ARD-DreiteilerBizarre Wendemanöver in „Speer und er“

Lesezeit 5 Minuten
Tobias Moretti als Adolf Hitler (l) und Sebastian Koch in der Rolle des Albert Speer.

Tobias Moretti als Adolf Hitler (l) und Sebastian Koch in der Rolle des Albert Speer.

Köln – Die ARD zeigt am Montagabend um 20.15 Uhr den ersten Teil des TV-Dreiteilers „Speer und er“ von Heinrich Breloer und Horst Königstein.

Im Oktober 1945 hält Albert Speer in seiner Nürnberger Gefängniszelle die Anklageschrift mit den ihm zur Last gelegten Kriegsverbrechen in Händen: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Handlungen an der Zivilbevölkerung. Schwer atmend steht Speer im Schlaglicht des Zellenfensters. Während er die Worte „Erschießung, Erhängung, systematische Brutalität und Folter jeder Art“ liest, steigen Bilder in ihm auf: der Blick ausgemergelter Sklavenarbeiter, die in einem Stollen vor eine Lore gespannt worden sind und nun unter Schlägen und Gebrüll angetrieben werden. Der gehetzte Blick gilt ihm, dem „Reichsminister für Bewaffnung und Munition“. Wenige Augenblicke später wird Speer dem Gefängnispsychologen Dr. Gilbert erklären, dass die Menschheit ein Recht habe zu erfahren, wer für diese Verbrechen verantwortlich ist. Er selbst habe keine Ahnung davon gehabt.

Perfekte Maske

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Mit diesen Spielszenen beginnt der erste Teil von Heinrich Breloers und Horst Königsteins Film-Trilogie „Speer und er“. In Spielfilmszenen, mit dokumentarischem Filmmaterial und Zeitzeugen-Interviews wird der Aufstieg und Fall des Architekten und Hitler-Freundes erzählt, in perfekter Maske gespielt von Sebastian Koch. Ein dialektischer Wechsel von Innen- und Außenansichten, Selbstzeugnissen und Zeitzeugenaussagen macht von Anfang an die Widersprüche deutlich, die Speer zu einem kompliziert gestrickten Netz verwebte. Der Film entlarvt dieses Netz in einer ebenso kunstvoll gebauten dramaturgischen Strategie und zeigt, was der Mann vorgab zu sein und wer er tatsächlich war.

Nach „Die Manns“ legt das Autoren-Gespann nun also erneut ein Opus magnus vor: 70 Drehtage, 125 Stunden Interviewmaterial, 87 Sprechrollen, Einsätze von 1500 Komparsen und Studionachbauten von gigantischem Ausmaß sowie zwölf Millionen Euro Produktionskosten. Und wieder zeigen Breloer und Königstein, dass sie - der inflationären Imitation ihres Film-Konzeptes zum Trotz - doch die wahren Meister des Doku-Dramas sind: Eine Vielzahl von Informations-Fragmenten, Aussagen und inszenierten Szenen fügen sie zu einem kunstvollen Mosaik zusammen, so dass sich der Zuschauer selbst darin als geschichtliches Wesen erkennt. Dabei sind es insbesondere die Interviews mit drei der sechs Speer-Kinder, die den Zuschauer teilnehmen lassen an ihrer lebenslangen Suche nach dem Vater, der es ihnen unmöglich machte, ihn zu lieben. Zugleich stehen sie stellvertretend für jene Generation, die für sich und zugleich für die junge Bundesrepublik ein neues Wertesystem schaffen musste.

Der erste Teil zeigt, wie Albert Speer 1937 als „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ von Hitler dazu ermächtigt wurde, die hybriden Kolossalbauten der neuen Metropole „Germania“ zu bauen. Dafür ließ Speer ganze Straßenzüge Berlins einreißen. Um Wohnraum für die Umzusiedelnden zu schaffen, wurden in ganz Berlin „Judenwohnungen“ geräumt und deren Bewohner deportiert - Jahre bevor die Wannsee-Konferenz die „Endlösung“ besiegelte. Der Naturstein für Hitlers „Weltherrschaftsarchitektur“ wurde von Zwangs- und Sklavenarbeitern unter mörderischen Bedingungen in Steinbrüchen wie Mauthausen geschlagen - auf Befehl Speers. Im Februar 1942 ernannte Hitler den Günstling zum Reichsminister für Bewaffnung und Munition.

Im zweiten Teil wird die Strategie deutlich, mit der Speer das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal um das wahre Ausmaß seiner Verantwortung für Kriegsverbrechen und Massenvernichtung täuschte. Vor Gericht vollzog Speer ein bizarres Wendemanöver: Er übernahm als Regierungsmitglied die Verantwortung für den Völkermord, leugnete aber, von der Menschenvernichtung gewusst zu haben. Speer entging dem Galgen und wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. Während seiner Spandauer Tage bis zu seiner Entlassung 1966 - dies zeigt Teil drei - kultivierte Speer mit seinen Büchern das Bild vom unpolitischen Technokraten, der kein Nazi gewesen sein will, sondern ein von Hitler Getäuschter. Speer wurde für all diejenigen zum „Entlastungsnazi“, die ihre Vergangenheit weißwaschen wollten: Wenn der Freund des Führers schon nichts vom Massenmord gewusst hat, wie konnten wir es dann wissen. Seit den Aktenforschungen Anfang der 80er Jahre wurde immer deutlicher, dass Speer überzeugter Nazi war, der für seinen Führer die Welt erobern und unterwerfen wollte. Eine der großen Leistungen des Films ist, Adolf Hitler nicht als teuflisch-demagogische Gestalt vorzuführen, sondern ihn als den zu zeigen, als der er sich beispielsweise für die Speer-Kinder präsentierte: als freundlicher Herr. Tobias Moretti spielt Hitler und macht zugleich dessen einstudierte Posen deutlich, Hitlers Schauspielerei, hinter deren Maske immer auch das Dämonische sichtbar wird. Mir war „das Nachvollziehbare der Faszination Hitlers wichtiger als das Schreckgespenst“, sagt Moretti über seine Arbeit. „Einen Wahnsinnigen zu zeigen, wäre mir ein Gräuel gewesen, da hätte ich etwas Grundlegendes falsch gemacht.“

Während sich Teil drei des Films auf Speers Jahre im Spandauer Gefängnis konzentriert, verfolgt die Dokumentation „Nachspiel - Die Täuschung“ die Lebensgeschichte nach seiner Entlassung, seine Karriere als Bestellerautor und die Art und Weise, wie er sich und alle anderen täuschte: seine Familie, seine Editoren und damit die Weltöffentlichkeit. Speer-Verleger Wolf Jobst Siedler zitiert das Lavater-Wort: „Individuum est ineffabile - der Mensch ist nicht enträtselbar“ - das, so Siedler, galt für Speer in höchstem Maße: „Er blieb ein Rätsel vom ersten bis zum letzten Moment.“ - Breloers Film hat einen großen Teil des Rätsels gelöst.

Breloers Filme sind eingespielte Teamarbeiten. Auch „Speer und er“ ist, wie zuvor „Die Manns“, gemeinsam mit Kameramann Gernot Roll, Bühnenarchitekt Götz Weidner und Cutterin Monika Bednarz-Rauschenbach und Maskenbildner Waldemar Pokromski entstanden.

Teil 1: „Germania - Der Wahn“ , Montag, 20.15 Uhr, ARD

Teil 2: „Nürnberg - Der Prozess“ , Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD

Teil 3: „Spandau - Die Strafe“, 12. Mai, 20.15 Uhr

„Nachspiel - Die Täuschung“, 12. Mai, 23.30 Uhr

Heinrich Breloer legt zum Film zwei Bücher vor: „Speer und Er. Hitler Architekt und Rüstungsminister“ und „Unterwegs zur Familie Speer. Begegnungen, Gespräche, Interviews“ (beide: Propyläen Verlag).

KStA abonnieren