Ein Europäer im Exil

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Der ungarische Pianist András Schiff.

Der ungarische Pianist András Schiff.

In den blühenden Kulturmetropolen der Welt zu Hause, in der mittlerweile politisierten Kulturlandschaft Ungarns eine bedrohte Art, ein Hochverräter, eine Persona non grata. Der ungarische Pianist András Schiff sah sich gezwungen, seiner geliebten Heimat den Rücken zu kehren, ruft jedoch aus dem künstlerischen Exil frontal zur Verteidigung europäischer Werte, zu Zivilcourage und Solidarität auf. Von dort schrieb er im Dezember letzten Jahres einen Leserbrief an die Washington Post gegen die Einschränkung der Pressefreiheit, gegen Antisemitismus und Nationalismus in seiner Heimat und fand daraufhin zahlreiche Unterstützer aus internationalen Künstlerkreisen. In der ungarischen Zeitung Magyar Hírlap hetzte daraufhin ein Parteigenosse des Regierungschefs Viktor Orbán, Zsolt Bayer, gegen die Kritiker der ungarischen Politik, wobei er jüdische Namen aufzählte, unter anderen auch den András Schiffs. Es folgte der Satz: „Leider ist es nicht gelungen, einen jeden bis zum Hals im Wald von Orgovány zu verscharren.“ Für Schiff glich diese Hetze einer „symbolischen Morddrohung“. Nun sollte man meinen, durch das vibrierende Kulturleben Budapests wäre ein Sturm der Entrüstung gefegt. Doch die Intellektuellen und Künstler des Landes halten sich bedeckt. Die Angst vor Konsequenzen geht um. Im Parlament wird weiter munter gegen alles propagiert, was nicht dem neu ausgerufenen Nationalismus entspricht. Da das Land aber gewissermaßen in einer sprachlichen Isolation lebe, wüssten die meisten Menschen gar nicht, was in Ungarn so alles unverblümt geäußert würde, gibt Schiff zu bedenken.

"Schiff sorgt sich um das kulturelle Leben seiner Heimat, das in seiner Vielfalt dem Nationalismus zum Opfer zu fallen droht."

Ihn zog es bereits zu kommunistischen Zeiten nach Italien und in die Stadt Florenz, und auch wenn Schiff nun in einem Land lebt, in dem der demokratische und moralische Niedergang längst Einzug gehalten hat, weiß er, dass er jederzeit die Koffer packen kann. Als Musiker ist er ohnehin Kosmopolit und im Grunde genommen keiner sprachlichen Barriere ausgesetzt – als solcher reist er mit Bartók und Kurtág ebenso durch die Lande wie mit Beethoven, Mozart und Chopin. In der Auswahl seiner Komponisten ist er dennoch gründlich und konsequent – ebenso wie in der Vertretung seiner Meinung. Würde er ständig von einem Komponisten zum nächsten wechseln, könnte er nicht in die Tiefe gehen, betont Schiff. So ist die Liste der in seinen Einspielungen auftauchenden Namen kurz: Nur mit Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert und Schumann setzte sich Schiff intensiv auseinander. Auch in der Wahl seiner Instrumente ist er anspruchsvoll: Er reist mit seinen eigenen Instrumenten, seien es nun Bösendorfer- oder Steinway- Flügel. In dieser Hinsicht denkt er weniger global, schätzt das Lokalkolorit. Er selbst besitzt etwa ein Dutzend Klaviere – gemessen an der Vielzahl der Klavierbauer um 1800 (etwa in Wien) sind dies noch wenig... Die Vielfältigkeit sieht Schiff allerdings nicht nur in der technischen und klanglichen Qualität, sondern auch in der Optik der Instrumente. Denn wer habe bestimmt, dass Klaviere heute ausschließlich wie Särge aussehen müssten?

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Der Komponist als Lehrer

Viel entscheidender ist letztlich, was an aussagekräftiger Musik herauskommt. Und das ist bei András Schiff ohne Zweifel außerordentlich. Seine eindrücklichste Prägung erhielt er an der Franz-Liszt-Akademie in seiner Geburtsstadt Budapest – von seinem Lehrer György Kurtág. Der legte dem Pianisten nahe, die technisch-mechanische Dimension des Instruments zu überwinden zugunsten einer kantablen Interpretation. Mit dem 14-jährigen András studierte Kurtág die Lieder Schuberts, ließ ihn die Vokalstimme selbst singen und brachte ihm bei, mit der Musik zu atmen. Für Schiff „der vielleicht wichtigste Impuls“ seiner Lehrjahre. Da wundert es kaum, dass er auch als leidenschaftlicher Liedbegleiter hoch geschätzt wird. Der vielbeschworene singende Ton des Klaviers – er ist Schiff quasi von Jugend an eingeprägt. Sicherlich auch ein Grund dafür, dass er mit dem Gewinn des Tschaikowsky- Wettbewerbes 1974 den Grundstein legte für eine beachtliche wie beständige Pianisten- Karriere. Nicht umsonst war Schiff einer der musikalischen Pfeiler der Eröffnungssaison der Kölner Philharmonie – und somit künstlerisches Urgestein des Hauses. (Autor: Christoph Guddorf)

03.12.2011 Samstag 20:00

András Schiff (Klavier)

Johannes Brahms (3 Intermezzi op. 117 (1892))

Jörg Widmann (Intermezzi (2010))

György Kurtág Adieu Haydée I Adieu Haydée II Rituale - Strém Kálmán in memoriam Egy tiszta lélek emléke Schiff Klári in memoriam

Robert Schumann Thema mit Variationen Es-Dur (1854) »Geistervariationen«

Ludwig van Beethoven 33 Veränderungen C-Dur über einen Walzer von Anton Diabelli op. 120 (1819/1823) „Diabelli-Variationen“

19:00, Einführung in das Konzert durch Christoph Vratz, Empore

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