Neue Kino-Doku Apollo 11Als säße man direkt neben Neil Armstrong

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Apollo 11

Die Apollo-11-Crew betritt am 16. Juli 1969 das Shuttle zur Startrampe.  

  • Ein neuer Film zeigt unbekanntes Archivmaterial der Nasa.
  • Nie zuvor konnte man die Mondlandung so hautnah miterleben.
  • „Apollo 11" läuft nur am 7. und am 14. Juli in Kölner Kinos.

Köln – „Wie wäre es mit ein wenig Musik“, fragt Buzz Aldrin und gibt seinem Sony-TC-50-Kassettenrekorder einen sanften Stoß. Der Walkman-Vorläufer dreht sich sogleich um seine eigene Achse, schwebt völlig losgelöst durch die Kommandokapsel von Apollo 11 und spielt John Stewarts Ballade „Mother Country“, eine halb gesprochene Sammlung skurriler Amerikana, die ein wenig nach Johnny Cash klingt und im patriotischen Refrain „Oh mother country, I do love you“ gipfelt.

So kann man es nun auf der großen Leinwand sehen und hören, in Todd Douglas Millers atemberaubender Dokumentation „Apollo 11“, die pünktlich zum 50. Jahrestag der Mondlandung vom 20. Juli 1969 an wenigen Terminen als Kino-Event zu sehen ist.

„Mother Country“ war ursprünglich nicht viel mehr als ein sanftes Brummen im Hintergrund einer alten Aufnahme vom Bord des Raumschiffs. Dann identifizierten Regisseur Todd Douglas Miller und sein Produzent Thomas Peterson Song und Sänger, sicherten sich die Rechte von Stewarts Witwe, synchronisierten Ton- und Bildaufnahme, so dass John Stewarts Stimme aus dem schwerelosen Kassettenrekorder wie durch den rotierenden Lautsprecher eines Leslie-Kabinetts gefiltert ertönt.

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Amerikanischer Pioniergeist

Der Pioniergeist zielte nach oben, die amerikanische Grenze hatte sich von der Westküste in den Weltraum hinein verschoben, und so war der Mond war Teil des „Manifest Destiny“ geworden, der Doktrin, die besagt, dass die Expansion zum Wesen der Vereinigten Staaten gehört. Doch liegen zwischen dem Apollo-Programm der Nasa und Todd Douglas Millers neuer Dokumentation mehr Jahrzehnte als zwischen dem Wilden Westen und seiner filmischen Romantisierung. Weshalb John Stewarts malerischer Rückblick auf das alte Amerika nun auch den Gipfelpunkt des Weltraumzeitalters zu umfassen scheint: Heimatliebe mit dem Doppler-Effekt der Nostalgie.

Der wirkt umso stärker, weil man die Fahrt zum Mond noch nie so unmittelbar verfolgen konnte wie in „Apollo 11“. Auf der Suche nach Archivmaterial für seinen Jubiläumsbeitrag hatte Miller nämlich einen wahren Schatz gehoben: Mehr als 60 Filmrollen, auf denen die neun Tage der elften Apollo-Mission im Juli 1969 im aufwendigen Todd-AO-Verfahren festgehalten worden waren. Das war in den 1950er Jahren für 70-Millimeter-Filme entwickelt worden, mit denen Hollywood der Fernsehkonkurrenz mit immer breiteren Leinwänden und höherer Auflösung Zuschauer entlocken wollte.

Die meisten Bilder waren damals für Theo Kameckes Film „Moonwalk One“ entstanden, einem faszinierenden Zeitdokument, das einen Bogen von Stonehenge bis zur Tranquility Base schlug, aber das Pech hatte, erst 1971 in die Kinos zu kommen, als Amerikas Mondbegeisterung längst wieder versiegt war. Doch auch die Aufnahmen, die Kamecke für seinen Film verwendet hat, waren nie zuvor in ihrer ganzen Breitwandpracht zu sehen gewesen.

Christopher Nolan wäre neidisch

Wenn man nun sieht und staunt, wie die kathedralenhohe Saturn-V-Rakete in majestätischer Langsamkeit auf einem riesigen Gleiskettenfahrzeug zu ihrem Startplatz am Cape Canaveral gefahren wird, wie sie sich schließlich nach dem letzten „Go for Launch“ donnergrollend und vor übermenschlicher Anstrengung Eisbrocken ausschwitzend von der Erde abstößt, wirkt das nicht wie ein längst vergangenes und oft gezeigtes Ereignis. Sondern wie eine Botschaft aus einer besseren, heroischeren Welt. Was würde Christopher Nolan geben, um solche Bilder einzufangen? Noch beeindruckender sind vielleicht die Szenen, in denen Techniker der Apollo-11-Crew – Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins – kurz vor dem Start in ihre Raumanzüge helfen. Der klinisch-reine Raum im Kennedy Space Center, die weißen Schutzhauben des Nasa-Personal, die ruhigen, zuversichtlichen und doch angespannten Gesichter der Astronauten – hätte Stanley Kubrick die Mondlandung wirklich inszeniert, wie es eine beliebte Verschwörungstheorie behauptet, diese Bilder gehörten definitiv zum Beweismaterial.

Zum Glück vertraut Thomas Douglas Miller der Aussagekraft und Qualität der Archivaufnahmen. Auf Interviews mit Zeitzeugen oder Experten verzichtet er völlig. Auch spart er sich Off-Kommentare und -Erklärungen. Was wir hier hören, stammt ausschließlich aus den rund 10 000 Stunden Tonband-Material der Nasa.

Die einzige Ausnahme bildet der Soundtrack von Matt Morton, den dieser ausschließlich auf Instrumenten eingespielt hat, die auch 1969 bereits im Gebrauch waren, darunter frühe Synthesizer wie der schrankgroße Moog IIIc und das Mellotron, eine analoge Vorform des Samplers.

Unmittelbar im Geschehen

So funktioniert „Apollo 11“ einerseits als „Direct Cinema“, bei dem sich der Zuschauer unvermittelt inmitten des Geschehens wiederfindet. Man steht im Mission Control Room in Houston oder findet sich am Cape in Florida inmitten von VW-Bussen und holzverkleideten Familienkutschen wieder, auf deren Dächern Neugierige mit übergroßen Sonnenbrillen den Start der Saturn V erwarten.

Andererseits ist das, was hier geschieht, von einer Fantastik und Waghalsigkeit, dass Spätgeborene den Film wohl als Science-Fiction-Epos erleben werden, als eine überwältigende Zukunft, die Miller der Vergangenheit entrissen hat.

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