Bestseller-Autorin im Interview„Dieser Roman ist meine Liebeserklärung an Köln“

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Susanne Abel

Die Kölner Autorin Susanne Abel hat 2020 mit ihrem Debütroman „Stay Away from Gretchen“ einen Riesenerfolg gelandet. Seit 79 Wochen ist das Buch auf der Spiegel-Bestseller-Liste, seit Juni 2022 auch der Nachfolge-Roman „Was ich nie gesagt habe“. In ihrem Debüt erzählt Abel die Geschichte von Greta, die als Mädchen im Zweiten Weltkrieg von aus Ostpreußen nach Heidelberg fliehen muss und in der Nachkriegszeit eine Beziehung mit einem schwarzen amerikanischen Soldaten eingeht. Als sie ein Kind mit ihm bekommt, nehmen ihr die Behörden das Kind weg und geben es zur Adoption in die USA frei. Greta vergräbt dieses Trauma tief in sich. Erst als sie dement wird und anfängt zu erzählen, erfährt ihr Sohn Tom Monderath, ein Kölner TV-Moderator, zum ersten Mal von seiner Halbschwester und beginnt zu recherchieren. Im ausführlichen Interview (das Sie hier auch als Podcast hören können) erzählt sie von ihrer Beziehung zu Köln, ihren Recherchen für ihre Bestseller-Bücher und Familien-Traumata. Frau Abel, Sie fühlen sich mit Ihrer Wahlheimat Köln wie in einer langjährigen Beziehung. Das heißt, Sie hadern auch schon mal damit. Susanne Abel: Das stimmt. Die Stadt ist manchmal anstrengend und im Belgischen Viertel, wo ich wohne, auch schmutzig und laut. Aber immer, wenn ich denke: Schluss jetzt, passiert mir etwas, was mich mit allem versöhnt.

Erzählen Sie!

2019 hatte ich eine kleine Krise, bin durch die Stadt gestromert und habe mich im Dom vor den Marienalter gesetzt und die Zeit vergessen. Plötzlich sah ich aus den Augenwinkeln etwas Rotes auf mich zukommen. Ein Domschweizer. Ich bekam einen Schreck, weil ich dachte, der ermahnt mich sicher, dass der Dom schließt und ich gehen soll. Aber er strahlte mich an und sagte nur in breitestem Kölsch: „Gemach, Leckerchen“. Dann begleitete er mich langsam zum Ausgang und sagte: „Ich hab dich die ganze Zeit beobachtet, weil du da so traurig sitzt.” Er war sofort per Du. Ich habe mir dann im Früh ein Kölsch gekauft, bin auf die andere Rheinseite spaziert und habe gedacht: Was ist das für eine geile Stadt, dass dir so etwas passiert? Mein Kummer war verflogen.

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Sie sind im Badischen aufgewachsen, haben mit 17 nach einem Streit Ihr Elternhaus verlassen und als Erziehungshelferin mit behinderten Jugendlichen gearbeitet. Was haben Sie dort fürs Leben gelernt?

Ich war als Teenagerin schwierig, fast depressiv und sehr unglücklich mit mir, auch mit meinem damaligen Gewicht. Diese Kinder und Jugendlichen, die teilweise extrem beeinträchtigt waren, haben mich zurückgeholt, indem sie mich einfach so genommen haben, wie ich bin. Bei diesem Job habe ich mitgekriegt, um was es eigentlich geht im Leben. Das ganze Chi-Chi, dem ich später im Fernsehbusiness egegnet bin, hat mich dann gar nicht mehr so beeindruckt.

Zur Person und zur Lesung

Susanne Abel ist in einem badischen Dorf an der französischen Grenze aufgewachsen. Sie hat nach einer Ausbildung zur Erzieherin an der Film- und Fernsehakademie in Berlin studiert und lange als Dokumentarfilmerin gearbeitet.

Am 7. Oktober 2022 liest Susanne Abel um 18 Uhr bei der lit.Spezial im WDR-Funkhaus. Weitere Informationen und Tickets gibt es hier. 

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ verlost 5x2 Tickets für die Lesung sowie fünf signierte Bücher „Stay away from Gretchen“. Was Sie dafür tun müssen? Hören Sie den Podcast „Talk mit K“ mit Susanne Abel und beantworten Sie die folgende Frage: Welche Schauspielerin wäre Abels Lieblingsbesetzung für Greta, falls ihr Buch verfilmt werden sollte? Schreiben Sie die Antwort mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse (falls Sie ein Buch gewinnen möchten) an: ksta-kultur@kstamedien.de  

Ihr Debütroman behandelt viele große Themen: den Zweiten Weltkrieg, Demenz, aber auch transgenerationale Traumata, die Eltern auf ihre Kinder übertragen. Gibt es ein Trauma, das Sie aus Ihrer Familiengeschichte mich sich herumtragen?

Ich habe schon als junge Frau gewusst, dass ich keine Kinder will. Das war Gesetz. Als meine Mutter dement wurde, fing sie an, darüber zu reden, wie zwei meiner Geschwister gestorben sind. Ich hörte zum ersten Mal die Details und spürte, dass sie diesen Verlust nie verwunden hat. Da ist bei mir ein Groschen gefallen. Ich hatte mein Leben lang diesen Glaubenssatz in mir: Bekomm bloß kein Kind, das verlierst du. Offensichtlich hat meine Mutter, obwohl sie darüber geschwiegen hat, ihr Trauma an mich weitergegeben. Das hat mein Leben geprägt und war auch ein Grund, warum ich die Geschichte schreiben wollte. Meine Mutter hatte zwar ein sehr anderes Leben als Greta, aber ich habe eine Blaupause aus meinem Leben genommen und daraus eine fiktive Geschichte gemacht.

Ihren verlorenen Geschwistern haben Sie den zweiten Roman „Was ich nie gesagt habe“ gewidmet. Was haben Sie über die beiden herausgefunden?

Die eine ist eine Halbschwester aus der ersten Ehe meiner Mutter, und das zweite Kind ist mein Bruder. Während ich das erzähle, schnürt sich mir der Hals zu. Und das, obwohl ich mich so intensiv damit beschäftigt habe. Ich war eines Tages bei meiner Mutter, als ich einen Anruf von einer Freundin bekam, deren Kind schwer erkrankt war und nachts mit dem Helikopter in die Klinik geflogen werden musste. Als ich das meiner Mutter erzählte, sagte sie völlig unvorbereitet: Ja, das ist schlimm, wenn man ein Kind verliert.

Wie hatte sie ihr Kind verloren?

Ihre Tochter Gudrun war anderthalb Jahre alt. Meine Mutter war eine junge, völlig unerfahrene Frau im Jahr 1946, die nicht wusste, wie krank ihr Kind ist. Während des Stillens ist das Kind gestorben. Mich hat das umgehauen, auch, weil sie das so nüchtern erzählt hat. Hätte es damals schon Penicillin gegeben, wäre das Kind nicht gestorben. Von dem Tod meines Bruders hat mir mal eine Nachbarin erzählt, als ich noch ein Kind war. Das Wissen darum hatte ich immer nur dunkel in mir. Meine Mutter steht stellvertretend für viele Frauen in dieser Generation. Damals gab es keine Trauergruppen, die Zeit war noch nicht reif dafür, dass man sich Hilfe geholt hätte.

Die männliche Hauptfigur Ihres Romans, der Kölner TV-Moderator Tom Monderath, wirkt zunächst eher unsympathisch. Bis klar wird, dass er unter dem vererbten Trauma seiner Mutter leidet und deshalb keinen Zugang zu sich selbst und anderen Menschen findet.

Mir haben Leserinnen geschrieben, die sagten, das Buch sei toll, aber bei diesem sexsüchtigen Alkoholiker hätten sie mehrfach überlegt, ob sie es weiterlesen. Ich finde diesen Tom so toll, der am Anfang beziehungsunfähig ist, aber am Ende in der Lage ist, sein Herz zu öffnen. Ich bin oft durch Köln gelaufen und habe gedacht: Mit dem würde ich jetzt gerne Kaffee trinken.

Der Buchtitel „Stay away from Gretchen” ist ein historischer Slogan der Amerikaner, die nicht wollten, dass sich ihre Soldaten mit deutschen Frauen einlassen.

Es ist aus heutiger Sicht aberwitzig, wie die deutschen Frauen damals dargestellt worden sind. In einem Artikel der ›New York Sun‹ stand: „Gekleidet in den kürzesten Kleidern, die ich je gesehen habe, gingen diese Mädchen vor den GIs auf und ab, um deren Aufmerksamkeit zu erwecken. Die Frauen sind stämmiger als Österreicherinnen, tragen kein Make-up, sind jedoch braungebrannt und gleichen insgesamt Amazonen.“ Dort ist auch dieser Slogan aufgetaucht. Der Name Gretchen stand sinnbildlich für die deutsche Frau. Meine Verlegerin hat ihn dann als Buchtitel gewählt. Ich habe ich beim Recherchieren viel Aberwitziges gefunden und eingearbeitet. Das entspricht mir sehr, denn meine Mutter hat mir nicht nur die Dramen vererbt, sondern auch eine gehörige Portion Humor. Somit sind meine Bücher trotz der Schwere des Stoffes teilweise unterhaltsam.

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Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen. Es gibt die Gegenwart im Jahr 2015 in Deutschland während der Flüchtlingskrise und dann die Zeit des Zweiten Weltkriegs. In einer Szene steht ein älteres Paar vor einer Unterkunft für Geflüchtete und sagt: Wir wissen genau, wie ihr euch fühlt, weil wir das auch durchgemacht haben. Derzeit wiederholt sich Geschichte wieder – im Ukraine-Krieg.

Dieses Paar gibt es wirklich, ich hatte einen Bericht über sie gesehen. Das war der Grund, warum ich die Flucht aus Ostpreußen mit ins Buch aufgenommen habe. Wenn heute eine Frau mit kleinen Kindern aus der Ukraine fliehen muss und nicht weiß, ob ihr Mann oder Bruder noch lebt und sie keinen Kontakt mit ihm haben kann, ist dieses Leid sehr vergleichbar mit dem einer Familie, die 1945 aus Ostpreußen geflohen ist – oder 2015 aus Syrien.

In „Was ich nie gesagt habe“ geht es um die Lebensgeschichte von Konrad, Gretchens Mann, der in Köln aufgewachsen ist.

Dieser Roman ist meine Liebeserklärung an Köln. Ich lasse den kleinen Conny 1933 mit seinem Vater vom Vierungsturm des Doms die Stadt betrachten. Für den kleinen Jungen „die schönste Stadt von der ganzen Welt“. „Und als ihm sein Vater auf den Tabernakeln der Turmobergeschosse die Friedensengel zeigte und erklärte, dass sie über die Stadt wachen, spürte Conny, dass ihm in Köln niemals etwas passieren würde.“ Das ist meine Ouvertüre. Dann wird nicht nur Köln zerstört, sondern auch das Leben des kleinen Jungen. Und so wie dessen Leben für immer geprägt sein wird von diesem Leid, sieht und spürt man auch in Köln noch heute die Narben.

Sie mussten für das Buch viel über das Köln der Vergangenheit recherchieren. Was haben Sie entdeckt?

Ich habe im NS-Dokumentationszentrum Tagebücher von männlichen Jugendlichen gelesen. Aus denen habe ich viel aus dem Kriegsalltag erfahren und wie diese Jungs im Krieg ihre Pubertät erlebt haben. Man stellt sich ja Krieg immer als Horror und Schrecken vor – und das stimmt auch. Aber der Krieg war auch viele Jahre Alltag, die Jungs haben ihre Streiche gespielt und im Stadionbad Löcher in die Wand gebohrt, um ein kleines Stück nackte Haut von einem Mädchen zu sehen. Davon handeln die Tagebucheinträge, das fand ich sehr faszinierend.

Im Roman bringen Jugendliche ein Kind um, das jüdisch ist und Ausgrenzung erfährt bis zu seinem Tod. Sie erzählen da eine wahre Geschichte aus Köln.

Das ist Hans Abraham Ochs, über dessen Schicksal ich gestolpert bin. Im wahrsten Sinne, denn ich bin jemand, der sich die Stolpersteine auf dem Boden immer anguckt. Dieser eine Stein in der Trajanstraße über Hans Abraham Ochs hat mich sehr berührt. Er wurde als Achtjähriger totgeprügelt von Hitlerjungen. Deshalb lasse ich die Familie Monderath auch in dieser Straße wohnen. Ich wollte, dass sich der fiktive Konrad mit dem realen Hans befreundet, damit ich diese Geschichte erzählen, und somit an diesen Jungen erinnern kann.

„Stay away from Gretchen“ ist toller Filmstoff. Falls er eines Tages verfilmt werden sollte: Wer sollte die Hauptrollen spielen?

Die Filmrechte sind optioniert, aber historische Stoffe sehr teuer in der Umsetzung, deshalb ist es bestimmt nicht einfach einen Auftraggeber zu gewinnen. Wenn das Buch tatsächlich verfilmt werden sollte, wäre es mein Traum, dass die alte Greta von Senta Berger gespielt wird – obwohl ich da keine Aktien drin habe und auch kein Mitsprachrecht.

Und Tom Monderath?

In meinem Kopf ist das so ein kölscher Bradley Cooper (Hollywood-Schauspieler, Anm. der Redaktion). Er müsste jedenfalls klasse aussehen.

Dann muss Bradley Cooper ja nur noch Kölsch lernen.

Das sollte kein Problem sein, der ist ja ein sehr begabter junger Mann (lacht).

Wird es eine Fortsetzung der beiden Romane geben?

Nein, die Geschichte der Familie Monderath ist definitiv auserzählt. Im Moment gehe ich mit verschiedenen neuen Ideen schwanger. Was ich immerhin schon sagen kann: Der nächste Roman wird mit Sicherheit wieder in Köln spielen.

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