzen meiner Arbeit, aus diesem Grund arbeite ich mit den Tätern und nicht mit den Opfern.

MARK Abscheu hilft nicht, Prävention schon.

LYDIA Die Täter haben meist starke kognitive Verzerrungen. Das heißt, die reden sich ihre Taten schön. Im Therapieprozess lernen sie, die Tat mit unseren Augen zu sehen, das Entsetzliche zu erkennen. Dann brechen die ziemlich zusammen und sind selbst entsetzt. Es kommen nicht alle an den Punkt, aber viele. Das sind ja nicht einfach böse Menschen. Die haben gute Anteile und dann wiederum Anteile, die grauenvoll sind.

Was bedeuten die Kategorien Gut und Böse überhaupt für Sie?

MARK In meiner Arbeit spielt das keine Rolle. Ich arbeite mit Spuren, Blut, Sperma, einer Zigarettenkippe. Aber eine Meinung habe ich natürlich trotzdem. Böse ist für mich der, der Entscheidungsfreiheit hat und dann sagt „scheiß ich drauf!“. Aber sonst? Es gibt im Leben einige glitschige Abhänge, wo auch normale Menschen sehr leicht abrutschen können. Es gibt nicht die Bösen und uns Gute.

Das Gespräch führte Ismene Poulakos

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