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Bücher ohne Hüter

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Immerhin übernimmt zum 1. Januar die Stadt komplett die wichtige Einrichtung.

Eine Bibliothek ohne Bibliothekar ist wie ein Schiff ohne Steuermann. In eben dieser ungewissen Situation befindet sich die Kölner „Germania Judaica“ bereits seit November vergangenen Jahres. Als damals die einzige Bibliothekarin von Europas größter wissenschaftlicher Spezialbibliothek zur Geschichte des deutschsprachigen Judentums in den Ruhestand ging, wurde ihre Stelle nicht wieder besetzt. Sparzwänge waren dafür verantwortlich, dass sich das Land NRW erst einmal aus der Finanzierung der 1959 auf Initiative Kölner Bürger gegründeten Bibliothek zurückgezogen hatte. Zuvor waren die Stellen für zwei studentische Hilfskräfte gekürzt worden.

„Ziemlich prekär“

Als „ziemlich prekär“ bezeichnet jetzt Annette Haller, seit 1993 Geschäftsführerin der „Germania Judaica“, gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ die gegenwärtige Situation der Bibliothek. Zusammen mit ihrer Sekretärin versucht sie derzeit, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Nur: „Ich bin Judaistin und keine Bibliothekarin.“ Ihre vordringlichste Aufgabe ist es nun, dafür zu sorgen, „dass die Bücher auffindbar sind“. Und dass die einzigartige Bibliothek an den Mann und die Frau gebracht wird. Was in diesen Tagen besonders schwierig ist: „Die Jugend der Welt steht gerade ante portas, und ich bin allein“, sagt Frau Haller, deren Sekretärin sich gerade im Urlaub befindet.

Zum Aufgabenbereich einer Judaica-Bibliothekarin gehören auch Beratung und „psychologische Erstversorgung“ ehemaliger Verfolgter. Darüber hinaus muss der veraltete Katalog mit seinen 85 000 Bänden aufbereitet und als Online-Katalog bearbeitet werden. Neben der „Laufkundschaft“ nutzen Wissenschaftler und Studenten anderer Universitäten über Fernleihe, Anrufe und E-Mails die Kölner Bibliothek. Trotz aller Unbill hat Annette Haller der Mut noch nicht verlassen: „Wir sind sehr motiviert.“ Glücklicherweise ist die Stadt Köln bereits in die Bresche gesprungen und wird die „Germania Judaica“ am 1. Januar 2006 vollständig übernehmen. Haller: „Andernfalls wären meine Stelle und die meiner Sekretärin weggefallen.“

Diese Maßnahme ist vor allem dem Engagement des Direktors der Stadtbibliothek, Horst Neißer, zu verdanken. Könnte die Stadt eine neue Stelle finanzieren, wäre dies sicherlich im Sinne der Gründer: Die Schriftsteller Heinrich Böll und Paul Schallück, der Kulturdezernent Kurt Hackenberg, der Journalist Wilhelm Unger, der Buchhändler Karl Keller und der Verleger Ernst Brücher wollten seinerzeit eine Einrichtung schaffen, „die den nachfolgenden Generationen Zeugnis geben kann von Geschichte und Kultur des deutschen Judentums.“ Haller hofft aber auch, dass das Land seine Förderung wieder aufnehmen wird.

Germania Judaica, Josef-Haubrich-Hof 1 Köln, 0221 / 232349 oder 2212-37924.

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