E-BookStirbt das Buch aus?

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Das elektronische Lesegerät findet immer stärkeren Zulauf. Vor allem in den USA wird es immer beliebter. (Bild: dpa)

Das elektronische Lesegerät findet immer stärkeren Zulauf. Vor allem in den USA wird es immer beliebter. (Bild: dpa)

Das Buch sei ein „altmodisches Medium“ urteilt der für schneidige Formulierungen bekannte Trendforscher Matthias Horx: „Es ist ein lineares, ein langsames, ein sperriges, man könnte fast sagen ein primitives Medium.“ Immerhin, so hält der Schriftsteller und Büchernarr Alberto Manguel dagegen, habe sich das Buch - als Nachfolger der umständlichen Schriftrolle - über 1600 Jahre lang als handschmeichlerische, übersichtliche und gut stapelbare Form der Belehrung und Information bewährt. Und der Leipziger Bibliothekar Ulrich Johannes Schneider lobt die „dreidimensionales Form des Buches“ die ein gleichzeitiges navigieren mit Augen und Händen erlaube. Das sei ein großer Vorteil des Mediums Buch gegenüber der elektronischen Konkurrenz.

Doch die elektronische Konkurrenz - das E-Book - wird den traditionellen Buchmarkt ziemlich aufmischen. Da sind sich die Beobachter einig. Die praktischen Erfahrungen mit dem neuen Medium sind allerdings noch gering. Gespannt warten Leser darum auf die ersten Lesegeräte, die in Deutschland bisher nur als Prototypen vorgestellt wurden. Wie und zu welchem Preis die Texte in das Lesegerät kommen werden, wie sich das elektronische Buch am Strand oder im Lesesessel bewähren wird, all diese Fragen sind noch nicht geklärt: „Es ist wie ein entschlossener Marsch in eine Nebelzone“, sagt der Verleger Helge Malchow (Kiepenheuer & Witsch).

Heutige Generation verliert Interesse am Buch

Das E-Book komme dem veränderten Leseverhalten der Menschen entgegen, lautet ein Argument für die Prognose, dass sich das Lesen in dieser Form rasch ausbreiten werde. Tatsächlich werden immer mehr vollständige Texte heute an Bildschirmen gelesen, wie die Studie „Lesen in Deutschland 2008“ der „Stiftung Lesen“ ergeben hat, obwohl das „scrollen“ am Bildschirm eigentlich einem Rückfall in die Zeit der leserfeindlichen Schriftrolle ähnelt, wie Spötter meinen. Doch moderne E-Book-Lesegeräte sollen ja die erwiesenermaßen lesefreundliche Ansicht ganzer Seiten möglich machen - handlich und flimmerfrei.

Zudem ist es so, dass die mit elektronischen und interaktiven Medien aufgewachsenen Kinder von heute offenbar das Interesse am Buch verlieren. Das Buch sei in dieser Altersgruppe bereits auf dem Wege, seine Vormachtstellung vielleicht nicht einzubüßen, sich aber zu verändern, meint Heinrich Kreibich, Geschäftsführer der Stiftung Lesen.

Nachschlagewerke und Fachbücher, da sind sich die Beobachter einig, werden relativ rasch ihren Weg in das E-Book finden - wenn diese Texte nicht ohnehin nur noch online verfügbar sein werden.

Bei Produkten der „schönen Literatur“ aber scheinen die Verhältnisse nicht so klar. Das Schmökern in fiktionaler Literatur hat eine ganze Menge mit Flucht in entlegene Welten zu tun - und da schaffen sich Leser gern das ihnen gemäße Leseumfeld. Da wird Lesen zur emotionalen Wellness-Veranstaltung. Dieses passende Umfeld kann - je nach Temperament - das eigene Bett, die Parkbank oder die Bahn sein. Hier könnte, so glauben viele Experten, die gedruckte Geschichte weiterhin ihren Reiz für die Menschen haben, weil das Buch einen höheren emotionalen Kuschelfaktor hat als elektronische Lesegeräte. Nicht zufällig gehören Bilder von lesenden Menschen, das schön gebundene Buch entspannt in der Hand, zu einem Lieblingsmotiv der Maler. Der Medientheoretiker Norbert Bolz meint: „Das Buch ist das einzige Medium, das den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Es bietet den Trost der Überschaubarkeit.“

Noch einen Schritt weiter geht der Philosoph Petr Sloterdijk, der die elektronischen Medien für einen eher unsicheren Aufbewahrungsort für Informationen aller Art hält. Das Buch sein hingegen „ein Medium, bei dem man für die ersten 100 Jahre einfach mal Ruhe hat. Es bewährt sich als zuverlässiger Träger dessen, was ihm anvertraut wurde.“

Gedrucktes wird als besonders glaubwürdig empfunden

Darum sei es auch unwahrscheinlich, dass das E-Book den gedruckten Inhalts-Zwilling verdrängen werde. Das zeigen auch die Ergebnisse der Studie „Lesen in Deutschland 2008“. Wer im Internet viel liest, der liest auch häufiger Bücher. Allerdings entwickeln Viel-Leser eindeutige Lesestrategien, wie eine empirische Untersuchung von Andreas Schröder ergeben hat: kurze Sach- und Fachtexte werden elektronisch gelesen, wenn sie billig zu haben sind. Das gedruckte Buch bleibt als „repräsentatives Medium“ erhalten. Die „Vision vom Bildschirm-Lesen als Zerstörer der Lesekultur“ treffe nicht zu, heißt es in der Lesestudie. Gedrucktes werde weiterhin als besonders glaubwürdig empfunden und biete offenbar mehr Orientierungshilfe. 20 Prozent der Befragten beklagen, dass sie sich beim Lesen am Bildschirm „verzetteln“.

Ob diese - am Leseverhalten vor traditionellen Bildschirmen gemessenen - Aussagen auch für die elektronischen Bücher zutreffen, ist nicht gewiss. Vielleicht, so glaubt Verleger Malchow, entstehen ja auch im elektronischen Bereich sogar neue „Hybridprodukte“, eine Kombination aus Texten, Tönen und bewegten Bildern. Das traditionelle Buch aber habe auch seine Stärken: „Das Haptische, die dreidimensionale Leseerfahrung, das Buch als ästhetischen Objekt, das Buch als Geschenk.“

„Kindle“ ist US-Marktführer

Ob das E-Book nichts weiter als die coole neue Hülle für ein altes Medium ist, wie Jünger der neuen Lesekultur behaupten, ist längst nicht ausgemacht. Schließlich zählt der Zusammenhang zwischen Form und Inhalt eines Mediums, nach dem berühmten Diktum „Das Medium ist die Botschaft“ zu den gesicherten Erkenntnissen der Medienforschung. Schon prophezeien Kulturkritiker das Übergreifen der im Internet antrainierten Häppchen-Kultur auf das noch nicht einmal geborene Medium E-book. „Es gibt keinen Respekt mehr vor Texten“, klagt Medienforscher Bolz. „Download statt Bildung“ bemängelt Sloterdijk, man lasse sich das Wissen kommen, so wie man sich eine Pizza nach Hause bestellt.

Doch unbeeindruckt von den schrillen Warnungen zieht die neue Buchidee ihre Bahn. In den Vereinigten Staaten hat sich der Buchversender Amazon mit seinem elektronischen Lesegerät „Kindle“ zum Marktführer aufgeschwungen. Inzwischen sind bereits mehr als 130.000 Titel für das Lesegerät lieferbar. Eine ähnliche Entwicklung erwarten Experten auch für den deutschen Markt. Einiges spricht dafür, dass sich E-Book und das gedruckte Buch zunächst nebeneinander behaupten werden - jeder in seinem Revier.

In seinem neuen Buch „Die Kunst des Bücherliebens“ lässt der Medienwissenschaftler und Erfolgsautor Umberto Eco („Der Name der Rose“) ein E-Book auftreten, das unter seinem komplizierten Innenleben leidet und ein wenig neidisch auf die kreuzfidele gedruckte Verwandtschaft blickt. Diese Verwandtschaft aber, so glaubt Eco ist heute schon eine bedrohte Art und benötigt ökologische Fürsorge: „Wir haben nicht nur die Wale, die Mönchsrobben und die Bären in den Abruzzen zu retten, sondern auch die Bücher.“

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