Christoph Schlingensief über das Projekt

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Christoph Schlingensief

Christoph Schlingensief

Der Künstler Santiago Sierra leitete Autoabgase in eine Synagoge. Über diese Provokation sprach Michael Aust mit dem Regisseur Christoph Schlingensief.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Wie finden Sie das Kunstwerk?

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF: Das kann man nicht Kunst nennen. Ein Kunstwerk muss sprechen können, dieses Werk ist in sich schon verstummt. Selbst einem alten „Provokationshasen“ wie mir ist das zu platt. Diese Aktion banalisiert die Aktionen, die Sierra vorher gemacht hat. Sie ist banal, einfach daneben, blöd. Er soll seine Autos vor den Reichstag stellen und das Gas da reinleiten. Die Politiker könnten sich dann in Gasmasken entrüsten. Mal sehen, was dann los wäre. Die Aktion in der ehemaligen Synagoge von Stommeln ist zu dicht dran.

Verstehen Sie die Kritik?

SCHLINGENSIEF: Ich kann verstehen, wenn sich jemand verletzt fühlt. Ich finde es richtig, dass die jüdische Gemeinde dazu Stellung bezieht. Das muss sie, denn sie hat im Gegensatz zu Herrn Sierra einen wirklichen Schmerz zu beklagen. Man wirft mir gerne Provokation vor, aber ich habe in meinen Aktionen immer versucht, Bilder zu finden, die Schizophrenie darstellen. Einen Schmerz, eine Obsession, die den Betrachter aus einem reinen Voyeurismus führt. Diese Ebene fehlt da.

Verstehen Sie, dass die Installation „245 Kubikmeter“ als Skandal bezeichnet wird?

SCHLINGENSIEF: Das, was in Pulheim passiert, ist kein wirklicher Skandal: Sierra hat eine Tür eingetreten, die schon längst auf war. Ich hoffe nur, dass er sich dabei keine Knochen gebrochen hat. Horst Mahler oder einen anderen Rechtsradikalen in einer „National Befreiten Zone“ im Rückwärtsgang zu überfahren - das wäre ein Skandal. Da käme dann der Staatsanwalt mit der Straßenverkehrsordnung.

Braucht die Kunst Skandale, um wahrgenommen zu werden?

SCHLINGENSIEF: Die Kunst hat ein Problem, sie hat sich abgekapselt, in ein Marktsystem verwandelt, in dem sich viele Künstler tummeln, die nur noch ihre eigenen Fußnägel verfilmen. Man muss nur einmal 30 Sekunden vor einem Bild stehen bleiben - da kommt schon der Galerist und will einem das Bild verkaufen. Man fühlt sich wichtig. Das ist der Punkt, an dem die Kunst angekommen ist. Sierra ist angeblich nicht käuflich, weil er so „engagiert“ ist. Möchte gerne wissen wie viele Skizzen von ihm jetzt wieder auf dem Markt landen.

In Rechtfertigungen heißt es, Sierra breche mit einer eingeübten, pflichtschuldigen Erinnerungskultur.

SCHLINGENSIEF: Wenn man sich das Holocaust-Mahnmal in Berlin ansieht, stimmt das: Es steht in einer Sicherheitszone, zwischen dem Hotel Adlon und der britischen Botschaft. Und wenn dann demnächst noch die amerikanische Botschaft das ganze Gebiet dichtmacht und nach dem „Nicht-Islamisten“-Nachweis fragt, kann die Welt noch immer aus dem All per Webcam sehen, dass wir gute Deutsche sind und auch ein Holocaust-Mahnmal besitzen! Alle Achtung! In diesem Sinne kann man schon sagen, dass mit dem Holocaust pflichtschuldig umgegangen wird. Es gibt einen zwanghaften Vergangenheitsabwasch. Auch Sierra macht das nicht anders! Vielleicht ist er sogar noch zynischer. Er verwendet Autoabgase anstatt von Zyklon B. Autoabgase sind die Sprache von Holocaust-Leugnern. Sierra scheint sich nur lustig zu machen: Er stellt sich nicht die Frage, was bedeutet jüdischer Glaube? Was hat diesen „christlichen“ Hass damals erzeugt?

Die Pulheimer Stadtverwaltung hat gerade bekannt gegeben, die Ausstellung auf Grund der Kritik auszusetzen. Wie finden Sie das?

SCHLINGENSIEF: Die Stadtverwaltung hilft den Künstler zu verklären. Jetzt können die Angestellten des Kulturgeschäfts loslegen und Zensur schreien. Die heutigen Täter können sich freuen.

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