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Bewegungsmangel hat schwere Folgen

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Wenn die Bewegung fehlt, zeigt nicht nur die Waage mehr an, sondern auch die Muskeln bauen sich ab.

Wenn die Bewegung fehlt, zeigt nicht nur die Waage mehr an, sondern auch die Muskeln bauen sich ab.

Kennt man doch: Ein Jahr lang das Fahrrad nicht aus der Garage geholt, und jetzt sieht es bemitleidenswert aus - Fahrradkette hängt, Reifen platt, Speichen ohne Glanz, Lenker mit Patina. Das Gute daran: Das kriegt man wieder hin, aber ein bisschen Anstrengung kostet das schon.

Auch die Hochleistungsmaschine Körper kriegt man wieder hin, wenn sie sich ein Jahr lang vorrangig im Sessel geräkelt hat und nur „in Betrieb“ genommen wurde für all tägliche Dinge wie einkaufen, arbeiten und essen gehen, Bierchen trinken. Aber es ist wie beim Fahrrad: Ein bisschen Anstrengung darf schon sein.

Was verändert sich eigentlich im Körper, wenn er es ein Jahr lang ruhig angehen lässt? Prof. Dr. Hans-Georg Predel, Sportmediziner und Prorektor der Deutschen Sporthochschule Köln, fängt ganz oben an beim Kopf - besser gesagt im Gehirn: „Wir werden träge im Denkprozess, unsere Leistungsbereitschaft sinkt und unsere Aufmerksamkeit lässt be trächtlich nach.“ Unterm Strich ein kräftiger Dämpfer für die geistige Präsenz. Das Erstaunliche, auch unser Kurzzeit-Gedächtnis läuft nicht mehr auf Hochtouren und so primäre Fähigkeiten wie Sprechen, Schreiben und Reden werden in Mitleidenschaft gezogen, was sich unter anderem auch in Formulierungsschwierigkeiten äußern kann. „Wer drei Wochen nur auf der faulen Haut liegt, vermindert seine kognitiven Fähigkeiten um 20 bis 30 Prozent“, sagt Predel. Damit nicht genug, sinkt auch die Stimmung: Depressive Momente, schlechte Laune und eine pessimistische Weltsicht können sich als Folge der Bewegungsarmut sowohl bei Männern als auch bei Frauen einstellen.

Wem diese Aussichten nicht genügen, der sollte sich klar machen, dass die Muskulatur des Körpers noch eindeutiger reagiert, wenn sie nicht gefordert wird. Als Stützapparat angelegt, müssen Muskeln ständig in Aktion sein, um ihre Aufgabe zu erfüllen, nämlich zu stützen. Bereits nach einer Woche Inaktivität nimmt die Muskelkraft um 10 Prozent ab. Eine „Ruhepause“ von einem Jahr bedeutet für das Muskelsystem, dass es mindestens ein Drittel seiner Kraft verliert. Begleiterscheinungen sind Verlust an Ausdauer, Flexibilität und Koordinationsfähigkeit.

Aber wir haben ja noch die Knochen, die uns aufrecht halten. Das tun sie jedoch nur mit genügend Bewegung und Belastung. Wenn nicht, werden sie brüchig, porös und die besonders bei Frauen auftretende Osteoporose kann vorzeitig akut werden. Knochen haben ein aktives „Innenleben“ beim Stoffwechsel. Bei einem gesunden Knochen stimmt das Verhältnis der Osteoklasten - Zellen, die die Knochen abbauen - und der Osteoplasten - Zellen die den Knochen aufbauen. Dafür müssen die Knochen statisch belastet werden, zum Beispiel durch Treppen steigen, Rad fahren, bergauf gehen. Wer darauf verzichtet, setzt sein Knochengerüst in etwa jenen Einflüssen aus, die bei Astronauten festgestellt werden. Deren Knochen erfahren aufgrund der fehlenden Schwerkraft keine statische Belastung, auch wenn sich die Männer und Frauen im Weltall ständig bewegen. Wieder zurück auf der Erde, müssen Astronauten deshalb ein umfassendes Aufbau-Training für Muskeln und Körper machen.

Ein ähnliches Wunderwerk der Natur und ebenfalls angewiesen auf Aktivität sind die Sehnen, die - außer im Fall einer Krankheit - enorm viel aushalten, aus reißfestem Bindegewebe bestehen und mit ineinander verdrillten Fasern funktionieren wie ein starkes Seil. Damit eine Sehne gesund bleibt, braucht sie entsprechenden Zug. Wer ihr diesen Zug nicht gibt, macht sie anfällig für Schädigungen. Ist die Sehne erst einmal erschlafft, braucht sie viel Aufbauzeit, um wieder gut zu funktionieren. Schneller als die Sehnen baut sich dagegen das Herz-und- Kreislauf-System durch Bewegung und Sport auf. Das hat allerdings zur Folge, dass der Mensch aufgrund seiner guten Herz- und Kreislaufwerte meint, sein Sportpensum bedenkenlos steigern zu können - was die Sehnen ihm übel nehmen. Die Folge sind häufig Entzündungen und Sehnenverletzungen, was den Menschen zu Ruhepausen zwingt. Und alles geht von vorne los.

Auch Organe wie Lunge, Herz und Darm mögen es gern bewegt, ansonsten verliert das Blut einen beträchtlichen Teil seiner Fähigkeit, Sauerstoff zu transportieren. Die Lungen büßen Elastizität ein, sind weniger dehnbar und können bei mangelnder Bewegung nicht mehr so viel Luft ventilieren. Ganz sensibel reagiert das Herz, das seine Pump- und Schlagkraft verändert und die Trägheit auszugleichen versucht, mit einem schnelleren Rhythmus. Dennoch schafft es das Herz nicht, das Defizit wettzumachen und der Mensch spürt das, wenn er bei der kleinsten Anstrengung japst. Zudem schwächelt auch noch das Immunsystem und bietet somit Angriffsflächen für Infekte.

Auch Verdauungsprobleme können ihre Ursache im Bewegungsmangel haben. Denn in dem Maße, in dem der Mensch träge wird, wird auch der Darm träge. Verstopfung und Blähungen sind die Folge, die Nahrung bleibt zu lange im Darm, oft Stunden zu lang, und mit dem Verdauungsbrei auch die darin enthaltenen giftigen Stoffe. Dass natürlich unter solchen Bedingungen auch der Wunsch, ein paar Kilos abzunehmen, nicht gerade realistisch ist, erschließt sich von selbst.

Wer all das nicht in Kauf nehmen will, der kann ja schon mal damit anfangen, die Reifen am Fahrrad aufzupumpen.

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