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Berzdorf - eben ein Dorf

Lesezeit 7 Minuten
Im Geschäft von Isabell und Horst Daniel am Dorfplatz gibt es Bonbons aus großen Gläsern.

Im Geschäft von Isabell und Horst Daniel am Dorfplatz gibt es Bonbons aus großen Gläsern.

Die alteingesessenen Berzdorfer Familien und die Zugereisten kommen gut miteinander zurecht.

Wesseling-Berzdorf - Mitten im Ort ist der Dorfplatz. Und am Dorfplatz ist „der Daniel“. „Der kann was über Berzdorf erzählen“, heißt es allenthalben. Also auf zu Horst Daniel, wobei man eigentlich sagen muss: zu Isabell und Horst Daniel. Denn das Ehepaar betreibt gemeinsam den Laden, in dem es Zeitungen, Tabakwaren, Süßigkeiten, Weihnachtsdekorationen, Parfüm, Glückwunschkarten und Getränke gibt, in dem die Berzdorfer Lotto spielen und in dem auch die Postfiliale untergebracht ist.

Und tatsächlich herrscht hier schon am Vormittag ein Kommen und Gehen. Man kennt sich, die Kunden werden mit Namen angesprochen. Ist ja auch Ehrensache, schließlich sind die Daniels seit mehr als 50 Jahren Geschäftsleute. Hier bekommen die Kinder noch abgezählte Bonbons aus großen altertümlichen Gläsern.

Berzdorf also. „Über unser Dorf wollen Sie schreiben?“, fragt Isabell Daniel verwundert und erzählt, dass jüngst ein Fahrer von der Post da gewesen sei, der „gar nicht wusste, dass es Berzdorf überhaupt gibt“. Gertrud Wedewardt bringt ein Geburtstagspäckchen für ihr Enkelkind. Sie kommt eigens aus Wesseling herüber, denn dort auf der Hauptpost „wird man einfach pampig behandelt“.

MITTEN

IM ORT

Heute: Wesseling-Berzdorf

Berzdorf ist nicht Wesseling, das ist schon mal - zumindest für die Berzdorfer - eine unumstößliche Tatsache. Selbst die Jüngeren unter ihnen, wie die 40-jährige Petra Lohr, schwärmen von Zeiten, in denen Matthias Leyendecker Bürgermeister von Berzdorf war. Eigentlich seien die Berzdorfer auch ganz gerne unter sich, sagt Isabell Daniel, die aus Australien stammt. Früher sei das noch ausgeprägter gewesen. „War das nötig, dass du 'ne Ausländerin geheiratet hast?“, hätten Anfang der 70er Jahre die Leute zu ihrem Mann gesagt. „Es war schon nicht so einfach, hier Fuß zu fassen.“

Heute sei das ja ein bisschen anders. Durch Bebauung und Mobilität sei „die Entfernung zwischen Berzdorf und Wesseling geschrumpft“. Neubaugebiete an der Hitzelerstraße und Auf dem Galberg hätten neue Leute ins Dorf gelockt, das heute knapp 5000 Einwohner hat. Um richtig heimisch zu werden, müsse man wohl einem Verein angehören, wirft ihr Mann ein - alles andere „ist in Berzdorf eine Totsünde“, sagt er augenzwinkernd. Er selbst sei Mitglied im Männerchor und im Sportverein, dem SSV-Berzdorf. Letzterer feiert immer die „legendären, überaus lustigen Sommerfeste“.

Adelheid Kessler war nie in einem Verein. Sie sitzt in der Bäckerei von Camilla und Lorenz Meschede bei einem Tässchen Kaffee. „Ich komm gern hierher, wenn ich zum Einkaufen unterwegs bin.“ Sie bekennt sich zum Einkauf im Dorf. Sie wolle ja schließlich nicht, dass die örtlichen Geschäfte dicht machen müssten und erinnert sich daran, dass es um den Spar-Markt an der Brühler Straße fast schon mal geschehen war. Seinerzeit seien die Leute aufgerufen worden, dort mehr einzukaufen, um nicht das einzige Lebensmittelgeschäft im Dorf zu verlieren. Seit 40 Jahren wohnt die 68-Jährige in Berzdorf und hat viele gute Freunde - Kaffee-Kränzchen eingeschlossen. Auch ihr Sohn habe sich mittlerweile mit seiner Tierarztpraxis hier niedergelassen. „Man wohnt sehr schön hier“, sagt sie und lobt die Nähe zur Eifel, zum Siebengebirge, zu Köln und Bonn.

Mittagspause. Bäckerei und Daniel schließen. Im Wasserturm gibt es einen Mittagstisch. Nur wenige Schritte sind es, und der Gast findet sich in Griechenland wieder. Weiße steinerne Göttinnen zieren den Garten des „Poseidon“. Auch nach dem Imbiss ist es noch mittäglich ruhig, so mitten im Ort. Also ein Abstecher zum Baumarkt an der Brühler Straße - fünf Minuten Fußweg vom Dorfplatz. Dort haben auch Aldi und der Getränkemarkt von Thomas Fohrn durchgehend geöffnet. Zwischen den Hochregalen des Baumarktes riecht es zudem ausgesprochen lecker - neben Rasenmäher und Co. werden Waffeln gebacken. Die gibt's freitags und samstags kostenlos. „Da weiß man, dass bald Weihnachten ist“, schwärmen Katharina Pichlak und Adele Voß, die sich gerade häuslich an einem der Tische auf den Gängen niedergelassen haben.

Auf die Adventszeit steuern auch Kinder samt Eltern des katholischen Kindergartens zu. Deshalb hat Anni Hochgürtel es einigermaßen eilig. Allerdings bleiben ein paar Minuten, um zu erzählen, warum sie sich als junge Mutter so wohl fühlt mitten im Ort. „Es ist eben ein Dorf - wir können die Kinder draußen spielen lassen, selbst an der Hauptstraße“, sagt sie, während Max (4) und Nina (6) auf dem Gehweg herumtollen. Die Hochgürtels sind eine alteingesessene Berzdorfer Familie. Der Großvater ihres Mannes Klaus sei der Schmied gewesen im Dorf. Der verstorbene Bürgermeister Alfons Müller habe bei ihm gelernt. „Niemals wäre mein Mann aus Berzdorf weggegangen.“ Anni Hochgürtel erklärt, was es mit dem Unterdorf auf sich hat: „Nur hier wohnen die ganz alten Familien.“ Sie selbst stamme aus der „Siedlung“ jenseits der Brühler Straße. Da wohnten eher die Zugereisten - „die Rucksackdeutschen“, pflegten die Leute aus dem Unterdorf zu sagen. Der Vater von Anni Hochgürtel jedenfalls fand in den 60er Jahren Arbeit bei der UK, der Union Kraftstoff, wie die Raffinerie damals hieß. „So hat es uns nach Berzdorf verschlagen“, sagt die 38-Jährige, die nun unten wohnt - mitten im Ort in einem schönen Einfamilienhaus.

„Schon wenn man morgens aus dem Haus kommt und jedem ein »guten Morgen« zurufen kann, ist das ein schönes Gefühl.“ Und sie schwört auf die Nachbarschaftshilfe, die in Konfliktsituationen Kraft gebe. „Hier fällt direkt auf, wenn irgendwas nicht stimmt, und hier wird noch für Silberhochzeiten gesammelt“, schwärmt Anni Hochgürtel.

Auf dem Weg zum Gut Hagenhof stehen linkerhand Pferde im Gatter. Sie gehören zum Helmeshof - einer Hofanlage, die drei Minuten vom Dorfplatz entfernt, also mitten im Dorf liegt. Ein Blick durch die Toreinfahrt verrät: Hier wird noch Landwirtschaft betrieben. Gerätschaften stehen herum, Pferde werden getränkt, Hühner gackern im Stall. Aufs Klopfen an der Tür ertönt eine junge Stimme: „Es ist offen, ich kann nicht aufstehen.“ Also: Hundegebell ignorieren und hinein in die gute Stube, die sich gleich neben der Haustür als geräumige bäuerliche Wohnküche entpuppt.

Hinten am großen Tisch sitzt die 18-jährige Katharina Schurz und füttert ihr Töchterchen Viviana. Auf der Tafel, an die bestimmt 15 Esser Platz haben, steht eine große Schüssel mit gekochten Nudeln und eine mit Gemüse. Weitere Familienmitglieder werden sich später noch ihre Teller damit füllen. Aber erstmal gibt es einen Kaffee mit der Hausherrin - Maria Theresia Schurz, die Mutter von Katharina, ist gerade hereingekommen und erzählt gerne ein wenig vom Hof und der Familie. Auch sie ist eine Alteingesessene.

Mit der zweijährigen Enkelin lebt die fünfte Generation in dem Haus mit den dicken Mauern. „Im Sommer ist es eine Oase der Kühle, im Winter eher schwierig“, sagt die Bäuerin, die vor 25 Jahren hierhin eingeheiratet hat. Das denkmalgeschützte Haus sei längst renovierungsbedürftig, wegen der Kosten würden sie es Jahr für Jahr aber verschieben. Mit Blick auf die Zukunft ihrer drei Töchter würde sie sowieso lieber ganz neu bauen - und sich auf Pferdezucht verlegen, statt wie bisher fast ausschließlich auf Ackerbau.

Inzwischen sitzen auch die anderen beiden Töchter, Christiane (25) und Caroline (21), mit am Tisch. Berzdorf sei schön, aber ob sie immer hier bleiben wollen, da sind sich die jungen Frauen nicht ganz sicher. „Hier geht ohne Auto gar nichts“, klagt Katharina und zieht Brühl als Wohnort ins Kalkül. Aber heute Abend ist erstmal das Hoffest nebenan, dorthin treibt es die Mädchen nun.

Keine Nachfolgerin

Die „Knolleplänzcher“ sind schon da. Aber so „löstig“, wie es in ihrem Namen steht, sind die heute nicht. Im Gegenteil: Traute Hildebrandt, die Präsidentin der Damen-Karnevalsgesellschaft kämpft mit den Tränen, als sie den Zustand des Vereins beschreibt. Sie finde einfach keine Nachfolgerin, klagt die 65-Jährige. In diesem Jahr wird's deshalb schon keine Sitzung der Damen geben. „Aber den Verein auflösen - nein, das bringe ich nicht übers Herz.“

Ganz so pessimistisch zeichnet sich das Bild auf dem Hof, den die Familie Lettmann schon zum dritten Mal für das weihnachtliches Fest zur Verfügung stellt, nicht. Zehn Vereine sind hier mit Ständen vertreten, sagt Ortsvorsteher Udo Pulver zufrieden. „Berzdorf ist das schönste Dorf im Kreis“, behauptet der Ortsvorsteher. Nun denn, wenn das sogar ein „Zugereister“ sagt.

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