Einheitliche europäische Kultur gibt es nicht

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Plakatausschnitt zu Hannes Stoehrs Film "One Day In Europe"

Plakatausschnitt zu Hannes Stoehrs Film "One Day In Europe"

„One Day In Europe“ war einer der deutschen Beiträge zur diesjährigen Berlinale. Hannes Stoehr legt seinen Film an als Mentalitätsgeschichte des Kontinents, aufgezeichnet an einem einzigen Tag. Frank Olbert sprach mit ihm.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Stoehr, „One Day In Europe“ - wird es ein Ja zur Verfassung geben?

HANNES STOEHR: Ich denke, das ist nur eine Frage der Zeit. Deutschland hat auch lange Zeit gebraucht die Kleinstaaterei zu überwinden. Bayern musste man 1871 sogar Geld bezahlen, damit sie bei der Deutschen Einheit mitmachten. Und ohne Krieg nach außen hätte es die Deutsche Einheit 1871 wahrscheinlich gar nicht gegeben. Ich hoffe, Europa schafft es ohne Krieg.

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Würden die Figuren Ihres Films, den Pilger, dem die Kamera geklaut wird, das Pärchen, das in Berlin Straßenkunst macht, die Verfassung überhaupt interessieren - hätten sie diese gelesen?

STOEHR: Der ungarische Pilger vielleicht, die anderen Figuren wahrscheinlich nicht. Die fragen sich eher, was bringt mir ein gemeinsames Europa eigentlich konkret.

In Ihrem Film wird viel gereist. Ist dies das Hauptkennzeichen Europas, dass die Grenzen zumindest für die EU-Bürger gefallen sind und man kein Geld mehr tauschen muss, wenn man nach Frankreich oder Italien will?

STOEHR: Die Reisefreiheit ohne Geldumtausch ist ein konkret fassbarer Vorteil der europäischen Einigung, mehr nicht.

In Ihrem Film wird auch viel betrogen. Sind Europäer Betrüger und Betrogene?

STOEHR: Menschen sind Egoisten, in Europa und anderswo, das ist keine neue Erkenntnis. Spannend wird es, wenn die europäischen Egoismen aufeinander treffen wie im Film. Dann merkt man, wie unterschiedlich wir ticken und wie groß die Mentalitätsunterschiede sind.

Wenn nun der EU-Gipfel abgehalten wird - findet er in einem depressiven, kleinlauten Europa statt, dessen Hauptvokabel Nein lautet?

STOEHR: Die Bedeutung des Mauerfalls ist jetzt in Frankreich und Holland angekommen. Westeuropa hat Angst davor, dass Osteuropa uns den Wohlstand wegnimmt. Wir in Deutschland haben die letzten 15 Jahre erlebt, wie schwierig und kompliziert das Zusammenwachsen mit Ostdeutschland für beide Seiten ist. Das Zusammenwachsen mit Osteuropa wird noch komplizierter werden. Die Mentalitätsunterschiede sind enorm, die Sprachbarriere kommt hinzu. Trotzdem ist das friedliche Zusammenwachsen mit Osteuropa eine historische Chance, die nicht durch die Egos der Nationen blockiert werden sollte. Man muss dem Prozess Zeit geben. Ein „Früher war alles besser“ kann ich nicht mehr hören. Vor 15 Jahren standen links und rechts der Mauer Atomraketen, und Europa stand kurz vor dem kollektiven Untergang. Und wohin überzogene Egos der Nationen führen, hat das 20. Jahrhundert ja gezeigt.

Ist es überhaupt wünschenswert, nach dem Euro Europa auch auf eine einheitliche kulturelle Währung einzuschwören?

STOEHR: Den Reiz des Kontinents macht doch gerade die Vielfalt aus. Schwaben gehört seit 1871 zu Deutschland, trotzdem isst man dort immer noch gute Maultaschen und spricht kein Hochdeutsch. Ich will sagen, die größere Einheit wirkt doch eher als Schutz für kulturelle Eigenheit. Die große Gefahr ist doch, dass ein fehlendes europäisches Selbstbewusstsein nur dazu führt, dass die Vielfalt verloren geht. Eine einheitliche europäische Kultur wird es niemals geben. Es sei denn, wir haben im Kino zu 100 Prozent amerikanische Filme - dann könnte man von einer einheitlichen Kultur reden.

Würden Sie wieder einen Film über Europa drehen, jetzt nach dem Nein, und was sähe man darin?

STOEHR: Natürlich. Der Film ist jetzt aktueller denn je. „One Day In Europe“ beschäftigt sich ja ausführlich mit den unterschiedlichen Mentalitäten in Europa und der Sprachbarriere. Der Film stellt viele Fragen an die europäische Identität. Wie soll das jemals zusammengehen? Eine Frage, die bei vielen eine Angstreaktion auslöst und ein unwilliges „Nein“ hervorbringt. Natürlich kann kein Film diese Frage beantworten, aber es wird Zeit, dass wir die Frage ernst nehmen.

Was ist Ihre Erwartung an Europa?

STOEHR: Ich erwarte ein friedliches, starkes Europa der Regionen, welches einerseits regionale und nationale Traditionen bewahrt, andererseits offen ist für die Modernisierung und den Wandel. In wichtigen Themen wie Wirtschaft, Sicherheit, soziale Gerechtigkeit, Ökologie und Ressourcen können die Nationen sowieso nicht mehr alleine vor sich hin wurschteln. Die Probleme der Zukunft kennen keine Grenzen. Leider befürchte ich aber auch, dass dies sehr lange dauern wird. Es ist immer schwieriger etwas Positives zu formulieren, als „Nein“ zu sagen.

Haben Sie eine Utopie?

STOEHR: Die Vereinigten Staaten von Europa (USE), irgendwann auch mit der Türkei und irgendwann auch mit Russland. Das wird sehr lange dauern und ich werde das auch nicht mehr erleben. Trotzdem: Wenn man jetzt weiß, wo man hinwill, dann weiß man, wie man die Gegenwart beurteilen soll. Es hilft bei der Entscheidung zu wissen, was wichtig und was weniger wichtig ist. Die europäische Geschichte ist voller Kriege und Feindseligkeiten untereinander. Es wird Zeit, dass wir zusammenarbeiten.

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