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Ein Paradies für Dealer

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Ewiger Brennpunkt: Das Bonner Loch.

Ewiger Brennpunkt: Das Bonner Loch.

Bürger und Touristen reagieren gleichermaßen schockiert auf das Bild, das sich ihnen vor dem Bahnhof bietet. Die Polizei hält sich mit Aktionen zurück.

Bonn - Ein Junkie spritzt sich im Bonner Loch Heroin, oben an der Rolltreppe zur Fußgängerzone dealen zwei Personen, zwischen City-Ring und Maximilianstraße lungern Menschen herum, rauchen und trinken Bier. Und auf der Poststraße treten ein paar junge Männer nervös von einem Bein aufs andere. „Die warten auf Drogenkuriere“, sagt ein Polizeibeamter.

Die Situation rund ums Bonner Loch hat sich in jüngster Zeit verschärft. Immer mehr Junkies und Dealer versammeln sich dort, handeln mit Rauschgift. In aller Öffentlichkeit. Ohne Scheu. Passanten und Touristen sind gleichermaßen schockiert. „Das kann doch so nicht weitergehen“, sagt eine Frau. Eine andere echauffiert sich über die Polizei: „Die ist ja fast nie hier, und wenn, dann tut sie nichts.“ Es gibt aber nicht nur Klagen aus der Bevölkerung. Nicht jeder Polizist ist glücklich mit der Situation und hält etwas vom „Schmusekurs“. Hinter vorgehaltener Hand heißt es: „Wenn wir drei Wochen richtig aktiv wären, dann wäre das Bonner Loch sauber.“

Fast 80 Prozent aller Drogendelikte im Zuständigkeitsgebiet der Bonner Polizei passieren nach Angaben von Sprecher Harry Kolbe in der City. Er widerspricht der Kritik, dass seine Behörde nichts tue: „Wir haben die Kontrollmaßnahmen deutlich erhöht. Im Durchschnitt gibt es im Monat eine Großkontrolle und zehn verdeckte Einsätze. Dabei überprüfen wir rund 150 Personen aus der Szene.“ Vor zwei Jahren sprach Polizeipräsident Wolfgang Albers von „2200 bis 2300 Personen“, die zur Bonner Rauschgiftszene gehörten. Laut Kolbe ist bis heute „eine geringe Steigerung“ feststellbar. Eine Zahl nannte er nicht. Nach aktuellen Informationen liegt sie derzeit bei 2500.

Bier für 52 Cent

Festgemacht hat die Polizei rund ums Bonner Loch „einen Mischkonsum“ - Drogen und Alkohol. Vor allem Bier. Denn das ist preisgünstig. Bis 16. Dezember gibt es von 10 bis 20 Uhr, so steht es auf dem Werbeplakat eines Kiosks, die Flasche Billigbier für 52 Cent plus acht Cent Pfand. Happyhour sozusagen. Der Laden im Bonner Loch hat regen Zulauf, und oben prosten sich Menschen aus der Obdachlosenszene, aber auch Junkies ungeniert zu. In der Straßenordnung der Stadt Bonn heißt es: „Auf Straßen, Plätzen, in Anlagen. . . ist jedes Verhalten untersagt, das andere Personen in ihrer Benutzung mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindern oder belästigen kann, z.B. Lärmen, Aufdringlichkeit, störender Alkoholgenuss, Trunkenheit, Betteln, die Nutzung als Lagerplatz.“ Auch wenn so mancher Passant sich durch das Biertrinken gestört fühlt, die Stadt kann nach Angaben einer Sprecherin nichts gegen den Alkoholkonsum unternehmen. „Wir können nicht einschreiten, wenn der Anblick störend ist; nur dann, wenn der Alkoholgenuss mit Pöbeleien verbunden ist“, sagt Elke Palm vom Presseamt. Auch den Verkauf von billigem Bier könne die Stadt nicht untersagen.

Die Hände sind auch der Polizei gebunden. Sie hat zwar in jüngster Zeit vermehrt Dealer gefasst, Drogen sichergestellt und Ermittlungsverfahren eingeleitet, doch wenn keine Haftgründe bei den Festgenommenen vorliegen, müssen die Beamten sie wieder auf freien Fuß setzen. Nicht selten lungern dieselben Leute am nächsten Tag wieder am Bonner Loch herum. Und auch wenn die Polizei erneut einschreitet, eine gewisse Ohnmacht ist da. Das wird aber nicht gesagt. Kolbe betont: „Unser Konzept setzt weiterhin auf konsequente und berechenbare Sanktionen. Wenn Personen eine Rolltreppe versperren und so für Passanten eine physische und psychische Barrikade aufbauen, schreiten wir ein und erteilen notfalls einen Platzverweis.“

Doch manche sind danach schneller wieder da als die Polizei erhofft. Und die seit Sommer 2003 rechtlich mögliche Erteilung von dreimonatigen Aufenthaltsverboten in der Stadt haben sich als laut Polizei „als stumpfes Schwert“ entpuppt. „Sie werden von den Verwaltungsgerichten nicht getragen und als unverhältnismäßig angesehen“, begründet Kolbe. Darüber hinaus könnten Zwangsgelder bei dieser Klientel in der Regel nicht eingetrieben werden. Von der Erteilung von Aufenthaltsverboten hatte sich die Polizei erhofft, Dealer und Junkies aus umliegenden Städten und Gemeinden von Bonn fern zu halten.

Junkies aus dem Kreis

Etwa die Hälfte der Szenemitglieder komme aus Bonn, sagte Albers vor zwei Jahren, knapp 20 Prozent aus dem rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis, zehn Prozent aus dem Bergischen und der Rest aus Rheinland-Pfalz und der Voreifel. Beispiel: Am Dienstag stellte die Polizei am Bahnhof einen 19-jährigen Junkie aus Euskirchen, der verdächtigt wird, zuvor bei einem Einbruch in Roitzheim ein Laptop und ein Motorrad gestohlen zu haben. Ein Polizeisprecher berichtete, dass gegen den Mann Haftbefehl erlassen wurde.

Nach Angaben Kolbes ist die Polizei beim Thema Bonner Loch „offen für konstruktive Veränderungen, aber eine reine Verdrängung der Junkies und Dealers ist keine Lösung.“ Die Polizisten vermittelten auf ihren Streifengängen den Drogenabhängigen auch Hilfsangebote, „damit in Krisen und Notfällen lebensrettende Maßnahmen eingeleitet werden können“. Es bedürfe einer Konzeption, die geschlossen von der Politik, den Hilfsorganisationen und der Bevölkerung getragen werde. (dab)

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