Der Maulwurf

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Gibt viele Rätsel auf: Donald Donaldson. BILD: AP

Gibt viele Rätsel auf: Donald Donaldson. BILD: AP

Denis Donaldson hat Glück gehabt. „Touts will be shot“, lauten immer noch die Inschriften auf Häuserwänden im Westen von Belfast: „Verräter werden erschossen.“ Doch Denis Donaldson, 55, Ex-IRA-Kämpfer und Ex-Büroleiter für die Sinn-Fein-Partei im nordirischen Regional-Parlament lebt. Noch. Am Wochenende hat er gestanden, mehr als 20 Jahre für den britischen Geheimdienst MI 5 und die nordirische Polizei spioniert zu haben. „Ich bedaure zutiefst meine Aktivitäten“, sagte der Mann, der als Günther Guillaume von Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams in die Geschichte eingehen wird - und entschwand mit unbekanntem Ziel. Angeblich will er zurzeit seiner Rekrutierung erpressbar gewesen sein: Wegen unzähliger Weibergeschichten, behaupten die einen, wegen einer drohenden erneuten Inhaftierung, sagen andere.

Der Maulwurf aus der Führungsriege von Sinn Fein, des politischen Flügels der IRA, gibt jede Menge Rätsel auf. Sie werden wahrscheinlich nie gelöst, denn der Fall markiert die unsichtbare Front im nordirischen Konflikt. Und die reicht weit in den fragilen Friedensprozess seit 1998 hinein. Mehr als 40 Jahre lang haben die Geheimdienste Ihrer Majestät alles unternommen, die IRA und ihre protestantischen Gegenspieler zu infiltrieren, V-Leute und Verräter zu gewinnen. Denis Donaldson ist nicht der Erste, aber wohl auch nicht der Letzte, der sich kaufen und korrumpieren ließ.

Seine Geschichte bietet mehr Stoff als jeder Thriller. Sie enthält so viele surreale Momente, dass niemand mehr sicher sein kann, was Wirklichkeit war und was Inszenierung der Geheimdienste: Der Spion soll im Auftrag von MI 5 einen IRA-Spionage-Ring aufgebaut haben, der seine Existenz, ja sein Leben gefährdet. Schon als Anfang Dezember die Anklage gegen Donaldson und andere fallen gelassen wurde, schwirrten in Belfast die Gerüchte: Wer steckt dahinter? Wer zieht die Fäden? Wer profitiert von einem möglichen Deal hinter verschlossenen Türen?

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Mehr als drei Jahre war nach der Beschlagnahme von Dossiers über potenzielle Opfer von IRA-Attentaten gegen Denis Donaldson und zwei andere Männer ermittelt worden, bis plötzlich ein Strafprozess nicht mehr „in öffentlichem Interesse“ schien. Gerry Adams, Donaldson und Co. feierten die Einstellung des Verfahrens als Beweis, dass es nie einen IRA-Spionagering gegeben hat. Die protestantischen Parteien, vor allem die radikalen Unionisten unter Ian Paisley, witterten gar ein Komplott zwischen Tony Blair und Sinn-Fein-Chef Gerry Adams: Wenn nicht schon im Irak, dann wenigstens in Nordirland wollte der angeschlagene britische Premier als Friedensengel vor Weihnachten einschweben.

Das Eingeständnis von Donaldson, für die Briten und den nordirischen Staatsschutz spioniert zu haben, bietet nun eine neue Variante: Der britische Geheimdienst hat die Krise im Regionalparlament gefingert, damit London die ungeliebte Provinz wieder direkt regieren kann. Doch diese Antwort wäre für Nordirland, wo jede Lösung ein neues Problem provoziert, viel zu einfach. Die nordirische Polizei ist felsenfest von der Existenz eines IRA-Spionagerings überzeugt. Die Informationen darüber sollen aus ganz anderen Quellen stammen als von Denis Donaldson, der vor allem aus dem Privatleben von Gerry Adams berichtet haben soll. Der „Belfast Telegraph“ zitiert einen hochrangigen Polizeioffizier: „Der war so nah an Adams, dass er die Farbe des Papiers kennt, mit dem sich Adams den Hintern abwischt.“ Ein anderer geht davon aus, dass der Geheimdienst und der Staatsschutz der Polizei die ganze Aktion vermasselt haben. Er kommentiert den Fall so: „Die Führungsleute bei Sinn Fein sind höchst verunsichert. Sie müssen über ihre Schulter schauen und sich bei jedem Satz fragen: Wem können wir noch trauen?“ Die alte Frage, ob Spionage ein Handwerk ist oder ein Räuber-und-Gendarm-Spiel für Erwachsene, bleibt unbeantwortet.

Der schmutzige Krieg des Tarnens und Täuschens hat die sonst so eloquenten Männer bei Sinn Fein sprachlos gemacht. Nur ein Vertrauter von Gerry Adams gibt sich nicht geschlagen: „Wir haben immer von den Machenschaften der Dienste gewusst. Aber auch wir haben Agenten im britischen Geheimdienst.“

Einer der besten Kenner des nordirischen Untergrunds, Anthony McIntyre, Politologe und Ex-Mitglied der IRA, geht davon aus, dass Denis Donaldson nur die Rolle des Sündenbocks übernommen hat. „Mit seinem Geständnis soll er ein weitaus ranghöheres Mitglied aus dem Führungsspitze von Sinn Fein schützen“, sagt er dem „Kölner Stadt-Anzeiger: „Aber weder die Briten noch Sinn Fein werden den Namen jemals preisgeben.“

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