EinsturzHeftige Kritik an Archivleitung

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Seit drei Jahren wird Ursachenforschung betrieben: die Einsturzstelle an der Severinstraße. (Bild: Krasniqi)

Seit drei Jahren wird Ursachenforschung betrieben: die Einsturzstelle an der Severinstraße. (Bild: Krasniqi)

Köln – Von einem Zerrbild, von schönfärberischen Zahlen ist die Rede – die Bürgerplattform „Köln kann auch anders“ übt heftige Kritik an der Informationspolitik von Stadtverwaltung und Archivleitung: „Das Bild, das die Verwaltung vom Ausmaß der Katastrophe und von der Sanierung der Archivalien zeichnet, ist höchst unvollständig“, stellt der Historiker und Publizist Frank Möller fest, „dieses Zerrbild bedarf der Korrektur.“

Möller, der einem eigens gebildeten Arbeitskreis der Initiative angehört, ist Verfasser des Dossiers „Gegenwart und Zukunft des Kölner Stadtarchivs“ , das mittlerweile als Broschüre vorliegt. Schon 2010 hatte er eine Darstellung über die Arbeit mit und in Archiven zu Papier gebracht, aus seiner persönlichen Sicht, denn Möller ist dem Archiv seit vielen Jahren verbunden. „Seit 2008 arbeite ich an einer Biografie des Kölner Verlegers Joseph Caspar Witsch“, erzählt er, „zu diesem Zweck habe ich den Bestand 1514 des Stadtarchivs gesichtet – Bestand 1514 war der des Kölner Verlages Kiepenheuer & Witsch.“ Ob von diesem Bestand etwas gerettet wurde, entziehe sich seiner Kenntnis.

„Dass bereits kurze Zeit nach der Archivkatastrophe die Schönfärberei und eine Bagatellisierung der Verluste einsetzen würde, habe ich schon 2010 geahnt“, so Möller. Sein Dossier hat fünf Schwerpunkte, schon im ersten Kapitel wird scharfes Geschütz aufgefahren: „Die offiziellen Zahlen kaschieren die tatsächlichen Verluste an Archivgut.“ Es geisterten, so Möllers Vorwurf, „Zahlen durch alle Erklärungen und Publikationen der Archivleitung“, deren Verlässlichkeit „zwangsläufig gering“ sei – 95 Prozent aller Archivalien seien geborgen, 35 Prozent davon „schwerstens beschädigt“, etwa die Hälfte sei schwer bis mittelschwer beschädigt, und nur bei etwa 15 Prozent seien leichte Schäden festzustellen. „Bei rund 30 Regalkilometern Akten, die das Archiv beherbergte, würde eine verlässliche Schätzung bedeuten, dass man jeden einzelnen Meter auf seinen Zustand überprüft hätte“, argumentiert Möller, „angesichts der Tatsache, dass diese 30 Kilometer auf 20 Asylarchive verteilt und nicht geordnet sind,“ sei das schlechterdings unmöglich.

Auch der von Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia und Oberbürgermeister Jürgen Roters immer wieder genannte Zeitraum von 30 bis 50 Jahren, innerhalb dessen die Archivalien restauriert werden könnten, sei mehr oder weniger aus der Luft gegriffen.

Schmidt-Czaia habe ausrechnen lassen, ein Restaurator werde 6300 Jahre mit der Ausbesserung aller Schäden beschäftigt sein; man benötige 200 Restauratoren, „wenn wir es in dieser und der nächsten Generation schaffen wollen“ (O-Ton Schmidt-Czaia in einem Interview) – zur Zeit würden aber nur 13 Fachrestauratoren beschäftigt. „Diese 13“, so Möller, „würden demnach knapp 500 Jahre zu tun haben. Wir reden beim bisher vorgelegten Tempo also über Jahrhunderte, nicht über Jahrzehnte!“

Die „Zahlenspielereien um Bergungs- und Erhaltungsprozente“ erklärt sich Möller so: „Sie erhalten ihren Sinn als Sedativum zur Beruhigung der öffentlichen Meinung, sie sind Teil einer Unehrlichkeitsstrategie, die den Eindruck erwecken will: Wir bergen alles, wir restaurieren alles!“ Zudem sei völlig unklar, wie die Stadt dauerhaft Mittel zur Restaurierung aufbringen will und welche Beträge die Stiftung Stadtgedächtnis beisteuern könne.Das Kölner Archivkonzept lege den Schluss nahe, dass es sich künftig vor allem an den Interessen der Verwaltung ausrichten wolle, indem es z. B. die Aufnahme privater Nachlässe einschränke. Das Versprechen eines „Bürgerarchivs“ kaschiere diese undiskutiert vorgenommene Veränderung nur. Der Begriff „Bürgerarchiv“ diene als „wohlfeile Folklore“, so wie auch die zahlreichen PR-Aktionen, bei denen restaurierte Archivalien präsentiert werden, die „nur von den eigentlichen Problemen ablenken sollen“.

Bettina Schmidt-Czaia kann die Argumentation in Möllers Dossier nicht nachvollziehen. Möller, der zu keinem Zeitpunkt das Gespräch mit der Archivleitung gesucht habe, arbeite mit zahlreichen Unterstellungen. Die Zahlen in den städtischen Verlautbarungen stammten nicht von der Archivleitung. „Eine Wirtschaftsberatungsgesellschaft, die die Asyl-Archive bereiste, hat Stichproben gemacht und die Schäden hochgerechnet – diese Zahlen haben wir übernommen.“ Von den 30 laufenden Kilometern an Archivmaterial, die beim Unglück in die U-Bahn-Baugrube stürzten, seien etwa 30 Prozent – „mittlerweile 9,3 Kilometer“ – erfasst. „70 von unseren 140 Mitarbeitern sind mit der Bestandserfassung in den Asyl-Archiven beschäftigt.“

Auch bei jenen Zahlen, die die privaten Nachlässe betreffen, operiere Möller mit falschen Zahlen: „Wir haben im Jahre 2011 an neuem Archivgut etwa 50 Prozent städtischer Akten und 50 Prozent private Nachlässe übernommen“; dass sie dem Archiv eine „neue Ausrichtung“ verordnet habe, sei eine Unterstellung. Was das angestrebte „Bürgerarchiv“ angehe, so gehe es vor allem darum, „das Archiv in der Stadtgesellschaft zu verankern“ – leider hätten die meisten Kölner das Archiv erst wahrgenommen, als es eingestürzt sei. „Unsere Aufgabe ist es auch, der Politik, der Verwaltung und dem Bürger klarzumachen, welche Bedeutung, welchen Wert das Stadtarchiv hat – und das tun wir!“

Zur Finanzierung der künftigen Aufgaben will sich Schmidt-Czaia nicht äußern – „das ist Sache der Politik“. Sie legt aber großen Wert auf die Feststellung, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs bisher von allen städtischen Ämtern „eine tolle Unterstützung“ erfahren hätten.

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