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Ein Schlussakkord mit Wehmut

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Sabine Ibach, Chefin des Familienunternehmens, inmitten der Firmenhistorie.

Sabine Ibach, Chefin des Familienunternehmens, inmitten der Firmenhistorie.

Am Ende waren es noch fünf Klavierbauer, die auf knapp 1000 Quadratmetern die mehr als 200-jährige Tradition lebendig hielten. Doch jetzt ist es auch für sie vorbei. Die älteste Klaviermanufaktur der Welt, Ibach in Schwelm bei Wuppertal, hat die Produktion eingestellt.

Die Entscheidung sei aus dem laufenden Betrieb heraus und ohne finanziellen Zwang gefallen, erklärt Geschäftsführerin Sabine Ibach. Die 35-Jährige führt seit drei Jahren das Unternehmen, das im Jahr 1794 gegründet wurde und in seiner Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg zu den ganz Großen unter den Klavierbauern zählte.

Allein in Berlin soll es vor 100 Jahren rund 300 Fabriken und Werkstätten gegeben haben, die vom Klavierbau lebten, erzählt Hannes Schimmel-Vogel, der wie die Ibachs zu den führenden Instrumenten-Herstellern in Deutschland zählt. Bei Schimmel in Braunschweig werden in diesem Jahr rund 2200 Klaviere und 800 Flügel gebaut. Hinzu kommen 1100 Instrumente des Labels „May Berlin“, die in China vorgefertigt werden und in Deutschland optisch und klanglich den Feinschliff erhalten.

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Die Produktion in Asien ist ein Lehrbeispiel dafür, was Ibach fehlte, um im aktuellen Marktgeschehen nicht unterzugehen, erklärt Schimmel. Auch Steinway, Bechstein und Blüthner haben ihre preiswerten Label. Damit sie der „Steinway-Familiy“ oder der „Bechstein-Produktwelt“ keine Schande machen, werden sie vor der Auslieferung an den Handel einer Qualitätskontrolle und gegebenenfalls nachgebessert. Diese Klaviere gibt es schon ab 3000 Euro im deutschen Handel. Das preiswerteste Ibach-Klavier liegt bei 12 000 Euro.

Vor rund 30 Jahren sah es so aus, als würde Ibach im Konzert der großen deutschen Klavierhersteller auf längere Sicht mit den Ton angeben können. Doch dann wagte Rolf Ibach, Vater und Vorgänger der jetzigen Geschäftsführerin, einen Schritt, der seinem eigenen Haus nach der Meinung von Mitbewerbern irreparablen Schaden zufügen sollte und heute dennoch von seinen Konkurrenten erfolgreich nachgeahmt wird: Der Klavierfabrikant der sechsten Generation ließ in Korea produzieren. Dabei machte er aus Sicht seiner Kollegen wohl einen entscheidenden Fehler: Die Instrumente erhielten zwar die ergänzende Bezeichnung “K“ wie Korea. Aber sie kamen unter dem Namen Ibach auf den Markt. Und dies habe zu einer Verwässerung der wertvollen Marke geführt, sagt Christian Blüthner, Geschäftsführer des gleichnamigen Leipziger Flügel-Herstellers. „Von dem Schlag hat sich Ibach nicht mehr erholt“, erklärt er den Niedergang des Traditionsunternehmens.

Sabine Ibach hält solche monokausalen Erklärungsmuster für etwas zu einfach. Nicht in der asiatischen Produktion, sondern in der daraufhin einsetzenden Kampagne einiger Mitbewerber gegen Ibach sieht sie einen Hauptgrund für die Probleme, die ihr Haus seitdem am Markt hat. Für ihren Vater seien die koreanischen Erfahrungen der Anlass gewesen, sich aus dem unteren Preissegment zurückzuziehen. Zumal, als im Zuge der Lizenzproduktion auch noch gefälschte Ibach „K“ auf den Markt gelangten und dort teilweise bis heute herumgeistern.

Von dieser Zeit an stand bei einem Ibach-Klavier immer die Frage im Raum: Wo kommt das her? Ibach jedenfalls blieb nach dem fehlgeschlagenen Korea-Gastspiel bei seiner Ausrichtung auf die solvente Kundschaft und seiner Neigung zu Spezialitäten, etwa den von Architekten gestalteten Flügeln. Noch 1998 stellten die Klavierbauer aus dem Bergischen Land ein Modell vor, das einer der bedeutendsten Gegenwarts-Architekten, der Amerikaner Richard Meier, in ihrem Auftrag entworfen hatte.

Ein Weg, der sich wirtschaftlich als nicht länger gangbar erwiesen hat. Bis zum Ende dieses Jahres wird die Produktionsstätte ausgeräumt. Über 150 000 Instrumente dürften es sein, die unter dem Namen Ibach im Verlauf zweier musik- und welthistorisch ereignisreicher Jahrhunderte die Produktionsstätten der Familie verlassen haben. Außer dem im Jahr 1895 in Schwelm bezogenen Backsteinbau waren das zum Beispiel Werke in Barmen bei Wuppertal und in Berlin.

In der alten Schwelmer Fabrik wird Sabine Ibach von ihrem Schreibtisch aus noch einige Wochen lang die Auflösung des Inventars koordinieren. Eine Insolvenz hätte wohl weniger Arbeit gemacht, meint sie selbstironisch. Doch sich aus der Verantwortung zu stehlen, das passe nicht zum unternehmerischen Ethos der Ibachs.

Der Ibach-Klang wird das Ende des Unternehmens aber überdauern. Er hat immer noch Freunde in der Musikwelt. Auch wenn er nicht so brillant ist wie der von Steinway und nicht ganz so weich wie der aus dem Hause Bösendorfer. Komponisten wie Richard Wagner, Richard Strauß, Max Reger, Hans-Werner Henze und Manfred Trojahn wussten und wissen diesen beseelten Klang zu schätzen.

Die letzten echten Ibachs gibt es noch bei sechs Händlern in Deutschland. Jetzt sind sie zu Boten aus einer anderen Zeit geworden. Einer Zeit, in der noch nicht fast drei Viertel der jährlich etwa 13 000 bis 15 000 in Deutschland verkauften Klaviere aus Asien oder Ländern des ehemaligen Ostblocks kamen. Und aus einer Zeit, in der nicht zwei Drittel der weltweiten Jahresproduktion von mehr als 450 000 Klavieren und Flügeln aus dem Fernen Osten stammten. „Made in Germany“ waren im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt nicht einmal 10 000 dieser Instrumente. Und aus Schwelm wird in Zukunft keins mehr kommen.

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