Chronik eines angekündigten Abgangs

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Nicht richtig Flagge gezeigt in Sachen Kulturhauptstadt.

Nicht richtig Flagge gezeigt in Sachen Kulturhauptstadt.

Was die Suche nach einer herausragenden Persönlichkeit für das wichtige Amt brachte. Ein Protokoll.

Montag, 24. Mai: Trauerfeier für die verstorbene Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer. Beim anschließenden Zusammensein im Museum für Ostasiatische Kunst verabredet Oberbürgermeister Fritz Schramma mit den kulturpolitischen Sprechern der Fraktionen, die Nachfolge im engen Einvernehmen voranzutreiben.

Samstag, 29. Mai: Die Ausschreibung für die Stelle „der / des Beigeordneten für »Kunst und Kultur«“ wird in einigen Tageszeitungen veröffentlicht. Insgesamt 110 Bewerbungen gehen in der Folgezeit schriftlich ein. Professor Christoph Nix, scheidender Intendant des Kasseler Staatstheaters, erkundigt sich im Telefonat mit der Grünen-Fraktions-Vorsitzenden Barbara Moritz nach dem Posten.

Montag, 14. Juni: Die schwarz-grüne Mehrheit im Hauptausschuss des Rates lehnt einen Antrag der SPD ab, eine Findungskommission einzusetzen. CDU und Grüne wollen möglichst noch im Juli eine Entscheidung treffen. Moritz wird die Ablehnung der Findungskommission später damit begründen, dass auf diese Weise die Geheimhaltung der Personalie sichergestellt werde.

Mittwoch, 16. Juni: Die Aachener Kulturdezernentin Isabel Pfeiffer-Poensgen, die als eine mögliche Nachfolgerin von Marie Hüllenkremer gilt, nimmt an einem Kulturforum der Kölner CDU teil. Sie sagt: „Köln braucht einen Aufschwung.“

Freitag, 25. Juni: PfeifferPoensgen wird in München zur neuen Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder gewählt.

Dienstag, 6. Juli: Die Fraktionsvorsitzenden von CDU und Grünen laden für den nächsten Tag zu einer Kandidaten-Anhörung ein. An der Vorauswahl waren die Kulturpolitiker der Fraktionen nicht beteiligt. Nix sitzt an diesem Abend an der Seite von Peter Sörries, dem Kultursprecher der Grünen, und lauscht in der Philharmonie dem Gürzenich-Orchester.

Mittwoch, 7. Juli: Nur noch zwei von sechs Kandidaten, ausgewählt von den Fraktionsvorsitzenden Klipper (CDU) und Moritz (Grüne), treten um die Mittagszeit vor der schwarz-grünen Kommission an. Mit dabei: OB Schramma, Bürgermeister Müller (CDU), der Kulturausschussvorsitzende Knieps (CDU), der Fraktionsvize Frank (Grüne) und die Kultursprecher Blömer (CDU) und Sörries (Grüne). Der erste Bewerber enttäuscht die Gruppe, so heißt es, weil er wenig vorbereitet wirkt. Ganz anders Christoph Nix. Der beeindruckt mit Eloquenz und Engagement. Zu denen, die ihn empfohlen haben, soll den Unterlagen zufolge auch der Berliner CDU-Kulturpolitiker Stölzl gehören. Zwei Stunden steht der Intendant aus Kassel Rede und Antwort. Nix hat an diesem Tage seinen Hochzeitstag.

Gegen 16.30 Uhr wird Nix, der sich schon zur Heimreise gerüstet hat, im Konferenzsaal mit der Information überrascht, dass er der Kandidat der schwarz-grünen Koalition sein soll. Anschließend wird er eilig den Fraktionen vorgestellt. Der Name des Kandidaten ist den meisten unbekannt, erst recht die Arbeit, die er bislang geleistet hat. In der CDU-Fraktion kursiert während der 15-minütigen Vorstellung eine Kopie des Lebenslaufs. Diese Kopie ist noch nicht beim letzten Mitglied angekommen, als bereits abgestimmt wird: Sieben Enthaltungen und keine Gegenstimme.

Drei Stunden später wird Nix der Presse vorgestellt. Das sei ein Mann mit Ecken und Kanten, wird gesagt, der zu Köln passe. SPD und FDP sind verärgert, dass der Kandidat nicht in einer gemeinsamen Anstrengung gefunden worden ist.

Donnerstag, 8. Juli: Um 6.45 Uhr strebt Nix mit duschnassem Haar vom Hotel zum Rhein. Luft schnappen. Der Blick bleibt freilich nirgends hängen. Zurück im Hotel gibt er noch einmal in einem einstündigen Pressegespräch Auskunft. Dann geht es im Zug zurück nach Kassel: Christoph Nix, Vater von drei Kindern, hat „Kinderwoche“.

Freitag, 9. Juli: Das Erstaunen über die Nominierung ist auf Bundesebene groß. FDP-Kultursprecher Ulrich Wackerhagen macht als erster öffentlich Front gegen Nix: Er habe in Kassel „verbrannte Erde“ hinterlassen. Kulturminister Vesper (Grüne) widerspricht entschieden der Spekulation, dass er Nix vorgeschlagen habe. Oberbürgermeister Schramma unterzeichnet die Vorlage für die Wahl am 20. Juli.

Samstag, 10. Juli: In Berlin bestreitet Christoph Stölzl seinerseits, dass er Nix vorgeschlagen habe. Am Rhein findet um Mitternacht ein fabelhaftes Feuerwerk statt. Das wirkt wie die schillernde Ouvertüre zur fulminanten Kehrtwendung, die nun folgt.

Sonntag, 11. Juli: Die CDU-Spitze berät sich am Morgen im kleinsten Kreis beim OB. Sie befürchtet, dass im Falle einer geheimen Wahl am 20. Juli Nix nicht die notwendige Unterstützung aus den eigenen Reihen erhält. Zum einen mehren sich die Zweifel an der integrativen Qualifikation des Kandidaten; zum anderen wird nicht ausgeschlossen, dass das „Blömer-Lager“ noch die eine oder andere offene Rechnung mit dem Fraktionsvorsitzenden Klipper begleichen könnte, indem sie ihm die Unterstützung versagt. Dennoch ist die Parole der Runde, an der auch der Parteivorsitzende Reinarz teilnimmt: Wir ziehen das durch!

Montag, 12. Juli: Am Morgen trifft sich der Fraktionsvorstand der CDU zu einer neuen Krisensitzung. Baudezernent Streitberger, der Nix aus Kassel kennt, wird erstmals zu der Personalie befragt. Streitberger warnt jetzt und später im erweiterten Fraktionsvorstand mit aller Entschiedenheit vor Nix.

Nix reist nach Köln. Im Kulturdezernat wird er mit Zahlenmaterial zur Kölner Kulturlage versorgt. Am Nachmittag trifft er sich unter anderem mit Vertretern von SPD und FDP. Bei der SPD entdeckt man, dass Nix eher dem eigenen Kulturverständnis entspricht als dem der CDU. Bei der FDP macht Nix mit seinen Antworten keinen Boden gut.

Um 18 Uhr beginnt die Krisensitzung des geschäftsführenden Parteivorstands und des Fraktionsvorstands. Es geht hoch her. Eine deutliche Mehrheit spricht sich gegen Nix aus. Fraktionschef Klipper droht mit Rücktritt. Um 21 Uhr informiert die CDU-Spitze den grünen Koalitionspartner über die Lage.

Oberbürgermeister Schramma verlässt wütend den aufgewühlten Kreis, um das Kölner Sommerfestival in der Philharmonie zu eröffnen. Der Pantomime Marcel Marceau zeigt dort seine stille Kunst. Ein drastischer Kontrast zu den Turbulenzen in der CDU-Fraktion, über deren Entwicklung sich Schramma per Handy auf dem Laufenden hält. Sibyllinisch sagt er gegen 22.15 Uhr: „Der Schnee ist geschmolzen.“

Um 23.30 Uhr widerspricht Blömer dem Gerücht, er habe mit dem Votum für Nix dem Intimfeind Klipper schaden wollen - wohl ahnend, dass diese Personalie für Querelen sorgen würde. Blömer empört: „Das ist völliger Blödsinn - ich war doch zunächst selbst überzeugt von Christoph Nix.“ Es sei ein Fehler gewesen, dass man sich nicht mehr Zeit genommen habe für die Prüfung.

Dienstag, 13. Juli: In den Räumen der CDU-Fraktion im Historischen Rathaus bekräftigt der Koalitionsausschuss von CDU und Grünen um 9 Uhr die Entscheidung, Nix nicht zu wählen. Der OB sowie die Fraktionsvorsitzenden Klipper und Moritz informieren Nix über die Entwicklung. Anschließend erklärt Klipper seinen Rücktritt vom Rücktritt: „Im Interesse der Stadt“ bleibe er im Amt. Um 12.34 Uhr gibt Schramma offiziell die Rücknahme der Vorlage bekannt: „Nun wird die Entscheidung über einen neuen Kölner Kulturdezernenten erst nach der Kommunalwahl fallen.“

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