Abo

Die Nacht, als das „hillige Coellen” unterging

Lesezeit 5 Minuten
Verstörte Menschen auf den Straßen - hier in der Gereonstraße, wo im Hintergrund links das zerstörte Erzbischöfliche Palais zu sehen ist.

Verstörte Menschen auf den Straßen - hier in der Gereonstraße, wo im Hintergrund links das zerstörte Erzbischöfliche Palais zu sehen ist.

Es war der vielleicht schwerste Bombenangriff auf Köln: In der Nacht vom 28. auf den 29. Juni 1943 wurde die Innenstadt in ein Trümmerfeld verwandelt - die Kölner mussten lernen, mit Tod und Zerstörung umzugehen.

Es fehlen mir die Worte, um Ihnen den furchtbaren Anblick, den diese Stadt bietet, zu schildern. Vom Ubierring bis zum Deutschen Ring - die Boulevards der Stadt Köln, sie sind vollständig vernichtet. Überall Trichter von Sprengbomben, die die Straßen aufrissen, links und rechts brennende Häuser, zehntausende Menschen mit ihrem letzten Hab und Gut, die apathisch auf der Straße sitzen und einem ungewissen Schicksal zugeführt werden.“ Der Schweizer Konsul Franz-Rudolf von Weiss, der den Krieg als „neutraler“ Beobachter in Köln erlebte, hat diese Sätze in einem Bericht an das Außenministerium in Bern formuliert. Auch sein Konsulatsgebäude in der Overstolzenstraße war im Bombenhagel der Nacht vom 28. auf den 29. Juni 1943 vollkommen zerstört worden. Der Luftangriff ist bei älteren Kölnern als „Peter-und-Paul-Angriff“ in trauriger Erinnerung.

Von Kriegsbeginn an war Köln das nahe liegende Ziel alliierter Bomber - 262-mal, so oft wie keine andere Stadt, ist Köln im Verlauf des Kriegs zwischen 1940 und März 1945 angegriffen worden. Die Kölner hatten am 30. / 31. Mai 1942 bereits den ersten flächendeckenden Großangriff auf eine deutsche Stadt erleiden müssen, den berüchtigten „1000-Bomber-Angriff“, der Zehntausende Einwohner obdachlos machte. Doch der „Peter-und-Paul-Angriff“ sollte hinsichtlich der abgeworfenen Bombenmenge, der angerichteten Zerstörung und vor allem der Todesopfer den „1000-Bomber-Angriff“ noch in den Schatten stellen. Willy Nießen, Jahrgang 1927, Mitautor des Buches „Frontstadt Köln“ (1980 beim Droste Verlag erschienen), arbeitet zurzeit an einer Dokumentation über das Kriegsjahr 1943; dem internen Bericht der Royal Air Force über den „Peter-und-Paul-Angriff“ konnte er entnehmen, dass mehr als 600 Maschinen exakt 839 Tonnen Sprengstoff über Köln abwarfen, dass 25 000 Phosphatbrandbomben (je 14 Kilo schwer) und 275 000 Stabbrandbomben (zu 1,7 Kilogramm) auf die Stadt hernieder fielen: „Das waren drei bis vier Güterzüge an Sprengstoff, die zu den Maschinen auf den englischen Flughäfen gebracht worden waren“, schätzt Nießen.

Nießen selbst erlebte den Angriff in der Geldorpstraße in Nippes: „Mein Vater hatte damals zufälligerweise Urlaub - als der Angriff begann, schafften wir es nicht mehr zum Werkstattbunker, sondern rannten in unseren Luftschutzkeller.“ Die alliierten Bomber, so stellten die Nießens bald fest, konzentrierten ihre Abwürfe auf die nahe Innenstadt. „Wir saßen im Keller und empfanden den Angriff wie ein Erdbeben - mit so etwas Furchtbarem hatten wir nicht gerechnet.“

Am nächsten Morgen wagte sich Nießen auf die Straße, über die Ringe wollte er zu seiner Schule in der Burgunderstraße gehen. „Das Kunstgewerbemuseum am Hansaring war ein Trümmerhaufen, überall sah man nur zusammengestürzte, brennende Häuser.“ In der Fleischmengergasse bot sich Nießen ein Anblick, den er nie vergessen wird: „Dort hatte man Hunderte von Leichen aufgebahrt, zwischen den Reihen gingen Leute auf und ab, um die Toten zu identifizieren.“

„Einen der schlimmsten Einsätze musste ich im Juni 1943 leisten“, notierte eine Luftwaffenhelferin in ihr Tagebuch, „ich war am 28. Juni gerade 14 Jahre alt geworden, als in der darauf folgenden Nacht die Innenstadt bombardiert wurde. Es krampfte sich uns die Kehle zusammen, als wir sahen, wie die Feuersbrünste über der Stadt die Nacht taghell werden und uns ahnen ließen, was dieser Angriff angerichtet hatte. Unser erster Blick suchte den Dom - er hatte den Angriff widerstanden.“ In der Thieboldsgasse sollte ihr Trupp, vier Jungen, sechs Mädchen, zum Einsatz kommen: „Aber was gab es hier noch zu helfen? Überall hörte man die Schmerzensschreie der Verletzten, das Klopfen der Verschütteten - und dann lagen da die Toten. In Zinkbehältern mussten wir zusammensammeln, was von Menschen übrig geblieben war.“

Konsul von Weiss schätzte, dass etwa 25 000 Menschen beim Angriff den Tod gefunden hätten. Die Behörden gaben später bekannt, dass „nur“ 4377 Tote zu beklagen seien, rund 10 000 Menschen seien verletzt worden, etwa 230 000 obdachlos. Besonders schwer getroffen war die Pfarrei St. Peter - fast die Hälfte der Gemeindemitglieder kam beim Angriff ums Leben. Die Kirche war schwer beschädigt, das benachbarte Bürgerhospital dem Boden gleich gemacht. 31 Kirchen wurden in jener Nacht zerstört oder schwer beschädigt, darunter St. Aposteln, St. Martin und St. Severin, wie Weiss erschüttert berichtet.

„Vieles von dem, was beim „1000-Bomber-Angriff“ verschont geblieben oder was zwischenzeitlich wieder in Stand gesetzt worden war, wurde endgültig zerstört“, konstatiert der Historiker Martin Rüther (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln). Doch im Unterschied zum 31. Mai 1942 sei der 29. Juni kein singuläres Ereignis gewesen: „Am 4. und 9. Juli 1943 ließen die Alliierten zwei fast ebenso schwere Angriffe folgen, die über 1100 Todesopfer sowie wiederum Tausende von Verletzten und Zehntausende von Obdachlosen forderten.“ Allein während dieser drei Angriffe wurde mehr Bombenlast auf die Stadt abgeworfen als in der gesamten Zeit zuvor. „Köln galt nun in den Augen der Alliierten als so schwer getroffen, dass es für 15 Monate von keinem Bomber-Großverband mehr angegriffen wurde,“ sagt Rüther. Willy Nießen bewertet den „Peter-und-Paul-Angiff“ so: „In dieser Nacht ist das alte Köln endgültig untergegangen.“

Über den „Peter-und-Paul-Angriff“ referiert Dr. Werner Schäfke, Kölnisches Stadtmuseum, am Sonntag, 29. Juni, 15 Uhr, in der Kirche St. Peter, Jabachstraße.

KStA abonnieren